Im Rahmen der Metastudie, die Bonelli mit Kollegen der Duke University in Durham im US-Bundesstaat North Carolina durchgeführt hat, wurden alle Forschungsarbeiten zu Religiosität und psychischer Gesundheit untersucht, die seit 1990 weltweit in den meistzitierten psychiatrischen und neurologischen Fachzeitschriften erschienen sind. Dabei habe sich gezeigt, dass Depression, Suchtkrankheiten und auch Selbstmord bei religiösen Menschen eindeutig seltener auftrete als bei Atheisten, so der Psychiater im Gespräch mit der katholischen Nachrichtenagentur Kathpress.
Knapp drei Viertel der relevanten Studien zeigten, dass die psychische Gesundheit mit dem Ausmaß, in dem sich ein Mensch religiös-spirituell engagiert, steige, während der Zusammenhang bei 18 Prozent unklar und bloß bei fünf Prozent negativ ausfalle, so Bonelli. Bereits 1992 war eine ähnliche Vorgängerstudie zum selben Ergebnis gekommen, das sich nun in umfangreicherer und detaillierterer Form bestätigte.
"Als Medikament wäre Religion zugelassen"
Er sei "überwältigt" von dem für wissenschaftliche Verhältnisse "sehr eindeutigen Ergebnis", so Bonelli: Je nach Krankheitsgruppen - hier wurde genau aufgeschlüsselt - seien die Hinweise auf eine Schutzfunktion durch Religiosität teils äußerst stark, allen voran bei Sucht, Depression und Suizid, doch auch bei Demenz waren die Resultate vielversprechend. Religion sei somit durchaus ein mit Alter oder Geschlecht vergleichbarer psychiatrischer Parameter, so der Wiener Forscher: "Wäre Religion ein Medikament, kann man sagen, es wäre mit Sicherheit zugelassen."
Religion wurde lange Zeit besonders von Psychotherapeuten als Blockade angesehen, was Bonelli als "heute überholtes Erbe Sigmund Freuds" bezeichnet: "Freud hat viel Tolles entdeckt, scheint jedoch bei Religion von seinen klar antireligiösen Vorurteilen gesteuert gewesen zu sein. Patientenbeobachtungen dürften kaum den Ausschluss gegeben haben für seine Aussage, Religion sei 'kollektive Zwangsneurose'", so Bonelli, der selbst Dozent an der Wiener Sigmund-Freud-Universität ist und das Institut für Religiosität in Psychiatrie und Psychotherapie leitet.
Was nun genau das psychisch Gesunde von Religion - die jeweiligen Einzelstudien befragten Angehörige der Weltreligionen, Atheisten bildeten die Kontrollgruppe - ist, gehe aus der Studie nicht hervor, betonte Bonelli. Zu vermuten sei, dass Transzendenz dem Menschen dabei helfe, "sich in die Welt einzuordnen und sich nicht immer nur um sich selbst zu drehen, sondern auf andere hingewiesen zu sein". Auch Anleitungen bezüglich des gesunden Verhaltens mit der Umwelt wie etwa die Zehn Gebote rechne er dazu, sowie die "Beziehung zu einem höherem Wesen, das dem Menschen eine Stabilität gibt, die ihm guttut."
Nutzbare Ressource zum Gesundwerden
Hundertprozentig sei dieser Schutz freilich nie, "natürlich werden immer wieder auch religiöse Menschen psychisch krank oder nehmen sich das Leben", so der Psychiater. Entscheidend sei jedoch, dass Therapeuten vorhandene Religiosität von Patienten als nutzbare Ressource ansehen könnten, nach der man durchaus "ebenso wie nach der Familie" fragen solle. Religiosität "verordnen" dürfe ein Psychotherapeut dabei allerdings nicht, da dies eine inhaltliche Intervention darstelle - "das verbietet schon der Ethikkodex".
Doch auch neue Fragen würden sich durch die aktuellen Resultate ergeben, berichtete Bonelli: So basiere die Aussage, Religion habe eine vorbeugende Wirkung für Demenz oder Neurosen, erst auf wenigen Studien. Noch weitgehend ungeklärt sei zudem der Zusammenhang zu bipolaren, Ess- und Persönlichkeitsstörungen. "Spannend ist auch, in welchen seltenen Fällen Religiosität der Gesundheit nicht guttut - was also ihre pathologische Ausprägung ist." Außer Zweifel stehe nun allerdings, dass die großen Weltreligionen einen eindeutig stabilisierenden Effekt hätten, so Bonelli.
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