Die Gewalteskalation der vergangenen US-Wahl steckt noch vielen Amerikanern in den Knochen. Das knappe Duell zwischen Donald Trump und Kamala Harris schürt Ängste vor neuen Ausschreitungen. Mehrere Faktoren tragen dazu bei.
Nach den dramatischen Ereignissen rund um die Wahl 2020 gibt es auch bei der diesjährigen US-Präsidentschaftswahl die Sorge, dass es nach dem 5. November härteste Auseinandersetzungen um das Ergebnis geben könnte – vor Gericht oder auf der Straße.
Wie schon vor vier Jahren verbreitet der rechtspopulistische Präsidentschaftskandidat Donald Trump ohne Unterlass die Verschwörungslüge, er könne die Wahl nur verlieren, wenn die Gegenseite massiv betrüge. Mehrfach hat er sich im Wahlkampf geweigert zu sagen, dass er eine Wahlniederlage und danach einen friedlichen Übergang zur nächsten Amtszeit akzeptieren werde.
Das Weiße Haus als Schutz vor Justiz
Nach wie vor behauptet er entgegen aller vorliegenden Beweise, er sei bei seiner Niederlage 2020 gegen Joe Biden um den Sieg betrogen worden. Wegen seiner Versuche, das Ergebnis der Wahl zu manipulieren, ist er wegen Verschwörung gegen die Vereinigten Staaten angeklagt.
„Wenn er verliert, dann bin ich sicher, dass er Betrug schreien wird“, sagt der Politikwissenschaftler Donald Nieman von der Universität Binghampton. „Er wird alles in Bewegung setzen, um das Ergebnis umzukehren. Er ist nicht nur ein schlechter Verlierer – er gibt niemals eine Niederlage zu.“
Bei der demokratischen Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris gehen laut einer Umfrage des Pew Research Center vom 10. Oktober 95 Prozent ihrer Anhänger davon aus, dass sie eine Niederlage akzeptieren würde; nur 48 Prozent der Trump-Wähler teilen diese Einschätzung.
Metallbarrieren rund um das Kapitol und das Weiße Haus
Zwei von drei Befragten befürchten laut einer Ipsos-Umfrage vom 24. Oktober neue Gewalt nach dem 5. November. Das politische Klima ist aufgeheizt und vergiftet; nachdem Trump seine Rivalin im Wahlkampf wochenlang beschimpft und diffamiert hat, bezeichnet Harris den 78-Jährigen inzwischen als Faschisten.
Die Sicherheitsdienste in Washington haben sich intensiv auf die kritische Übergangsperiode von der Wahl bis zum Tag der Vereidigung am 20. Jänner vorbereitet. Die Kapitolspolizei, die am 6. Jänner 2021 von fanatischen Trump-Anhängern überrannt wurde, wurde um 300 auf 2100 Beamte aufgestockt. Rund um das Weiße Haus und das Kapitol, den Sitz des Kongresses, sind Metallbarrieren aufgestellt.
Für den 6. Jänner 2025, wenn das Ergebnis der Wahl durch den Kongress bestätigt werden soll, ist das gleiche hohe Maß an Sicherheitsvorkehrungen vorgesehen wie für die Vereidigung am 20. Jänner.
Die in den USA aktiven rechtsextremen Milizen, die vor vier Jahren am Sturm auf das Kapitol beteiligt waren, sind zuletzt wenig in Erscheinung getreten. Hunderte Milizionäre, darunter die Anführer, wurden vor Gericht gestellt und teils zu langen Haftstrafen verurteilt. Gewaltforscher gehen davon aus, dass dies abschreckende Wirkung hatte – halten es aber nicht für ausgeschlossen, dass spontan gewaltbereite Milizionäre auf den Plan treten.
Es droht eine Justizschlacht
Vor vier Jahren fand die Präsidentschaftswahl am 3. November statt, das Ergebnis stand erst vier Tage später fest. Trump hatte damals in der Wahlnacht sofort den Sieg für sich reklamiert und zugleich auf allen Kanälen die Behauptung vom Wahlbetrug verbreitet.
Die Demokraten antizipieren für diese Wahl ein ähnliches vorgehen. „Wir haben die Ressourcen und die Erfahrung, um zu reagieren“, sagte Harris in der vergangenen Woche. Trump ist dieses Mal nicht amtierend und hat nicht die Macht, die Bundesbehörden oder etwa die Nationalgarde für seine Zwecke zu nutzen. Damals setzte er alle Hebel in Bewegung, um das Wahlergebnis vor den Gerichten anzufechten – in keinem einzigen Fall erhielt er Recht.
Dieses Mal ist das Trump-Lager besser vorbereitet: Es hat eine Armee von 100.000 Freiwilligen und tausende Anwälte rekrutiert, die den Auftrag haben, die „Korrektheit“ der Wahlen zu überwachen. Trumps Team hat bereits mehr als 130 Beschwerden in 26 US-Bundesstaaten gegen das Wahlprozedere eingereicht. Die Beschwerden reichen von der Wählerregistrierung, über die Organisation der Stimmabgabe bis hin zur Frage, wer überhaupt wählen darf.
Die demokratische Gegenseite hat rund 35 Beschwerden eingereicht. Der Boden ist bereitet für eine monatelange Justizschlacht und Betrugsvorwürfe aller Art. Letzte Instanz für die Rechtsstreitigkeiten ist der Oberste Gerichtshof, den Trump durch die Nominierung von drei Richtern in seiner ersten Amtszeit in eine Bastion der Konservativen verwandelt hat.
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