„Krone“-Interview

Thomas Stipsits: „Wollte Ermittler mit Empathie“

TV
28.10.2024 06:00

Mit seinen Stinatz-Krimis erobert das kulturelle Multitalent Thomas Stipsits seit einigen Jahren die heimischen Bestseller-Listen. Heute Abend (ORF 1, 20.15 Uhr) geht mit „Kopftuchmafia“ die erste Verfilmung mit ihm selbst in der Hauptrolle über die Bühne. Ein Gespräch über dörfliche Strukturen, Spaß am Set und die Macht von STS.

„Krone“: Herr Stipsits, es passiert für gewöhnlich relativ selten, dass der Buchautor dann in der Verfilmung seines Buches auch die Hauptrolle spielt. So geschehen nun beim ersten Stinatz-Krimi „Kopftuchmafia“. Visualisiert man sich so eine Rolle schon, wenn man zu schreiben beginnt?
Thomas Stipsits: 
Der Gedanke an eine Verfilmung war schon irgendwo im Hinterkopf, aber es war natürlich nicht darauf ausgelegt. Beim Buch „Kopftuchmafia“ haben wir nicht mit diesem Erfolg gerechnet. Ich hatte diese Idee von dieser Art Columbo-Figur, die ich mir schon sehr filmisch überlegt habe. Das hat anfangs aber niemanden interessiert, also habe ich halt das Buch „Das Glück hat einen Vogel“ geschrieben. Da hat sich ganz gut verkauft, dann kam „Kopftuchmafia“ raus und das hat alle Erwartungen übertroffen. Bei der ersten Auflage wurden 8000 Stück gedruckt und die waren innerhalb von eineinhalb Wochen weg. Die Leute mussten dann fast drei Wochen auf die zweite Auflage warten und aus all dem entstand ein Lawineneffekt. Die Figur des Inspektors verarbeitet auch viel von meiner Kindheit in Stinatz und ich wollte diese Figur schon auch spüren. Es ist nach wie vor ein bisschen eigenartig, dass aus dieser anfangs so kleinen Idee letztendlich ein Film wurde.

Genau heute, wo wir uns gegenübersitzen, hatten Sie den letzten Drehtag des zweiten Teils, der dann 2025 ins Fernsehen kommen wird …
Richtig, deshalb erlaube ich mir hier schon das Drehschluss-Bier zu trinken. (lacht) Es ist ein angenehmes Arbeiten, weil nicht so ein großer Erfolgsdruck herrscht. Aus der Schreiber-Perspektive her gesehen war es besonders toll, weil ich meine Geschichte frei von der Seele erzählen konnte und überhaupt keinen Vorlagen folgen musste.

Sie sind bekanntlich in Stinatz aufgewachsen – wie viel von Ihnen selbst ist denn in der Figur des Inspektors Sifkovits? Gibt es im Film nun Facetten aus Ihrer Vergangenheit, die Sie der Öffentlichkeit offenbaren?
Strenggenommen bin ich im obersteirischen Leoben und in Göss aufgewachsen, aber wir waren in den Ferien immer in Stinatz, weil man Papa von dort ist. Die Morde sind natürlich alle frei erfunden, das ist klar, aber es gibt schon viele Geschichten, die ich so oder so ähnlich als Kind erlebt habe. Teilweise gibt es diese Figuren in ähnlicher Form noch immer, denn, so blöd das auch klingen mag, mir ist es sehr wichtig, dass ich Geschichten über echte Menschen erzähle. Das war auch sehr fein von Seiten des ORF, dass wir da in der Erzählung große Freiheiten hatten. Sie hatten das Vertrauen mir zu vermitteln, dass ich selbst wohl am besten wüsste, wie es in Stinatz zugeht und ich daher das tun konnte, was ich für richtig hielt – solange es nicht den finanziellen Rahmen sprengt, was es zum Glück nicht tat. (lacht) Die Kriminalgeschichte ist die eine Sache, die Beziehung der Menschen untereinander die andere. Mir war es immens wichtig, dass man die Personen im Dorf kennenlernt. Dass es nicht primär um den Mordfall geht, sondern um die Menschen und ihre Dynamik.

Sie haben auch echte Stinatzer in die Produktion eingebunden.
Genau. Viele haben Komparsen-Rollen. Kathrin, die Wirtin vom „Stinatzerhof“, tritt auch selbst im Film auf. Wir mussten auch in puncto Ausstattung nicht so viel für den Film machen, weil vieles teilweise noch so ist, wie in den 60er-Jahren. Als der ORF das erste Mal für einen Lokalaugenschein kam, um die Motive für da Setting auszuwählen, hat er besser verstanden, was ich meinte und woran ich bei der Umsetzung dachte. Innerhalb einer halben Stunde wussten alle Stinatzer, dass der ORF da ist. Die Nachbarn sind teilweise dagestanden und haben sich aktiv eingebracht. So wurde alles sehr authentisch.

Die drei älteren Damen, die die „Kopftuchmafia“ darstellen, der Wirt und das burgenländische Lokalkolorit – der Film hat etwas sehr Lebendiges, vielleicht auch Verlorengegangenes. Auch im Film wird heute viel internationalisiert und globalisiert – das ist hier genau andersrum.
Richtig, denn mich interessiert das Internationale im Regionalen viel mehr. Dafür war Daniel Prochaska als Regisseur natürlich ideal, weil er alle seine Figuren von Herzen gerne hat. Ganz wichtig war mir vor allem, dass keine Figur wie ein Trottel dasteht. Ich habe ein großes Problem damit, dass in manchen Filmen die ländliche Bevölkerung als etwas langsamer dargestellt wird, um das diplomatisch auszudrücken. Das stimmt ja nicht und resultiert daraus, dass sich eine Handlung meist jemand ausdenkt, der mit dem Ländlichen oder dem jeweiligen Ort nie etwas zu tun hatte. In unserem Fall können wir aus einem großen Teich voller Geschichten und Authentizitäten schöpfen. Deshalb war mir auch wichtig, dass die Leute im Film so reden, wie sie eben reden.

Das lässt sich natürlich leichter bewerkstelligen, wenn ein österreichischer Film nicht mit einer internationalen Produktionsfirma geteilt werden muss.
Natürlich. Deutsche Partner sind natürlich auch für die Finanzierung eines Projekts wichtig, aber wir haben schon sehr früh klargestellt, wie diese Geschichte funktionieren muss, damit sie echt ist und ihr nicht das Herz verloren geht. Es ist dann ARTE Frankreich als Co-Produzent eingestiegen, weil die Franzosen solche Geschichten und Filme irrsinnig gerne mögen. In Frankreich ist es ähnlich wie bei uns, nur viel größer. Es gibt sehr viele dörfliche Strukturen und die Franzosen lieben regionale Storys. Wenn man dann so drehen kann, ist das natürlich ein Glücksfall. Der Film wird übrigens auch auf Französisch synchronisiert.

Wo die „Kopftuchmafia“ unterwegs ist, dort sollten sich Schurken und Bösewichte in Acht nehmen. (Bild: ORF)
Wo die „Kopftuchmafia“ unterwegs ist, dort sollten sich Schurken und Bösewichte in Acht nehmen.

Der Inspektor ähnelt der Kultfigur Columbo in vielen Facetten und er wird im Film auch oft genannt. Das Auto ist ihm nachempfunden, aber auch die Kleidung, die Tatsache, dass dem Sifkovits beim Hinausgehen immer noch eine Frage einfällt und man seine Freu nie sieht. Haben Sie sich mit dem eigenen Columbo einen Jugendtraum erfüllt?
Man kann schon sagen, dass ich ein Columbo-Nerd bin. Zu meinem 40er habe ich ein Buch geschenkt bekommen, wo wirklich die irrsten Details über ihn drinstehen. Die Columbo-Enzyklopädie. Auf der anderen Seite hat es mich immer ein bisschen gestört, dass die Kriminalermittler in der Literatur auch bei uns oft als Misanthropen gezeigt werden. So dunkel und düster, wie man es von den Skandinaviern kennt. Bei Henning Mankell hat man immer das Gefühl, sein Ermittler ist schwer alkoholkrank, weil die Frau weg ist und das Leben in Scherben liegt. Ich hatte einen anderen Ansatz. Gibt es einen Inspektor, den alle unterschätzen? Und weil sie ihn alle unterschätzen, ist er so gefährlich. Ich wollte einen empathischen Ermittler zeigen und ein Plus dafür war auch, dass der Fall prinzipiell von Anfang recht klar ist. Es wird hier keine große Weltverschwörung aufgedeckt und es gibt auch keine 18 Mafia-Paten und einen Body Count von 30 Toten. Es ist ein klassisches Kriminalrätsel, das man lösen muss. Dafür hat sich die Figur sehr gut geeignet.

Der Film weist unheimlich lange sehr viel Humor auf, kriegt am Ende aber noch einmal eine Kurve und wird dramatisch. Man sieht, wie der Inspektor persönlich in die Geschichte verstrickt ist und mit seinen Emotionen zu kämpfen hat. Das ist gen Schluss hin ein sehr starker Sprung.
Der Dreh war uns wichtig. Auch mit der Musik von Willi Resetarits, der zeit seines Lebens tief in Stinatz verwurzelt war. Überhaupt haben wir auf das Lokalkolorit gesetzt. So etwas wie die kroatische Hochzeit, die man so in ganz Österreich kaum noch findet und die eigentlich ein UNESCO-Weltkulturerbe geworden ist. In meinem neuesten Stinatz-Roman „Allerheiligen-Fiasko“ geht es um das Allerheiligenfest in Stinatz, das in der Form sonst nirgendwo mehr in Österreich zelebriert wird. Wenn man schon eine so starke Geschichte über einen Ort erzählt, dann muss man sie auch so erzählen, dass man die Bausteine dieses Ortes miterleben kann.

Eine vielleicht sonderbare Frage – aber hat der Name Sifkovits irgendwas mit der Austropop-Legende Schiffkowitz von STS zu tun?
Doch! Dazu gibt es in der Tat eine wahre Geschichte. Inspektor Sifkovits trinkt in „Kopftuchmafia“ immer Käsepappeltee und das ist die Verbindung zum Schiffi. Vor ein paar Jahren gab es Open-Air-Konzert im steirischen Judendorf-Straßengel bei Graz. Da haben Opus ihr Studio und sie haben mit Gästen gespielt. Da waren u.a. ich, Ulli Bäer oder der Schiffkowitz dabei. Es gab Backstage ein Megabuffet mit allem, was das Herz begehrt, aber der Schiffi war eine Viertelstunde vor seinem Auftritt völlig fertig mit den Nerven. Er bräuchte dringend einen Käsepappeltee, sonst könne er nicht auftreten. Es gab alles, aber natürlich nur den Tee nicht. Ewald Pfleger von Opus hat den örtlichen Apotheker angerufen, der im Publikum stand und dann extra seinen Laden aufgesperrt hat, um dem Schiffkowitz diesen Tee zu besorgen. Mich hat das beeindruckt, mit welcher Liebe und Hingabe er den unbedingt braucht, um aufzutreten und als er ihn getrunken hatte, war er auch wirklich wie ein anderer Mensch. Ohne den Schiffi hätte es Inspektor Sifkovits so gar nicht gegeben. Mittlerweile sagt er mir eh immer, ich hätte ihm seine Rolle weggenommen. Über die Tantiemen müssten wir noch reden. (lacht)

War es anfangs nicht schwierig, von Ihrer eigenen erfundenen Figur im Buch persönlich in sie im Film hineinzuschlüpfen?
Nein, überhaupt nicht. Wir haben relativ viel geprobt, damit jeder in seine Figur hineinfinden kann und da ich viel in der Gegend war und auch weiß, wie es dort ist und wie die ältere Bevölkerung redet, gab es für mich überhaupt kein Problem. Dani Prochaska hat mir auch völlig freie Hand gelassen, wie ich ihn bewege und welche Macken ich ihm zugestehe. Es ist unglaublich angenehm, wenn man einen Charakter spielen darf, der ein bisschen außerhalb der Norm steht. Man hinterfragt vieles nicht, weil er sowieso so sonderbar ist – aber auch gescheit und sehr geschickt in seiner Herangehensweise. Vordergründig würde man das aber nicht gleich vermuten.

Kann man in so einer Rolle auch etwas für weitere Filme überlassen, die es ja geben wird und die auch geplant sind? Oder ist die Figur schon so ausdefiniert, dass es nur noch um Detailverschiebungen gehen kann?
Überlassen ist vielleicht das falsche Wort, aber man kann sehr gut weiter in diesem Teich fischen. Wichtig ist, dass die Rolle so viel Spaß macht. Allein die drei Damen, die die Kopftuchmafia darstellen, sind eine absolute Wucht. Es gibt viele Szenen, die so gar nicht im Drehbuch waren und einfach improvisiert wurden, weil es passte und gut ging. Eine Tanzszene zum Beispiel, die ist einfach passiert. Ich finde es auch schön, wenn der Zuseher oder Leser das Gefühl hat, hier geborgen und ein Teil des Dorfes zu sein. Es gab in einer Tageszeitung einmal eine Rezension zu einem Album von Tom Petty. Da schrieb der Kritiker, das Album bestünde aus denselben drei Akkorden wie die letzten 15 Petty-Alben. Ich finde es sehr schön zusehen, dass ein Künstler geradlinig seinen Weg geht und sich krampfhaft an irgendwas zu orientieren, das unnatürlich wirkt. So ist auch mein Zugang. Wenn es so kommt und passt, dann kommt es und passt es so.

Die Figur des Inspektor Sifkovits hat so etwas Entschleunigtes, Althergebrachtes und Romantisches an sich. Sehen wir Menschen uns nicht zunehmend danach, weil die Welt so hektisch und unüberschaubar geworden ist?
Das stimmt ganz sicher. Leute in meinem Alter haben das Gefühl besonders stark. Die ihre Kindheit und Jugend irgendwie in die Jetztzeit herübergerettet haben und den Wunsch nach einfachen und kleinen Dingen haben, weil die Zeit so viel schneller und informationsreicher geworden ist. Bücher sind so etwas, die an früher und an etwa mehr Entschleunigung erinnern. Es gab bei meinen Stinatz-Krimis Erhebungen und ich finde es interessant, dass sie vom Enkel bis zu den Omas gelesen werden. Und auch von Leuten rund um die 40, die jetzt vielleicht schon lange urban leben, aber ländlich aufwuchsen oder im Sommer bei der Oma am Land waren und die dörflichen Strukturen kennenlernten und geschätzt haben. Das Ländliche hat aber nicht nur Vorteile, das ist auch im Film so abgebildet. Das Schöne ist aber: Wenn es hart auf hart geht, halten die Leute dort immer zusammen.

Dass verschiedene Generationen von Menschen einen Zugang zu Ihren Büchern oder Filmen haben, ist ein bisschen so, wie das Fernsehen von früher. Samstagabend und die ganze Familie schaut sich den Gottschalk an …
Total, und wenn ich mit dem Film sowas erreichen kann, dann ist das doch wunderschön. Die Leichtigkeit, die bei den Figuren im Film mitschwingt, die kommt von uns Darstellern selbst. Weil wir so viel Spaß dabei hatten. Erika Deutinger, die im Film meine Mama spielt, hat beim Dreh etwas zu mir gesagt, wo mir die Gänsehaut auffuhr: Das letzte Mal, dass sie bei einem Dreh so eine Leichtigkeit spürte, war bei „Ein echter Wiener geht nicht unter“ in den 70er-Jahren. Das hat mich wirklich berührt.

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