Heuer ist kein gutes Jahr für Igel, die Tiere kämpfen ums Überleben. In der Igelstation in Nüziders sind zurzeit hunderte Stacheltiere in Pflege. Vor allem fehlt es an passenden Lebensräumen.
Es ist kurz nach Mittag, da läutet das Telefon in der Igelstation in Nüziders. Eine Nummer aus dem Unterland leuchtet auf dem Display auf, Annelies Dalpez hebt ab: Ein Igel versucht, sich auf der Terrasse eines Wohnhauses ein Nest zu bauen. „Das ist kein passender Ort für ein Winterquartier“, weiß Dalpez. Nach einem kurzen Gespräch ist klar, dass der Vierbeiner die Bewohner nicht stört, sie aber besorgt über dessen Wohlergehen sind. Und so erklärt die Tierschützerin, was der Anrufer tun kann, um den Igel an eine andere, geeignetere Stelle im Garten umzusiedeln. „Das Telefon läutet derzeit dauernd“, sagt die 83-Jährige. Seit 41 Jahren ist die Nüzigerin nun Obfrau des Tierschutzvereins Bludenz, fast genauso lange kümmert sie sich um verletzte, kranke oder verwaiste Igel. Es werde immer schwieriger für die Tiere, betont Dalpez. „Heuer ist kein gutes Jahr für die Igel“, fügt sie mit sorgenvollem Gesicht hinzu.
Der Lebensraum für Igel schwindet zusehends
Dabei sind Igel genügsame Tiere: Sie benötigen lediglich ausreichend Futter und Versteckmöglichkeiten in einem vergleichsweise kleinen Revier. Auf dem Speiseplan stehen Insekten, Regenwürmer, Schnecken, aber auch Frösche oder Mäuse. Doch es fehlt an geeigneten Lebensräumen: Artenreiche Magerwiesen, Hecken und Gehölze seien rar geworden, heißt es vonseiten des Naturschutzbundes. Hinzu komme der Einsatz von Pestiziden, Unkrautvernichtern und Schneckengift sowohl in der Landwirtschaft als auch in Privatgärten. „Die Igel finden nicht mehr genug Nahrung oder werden Kollateralschäden von Pestizideinsätzen“, spricht Dalpez Klartext.
Viele Tiere, die in ihrer Station Aufnahme finden, sind so unterernährt, dass sie den Winter ohne Hilfe nicht überleben würden. Sichtbares Zeichen dafür ist die am Nacken stark ausgebildete sogenannte „Hungerfalte“. Derzeit befinden sich 121 Tiere in der Igelstation in intensiver Betreuung, insgesamt werden über 300 Exemplare für die Überwinterung fit gemacht.
Jungtiere müssen auch in der Nacht gefüttert werden
Darunter sind viele Jungtiere, die ihre Mutter verloren haben. Sie brauchen alle zwei bis drei Stunden Nahrung, rund um die Uhr. Und so klingelt bei der Tierschützerin auch nachts der Wecker, um den Igelkindern das Fläschchen zu geben. „Das Muttertier ist von einem Auto überfahren worden, Passanten haben dann das Fiepen der Jungen gehört und bei mir angerufen“, erzählt Dalpez, während sie ein Igeljunges füttert. Und das ist leider kein Einzelfall.
Ausgerechnet ihr natürlicher Instinkt wird den Tieren im Verkehr oft zum Verhängnis: Denn anstatt bei Gefahr die Flucht zu ergreifen, kauern Igel sich meist auf dem Boden zusammen und richten mithilfe der Hautmuskeln ihr Stachelkleid auf. Das schützt sie in den meisten Fällen vor Fressfeinden. Allerdings kann diese Abwehrtaktik nichts gegen ein herannahendes Auto ausrichten – oder die scharfen Klingen eines Mähroboters. Letztere sind ebenfalls eine große Gefahr für die Vierbeiner geworden. Auch wenn die automatisierten Gartengeräte die Stachelträger nicht komplett überrollen, so können die eingeigelten Tiere dennoch massiv verletzt werden und sogar tödliche Wunden davontragen. Tierschützer beobachten seit Jahren einen Zusammenhang zwischen steigenden Verkaufszahlen bei Mährobotern und verwundeten Tieren. „Ein Nachtfahrverbot, wie es in manchen Teilen Deutschlands für solche Geräte eingeführt worden ist, wäre sinnvoll“, meint Dalpez. Denn Igel sind für gewöhnlich dämmerungs- und nachtaktiv. Doch der Hunger treibt sie vor allem im Herbst auch tagsüber aus ihrem Versteck.
Wetterextreme haben den Igeln sehr geschadet
Die Wetterextreme des heurigen Jahres haben nicht nur uns Menschen, sondern auch den heimischen Wildtieren das Leben erschwert. Besonders bodennahe Kleintiere wie Igel laufen nach Starkregen oder Überschwemmungen Gefahr zu ertrinken oder finden keinen Rückzugsort mehr. Um so wichtiger ist die Arbeit von ehrenamtlichen Tierschützern wie Annelies Dalpez. Sie will weitermachen, solange es geht. „Mein Herz schlägt für die Tiere. Dennoch wäre es schön, wenn sich in Zukunft eine geeignete Nachfolgerin finden würde“, sagt die 83-Jährige.
Alles, was es braucht, um die Igelstation am Laufen zu halten – Medikamente, Nahrung, Igelhäuschen – wird über Spenden finanziert. „Mit zehn Euro kann ich beispielsweise schon ein paar Dosen Futter kaufen“, hebt Dalpez enthusiastisch hervor. Und das brauchen die Tiere, um sich ihr „Kampfgewicht“ von rund 700 Gramm für den Winterschlaf anzufressen. Im Frühjahr werden dann alle Igel, welche die kalte Jahreszeit in der Igelstation verbracht haben, an sicheren, pestizidfreien Plätzen in Natur und Garten entlassen.
Igelstation Nüziders: www.igelstation.at
Spenden: Tierschutzverein Bludenz IBAN: AT91 3746 8001 0001 8457
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