In der sechsteiligen Serie „Die Macht der Kränkung 2“ schickt Regisseur Daniel Geronimo Prochaska einen üppigen Cast auf eine emotional-aufwühlende Reise durch die Untiefen familiärer und freundschaftlicher Verstrickungen. Eine mitreißende Drama-Reihe, die nicht so schnell loslässt.
Mit der Kränkung als Urquell aller Emotionen lassen sich dieser Tage wohl zum zweiten Mal gute Quoten machen. Vor drei Jahren überraschte der von Umut Dağ inszenierte Sechsteiler „Am Anschlag“ mit einem Amokszenario in einem Einkaufszentrum, bei dem in jeder Episode eine Figur ins Zentrum gestellt wurde, während sich die Hauptgeschichte miteinander verwob. Einen ähnlich, aber doch wieder ganz anderen Ansatz verfolgt „Die Macht der Kränkung 2“ (ORF 1, am 31. Oktober und 1. November um 20.15 Uhr, jeweils in Triple-Folgen). Der viel zu frühe Tod von David (Golo Euler) entsetzt die Hinterbliebenen. In einem von ihm verfassten Brief, der bei der Trauerfeier verlesen wird, rechnet er überraschend mit den Menschen in seinem Umfeld ab. Seine Worte entzünden schwelende Konflikte, man beginnt sich gegenseitig zu bezichtigen, alte Gräben reißen auf.
Bewusst viel Zeit
Aus der Perspektive seiner Schwester Mirjam (Antonia Bill), seines besten Freundes Roko (Mohamed Achour), seiner Mutter Rosa (wunderbar gebrochen: Barbara Auer), seiner Frau Julia (Angelina Häntsch) und seines Sohnes Leon (Léon Orlandianyi) werden die verschiedenen Ansichten und Wunden aufgezeigt, die kollektive Kränkung hinterlassen. So fügen sich die Puzzleteile zu einem Bild zusammen, das die Sichtweisen und Haltungen des Verstorbenen und seines Umfelds näher begreifbar macht. Inszeniert wurde das ambitionierte Projekt von Daniel Geronimo Prochaska, für den „Die Macht der Kränkung 2“ der bisher härteste Dreh seines Regisseur-Daseins war. „Jeder findet etwas, was er aus der eigenen Familie kennt“, erzählt er im „Krone“-Interview, „es ist bewusst keine Serie mit hohem Tempo, die einzelnen Figuren kriegen viel Zeit.“
Eine herausfordernde Besonderheit von „Die Macht der Kränkung 2“ ist der breite Cast, der auch hier wieder verschiedene Zeitebenen verknüpft. Immer wieder rückt die Handlung in die Vergangenheit und sucht nach den Ursachen der Verwerfungen in der Gegenwart. Die jüngeren Alter Egos der handelnden Personen werden dementsprechend von einem jüngeren Cast gespielt, was der Zusammenarbeit aber nicht abträglich war. „Wir haben zuerst die Szenen mit den jungen Darstellern abgedreht und die älteren haben sich daran orientiert. Diese Limitierung für die Älteren gab ihnen die Chance, etwas Eigenes daraus zu machen. Die Kostümproben fanden gemeinsam statt und wir konnten schon über die Kleidung einen guten Übergang schaffen. Zudem haben sich privat alle bestens verstanden. Die alteingesessenen Darsteller wollten beweisen, wie gut sie sind, weil die jungen kräftig vorgelegt haben.“
Dreharbeit als Kraftakt
Eine so große Belegschaft bei Laune zu halten und auch allen genügend Raum in der Serie zu geben, ist eine Kunst. „Ich denke schon, dass das die Höchstgrenze an Schauspielern für so ein Projekt war“, lacht Prochaska, „man muss den Energielevel hochhalten, aber es war für mich aufregend-positiv zu sehen, dass sich jeder voll einbrachte. Für mich war es herausfordernd, dass die Darsteller in ihren Rollen nicht untergehen.“ „Die Macht der Kränkung 2“ ist von einer überbordenden Melancholie und unzähligen menschlichen Rückschlägen und Verwerfungen durchzogen. Allein für die Beerdigungsszene auf einem Friedhof in Wien-Liesing wurde knapp drei Wochen gedreht. „Es ist ein Kraftakt, wenn man sich so stark hineinfühlen muss und die Trauer dann auch mitnimmt. Wichtig war, dass man nach jedem Take laut auflachen konnte, um sich dazwischen davon lösen zu können.“
Auch der zweite Teil der Serie ist dem gleichnamigen Bestseller „Die Macht der Kränkung“ des Vorarlberger Psychiaters Reinhard Haller nachempfunden. Prochaskas Umsetzung ist mehr Drama als Krimi und lebt von den stark gezeichneten und gespielten Figuren. „Mir war besonders wichtig, dass es ein positives Ende gibt. Dass alle daraus lernen, wie man besser mit Menschen umgeht. Es gibt Szenen, wo man sieht, dass das zerstrittene Geschwisterpaar eine starke Bindung hat oder die Verbitterung bei den älteren Familienmitgliedern nicht immer überhandnimmt. Ohne diese Lichtpunkte wäre die Serie für den Zuseher sehr harte Kost geworden.“ Neben Familienfehden geht es um das Patriarchat, strukturierten Rassismus oder die Veränderung von Rollenbildern in der Gesellschaft. „So eine Serie ist auch dafür da, um die Leute wieder wachzurütteln. Die wichtigste Botschaft ist, dass es nie zu spät ist, um etwas zu ändern. Wenn man die Serie sieht, denkt man vielleicht kurz darüber nach, wie man selbst durch die Welt geht. Auch wenn dieses Fenster der Aufmerksamkeit schnell wieder zu ist.“
Hoffnung und Vergebung
Ein wichtiger Teil der Produktion ist die Theorie der Wellenbewegungen. Dass alles, was man tut oder nicht tut, direkte und indirekte Auswirkungen auf die gesamte Umwelt hat. „Jeder macht im Leben Fehler und verletzt oder kränkt unbewusst andere Menschen. Durch die Wellenbewegungen hat man aber auch immer die Chance, Dinge zu ändern. Würde jeder zu viel darüber nachdenken, was er tut oder nicht tut, dann hätte niemand mehr Zeit, um wirklich zu leben. Da wir aber alle aus Fehlern lernen, könnten wir achtsamer leben.“ Ein weiteres Kernelement der Serie ist die Lüge. „Hier wird eine Lüge in den Tod getragen und sie bringt alles ins Rollen. Manche Lügen sind nicht nur negativ, sondern können auch schützend wirken. Im Gegensatz zur ersten Staffel gibt es bei unserer Produktion viel Hoffnung. Es geht um Vergebung.“
Die Dreharbeiten zu „Die Macht der Kränkung 2“ waren zeitweise unheimlich intensiv. „Die Wellenbewegungen gab es auch am Set“, erinnert sich Prochaska an das 2022 abgedrehte Projekt zurück, „als Vater von zwei Kindern hatte ich selbst Tränen in den Augen, als bei Davids Abschiedsbrief in Richtung seines Sohnes Worte fallen wie ,ich würde dich so gerne aufwachsen sehen, aber kann das nicht‘. Jeder kann sich selbst mit derartigen Problemen in der Verwandtschaft oder innerhalb von Freundschaften identifizieren.“ Ein besonderes Schmankerl für Musikfreunde ist der perfekt kuratierte Soundtrack, der Nick Cave, R.E.M. oder Brian Eno genau in den richtigen Momenten in Szene setzt. Prochaska setzte dabei auf selbst zusammengestellte Spotify-Playlists. „Die bekam der Cast, um vor der jeweiligen Szene gut in das Thema reinzukommen.“
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