Was regt auf im Gemeindebau? Ein Besuch am Rennbahnweg in Wien zeigt: oft vor allem die Tatsache, dass Menschen zu wenig miteinander reden. Auch das soll ein neues Format zur Konfliktbewältigung ändern. Dass es mehr Streit als früher gibt, glaubt Vizebürgermeisterin Kathrin Gaál nicht.
Immer um 23 Uhr sprang der neue Mieter über ihr laut auf den Boden, um sie zu terrorisieren, klagte eine betagte Gemeindebau-Mieterin zuletzt gegenüber Vincent Wohinz, der für die Wohnpartner das Dialogformat „Respekt gemeinsam sicher“ (siehe weiter unten) organisiert. Er fragte beim Mieter nach. Dabei kam heraus, dass der jeden Tag um 23 Uhr schlafen geht und ihm sein Klappbett dabei auskam. Nun achtet er darauf.
Vermutete Absichten, wo es gar keine gibt
Für Wohinz ist das ein typischer Gemeindebau-Konflikt: Oft gehe es um Absichten, die es in Wahrheit gar nicht gibt – und Lösungen, sobald man miteinander redet. 70 Prozent der Konflikte lassen sich so dauerhaft lösen, schätzt Wohinz. „Lernkonflikte“ nennt das sein Kollege Burak Büyük. Schon oft hat er Mieter ein Stockwerk tiefer anhören lassen, wie ihr Sesselrücken dort klingt. „Wenn nur alle gleich Filzgleiter kaufen würden“, seufzt er.
“Drei Daumen hoch“ für Geduld während Pandemie
Die Aufreger sind seit Jahren dieselben, zählen die beiden auf: Müll, Zwist zwischen einzelnen Parteien und Streit über die Nutzung der Gemeinschaftsflächen, aber in fast jedem zweiten Fall Lärm. Gerade da gehe es oft um vermutete Motive dahinter. Wohinz nennt als Beispiel die wenigen Lärm-Beschwerden in der Corona-Zeit, obwohl alle zugleich daheim waren: „Da sag’ ich: drei Daumen hoch, die Wände sind ja doch recht dünn.“
Aus Sicht des Mieterbeirats braucht es zwei Dinge für Frieden im Gemeindebau: Respekt – „Ohne Respekt bist du falsch im Gemeindebau“ – und Dialog: „Natürlich, wenn ich Burschen im Hof blöd komme, werde ich eine blöde Antwort kriegen. Wenn ich sag’ ,Kommt’s, geht das nicht ein bissl leiser?‘, dann funktioniert das fast immer.“ Überhaupt gelte die Regel: „Wenn man nicht redet, dann ist das ja kein Konflikt. Konflikt ist, wenn man sich’s ausredet.“
Neues Dialogformat geht in Serie
Den Dialog fördern soll auch das neue Format „Respekt gemeinsam sicher“, – gemeinsame Aktionstage von Polizei, Wohnpartnern und Wiener Wohnen in den Gemeindebauten. Es hätte schon vor der Corona-Pandemie starten sollen. Jetzt, wo Menschenansammlungen kein Problem mehr sind, ist es so weit. Eine Serie aus sieben Terminen im Herbst, neben dem Rennbahnweg etwa auch im Karl-Marx-Hof und am Schöpfwerk, diente dem Rathaus als Versuchsballon. Das Echo sei gut gewesen, heißt es von den Beteiligten.
Deshalb soll das Format nun fixer Teil des Repertoires zur Konfliktbewältigung im Gemeindebau werden. Konflikte werden bei den Aktionstagen allerdings nur dann gleich vor Ort gelöst, wenn „Gefahr im Verzug ist“. Gerade bei Problemen unter Mietern mache man durch Schnellschüsse alles eher noch schlimmer, erzählen die Wohnpartner. Bei den Aktionstagen sollen die Mieter aber jedenfalls gleich den richtigen Gesprächspartner für ihre Anliegen zur Hand haben, damit dann „vorbereitet und in Ruhe“ eine Lösung gefunden werden kann.
„Lärm ist nach wie vor unser Hauptthema“
Laut Wohnbaustadträtin Kathrin Gaál will Wiener Wohnen mit den Aktionstagen zugleich „die Spielregeln des Miteinanders vorleben und einfordern“. Ihr geht es dabei nicht allein um Frieden im Gemeindebau, sondern um das Werben für die Idee des „respektvollen Miteinenanders“, denn das sei „das Um und Auf für das Zusammenleben in einer Demokratie“. Im Interview mit der „Krone“ betont sie, dass sie weiter an den Zusammenhalt im Gemeindebau glaubt.
Krone: Braucht es neue Formate zur Streitschlichtung im Gemeindebau, weil es mehr Konflikte gibt?
Kathrin Gaál: Nein, überhaupt nicht. Wir wollen so unsere Kräfte bündeln, damit sich Bewohner mit ihren Anliegen nicht von Wiener Wohnen, Wohnpartnern und Polizei im Kreis geschickt fühlen.
Spielen ethnisch-kulturelle Unterschiede bei Konflikten heute die Hauptrolle
Könnte man meinen, ist aber nicht so. Den einen oder anderen Fall wird es sicher geben, aber „Kinder spielen laut im Hof“ und Lärm sind nach wie vor unser Hauptthema, und in letzter Zeit vermehrt Müll.
Respekt im Umgang miteinander bringen wir auch ohne Hausmeisterinnen zusammen.
Vizebürgermeisterin Wohnbaustadträtin Kathrin Gaál
Bild: Holl Reinhard
Fehlen Hausmeisterinnen als ordnende Autorität?
Ich kann mich gut daran erinnern, dass früher viele auch über ihre Hausbesorger gejammert haben. Aber wir haben ja reagiert mit der Umstellung vor allem auf Einzelbetreuung. Da hat jeder fix seine Stiegen. Und zur Konfliktbewältigung haben wir die Wohnpartner gegründet. Ich glaube, da ist uns ein recht guter Ausgleich gelungen. Respekt im Umgang miteinander bringen wir auch so zusammen.
Ist die Stadt als Hausherr zu gutmütig mit schwarzen Schafen?
Ich glaube, gutmütig ist das falsche Wort. Wiener Wohnen nimmt seine Verantwortung als sozialer Hausverwalter wahr. Wir lassen uns nicht ewig auf der Nase herumtanzen, aber wir haben eben auch eine Aufgabe zu erfüllen.
Denken Sie manchmal, dass Mieter undankbar sind?
Ich erwarte keinen Dank, ich erfülle eine Aufgabe. Außerdem bekommen wir auch viel positive Rückmeldungen. Ich glaube, dass es noch immer ein besonderes Gefühl im Gemeindebau gibt. Es sind halt oft die lauter, die sich beschweren, als die, die zufrieden sind.
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