Im ambitionierten Sechsteiler „Die Spaltung der Welt: 1939-1962“ (ORF, ab 6. November, 23 Uhr) vermischen sich Schauspiel und reale Archivaufnahmen mit einer Rückschau auf einschneidende Ereignisse in der Weltpolitik anhand von sechs unterschiedlichen Charakteren. Eine gelungene Geschichtsstunde, die leider auch nicht an Aktualität eingebüßt hat.
Mit dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen begann am 1. September 1939 der Zweite Weltkrieg, der in seiner sechsjährigen Dauer nicht nur rund 60 Millionen Menschen das Leben kosten, sondern auch die gesamte Weltordnung verändern sollte. Das ist die Grundlage der sechsteiligen Doku-Drama-Reihe „Die Spaltung der Welt: 1939-1962“, die sich eindringlich mit einer geschichtlich besonders intensiven und Grenzen-verschiebenden Ära befasst. Während die Welt durch den Angriffskrieg der Deutschen am Rande des Abgrunds steht, müssen sechs Menschen in verschiedenen Ländern und Lebenssituationen Entscheidungen treffen, die den Fortgang der Zivilisation nachhaltig beeinflussen.
Fokus auf die Spaltung
In jeweils 52-minütigen Episoden konzentriert sich die internationale Koproduktion, an der sich auch der ORF beteiligte, auf die einzelnen Menschen, ihre Charakterzüge und ihre völlig voneinander divergierenden Sichtweisen auf Gegenwart und Zukunft. Geschickt werden fiktives Schauspiel mit realen Begebenheiten und echtem Archivmaterial miteinander verwoben, um auch einem jüngeren Publikum einen genaueren Einblick in eine Zeit zu geben, in der die pure Existenz der Welt mehrmals auf der Kippe stand. Im Zentrum des Geschehens steht dabei immer die Spaltung zwischen Ost und West, die mit Beginn des Zweiten Weltkriegs zum nicht enden wollenden Dauerthema mutierte.
Inhaltlich folgt der Mehrteiler den Lebenswegen von Wernher von Braun, Hedwig Höß, Nikita Chruschtschow, Joan Hinton, Golda Meir und Frantz Fanon. Der aus gutem Hause stammende Physiker und Maschinenbauer von Braun will den Weltraum erobern, packelt dafür aber mit der SS und ist mitverantwortlich, dass bei der Herstellung der „Wunderwaffen“ zehntausende Zwangsarbeiter ihr Leben verlieren. Hedwig Höß versucht ihren Kindern im Dienstvillen-Garten neben dem KZ Auschwitz ein normales Leben vorzugaukeln. Nikita Chruschtschow wird von Josef Stalin in die Schlacht um Stalingrad entsandt und muss folgenschwere Entscheidungen treffen.
Schirmherr des Antikolonialismus
Joan Hinton arbeitet mit Robert Oppenheimer am „Manhattan-Projekt“, wendet sich aber nach den Atombombeneinsätzen in Hiroshima und Nagasaki entsetzt von ihrem bisherigen Leben ab und geht nach China, um auf einem Bauernhof zu leben. Golda Meir kämpft unermüdlich für ein friedliches Leben von Juden im neu gegründeten Staat Israel und lässt sich dabei weder von Rückschlägen noch von Folgekriegen im palästinensischen Gebiet aufhalten. Frantz Fanon dient zuerst im Zweiten Weltkrieg für Frankreich an der Front und ist fortlaufend mit Rassismus konfrontiert. Nach dem Krieg lässt er sich zum Psychiater ausbilden und vermittelt beim Krieg zwischen Frankreich und Algerien an beiden Fronten. Er gilt als Schirmherr des Antikolonialismus.
Neben der eindringlichen Charakter- und Geschichtszeichnung überzeugt das monumentale Projekt vor allem mit den geschickt gesetzten Querverbindungen, die sich durch die einzelnen Personen ergeben. Während man als Zuseher zwischen den Jahren und verschiedenen Orten hin- und herspringt, ergibt sich ein aufbauendes Kaleidoskop aus Schicksalen, die unbewusst ineinandergreifen und den globalen Zustand nachhaltig verändern. Die aufwändigen und gut gespielten Szenen werden mit sanft eingestreuten Augenzeugenberichten vermischt.
Konflikte mit beängstigender Aktualität
Besonders mitreißend und bedrückend sind seltene Archivaufnahmen, die eigens für die Produktion erstmals koloriert wurden. Reale Aufnahmen von KZ-Todesopfern aus Auschwitz oder dem Atombombenabwurf auf Hiroshima lassen einen auch nach 80 Jahren noch sprachlos zurück. „Die Spaltung der Welt: 1939-1962“ soll vor allem jüngeren Menschen einen fühlbaren Geschichtszugang vermitteln und hält uns noch einmal drastisch vor Augen, dass mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs noch lange nichts gewonnen war, sondern immer neue Brandherde quer über den Globus aufloderten. Der Ende der 1940er-Jahre aufflammende Israel-Palästina-Konflikt ist von erschreckend grauenhafter Aktualität. Am Ende liegt es immer an uns selbst, wie wir die Welt und unsere Zukunft gestalten wollen. Nur schade, dass der ORF die Reihe so spät in die Nacht verräumt …
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