Vergangene Woche erschien in der „Krone“ ein Abgesang des Schriftstellers Robert Schneider auf die heutige Kulturszene. „Krone“-Wissenschaftsexperte Dr. Christian Mähr hat der Text nicht unberührt gelassen – und daher antwortet er mit einer Replik:
„Wir berühren und wir empören einfach nicht mehr“ hieß die Überschrift. Schnell stellt sich heraus: Robert Schneider meint mit „wir“ die Kulturszene, die sich „in erster Linie selbst beamtet und mehr und mehr an gesellschaftlicher Relevanz verliert“. Unruhig geworden, lese ich weiter und werde mit einem tiefherbstlichen, verstörenden Bild einer bedeutungslos gewordenen Schar von Kulturheroen konfrontiert, die, obsolet geworden, vor den Trümmern ihrer Existenz stehen. Na ja, das ist vielleicht etwas überspitzt formuliert, es ist ja nicht so, dass sich die Kolleginnen und Kollegen bei einem Kloster um eine Armensuppe anstellen müssten. Man sollte besser sagen: Sie leiden laut Schneider allesamt unter „verlorener Bedeutsamkeit“. Und gehen, wie er in einem wunderschönen Bild schildert, Hand in Hand im bunt belaubten Herbstwald dem letzten Abendrot entgegen.
Steht es denn wirklich so schlimm um die Kultur?
Mich hat der – wie immer glänzend geschriebene – Text erschüttert. Ich griff zum Taschentuch. Steht es denn tatsächlich so schlimm? „Es ist keine Schande, vergessen zu werden, aber traurig, dass wir die Menschen nicht mehr berühren … dass wir keine, aber auch gar keine Rolle mehr spielen, außer an runden Geburtstagen“, so endet der Artikel.
Hat Schneider recht? Natürlich hat er recht! Aber muss er das so explizit in die Zeitung schreiben? Was mich nämlich am meisten beunruhigt: Oft lache ich die ganze Woche nicht bis zu seiner Glosse in der „Samstag-Krone“ – wie kommt nun die Frohnatur Robert Schneider zu einer so düsteren Betrachtung? Und ich nicht?
Das hat vielleicht biografische Gründe. Zum Beispiel hat der Vorarlberger Schriftstellerverein „Literatur Vorarlberg“ rund 180 Mitglieder. Ich habe mir die nun nicht alle durchgesehen, vermute aber, dass niemand von denen, mich eingeschlossen, in 40 Jahren noch irgendeinem Menschen irgendetwas sagen wird – ausgenommen ein, zwei Ausnahmen.
Niederschmetternd! Aber werfen wir doch einen Blick auf die Liste derer, die es „geschafft“ haben – auf die Liste der Nobelpreisträger für Literatur. Das sind 121 Personen. Davon waren mir 56 dem Namen nach bekannt, von einem knappen Dutzend habe ich irgendwas gelesen. Eine, Herta Müller, saß sogar eine Reihe vor mir bei einer Veranstaltung der Frankfurter Buchmesse. Ich weiß nicht, wie repräsentativ dieses Ergebnis für die große Mehrheit unserer Mitbürger ist, vermute aber: nicht sehr. Ich musste schon beruflich immer viel lesen.
Aber vielleicht sollten wir was Näherliegendes anschauen: den Deutschen Buchpreis. Den gibt’s erst seit 2005, von den 20 Gewinnern kenne ich sogar zwei persönlich, natürlich wieder berufsbedingt. Ich bin auch mit einigen Verlagen bekannt geworden – wobei ich zugeben muss, dass ich auf die Mehrzahl dieser Bekanntschaften im Rückblick gern verzichtet hätte.
Der Einfluss war immer schon beschränkt
Was lehrt uns dies? Vor allem eins: Der Einfluss der Literatur auf Politik, gesellschaftliche Strömungen, auf die GESCHICHTE ist beschränkt und war das auch immer. Die bewunderten Kollegen der 60er-Jahre haben sich da eventuell ein bisschen überschätzt. Die großen Strömungen der Zeit werden von ganz anderen Mächten angetrieben. Nicht vom Geschriebenen. Der gegenteilige Eindruck entsteht durch die Medien und ihr Naheverhältnis zur Literatur. Schließlich lautet eine harsche Definition von Journalisten: Leute, die auch immer schon ein Buch schreiben wollten.
Heute ist viel von Blasen die Rede, von Echokammern des Internets und so weiter. Die Literatur-Medien-Blase existiert bereits seit der Erfindung der Rotationsdruckmaschine, dazu braucht es keine ausgefeilte Elektronik.
Fazit: Wir waren halt nie so wichtig, wie wir gemeint haben. Trost ist das keiner, das gebe ich zu. Vielleicht ist das Folgende tröstlich: Man sagt ja, keiner komme aus dem Zwischenreich des „Limbus“ ins echte Paradies, solange sein Name noch irgendeinem lebenden Menschen geläufig sei. Erst das völlige Vergessen-worden-Sein öffnet die Himmelspforten. Wollen die Kunstschaffenden also wirklich Jahrzehnte, vielleicht Jahrhunderte mit Thomas Bernhard und Konsorten in diesem Limbus herumhocken? Und reden? Über Literatur natürlich. Und wer den Buchpreis 2024 hätte bekommen sollen… Das blanke Grauen! Wäre es da nicht besser, vergessen zu werden? Und gar keine Rolle zu spielen – auch an Gedenktagen, an denen dann niemand an uns denkt.
Okay, das wurde nun ein bisschen sehr elegisch. Aber was soll ich machen? Heute ist Allerseelen…
Kommentare
Willkommen in unserer Community! Eingehende Beiträge werden geprüft und anschließend veröffentlicht. Bitte achten Sie auf Einhaltung unserer Netiquette und AGB. Für ausführliche Diskussionen steht Ihnen ebenso das krone.at-Forum zur Verfügung. Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.
User-Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Betreibers/der Redaktion bzw. von Krone Multimedia (KMM) wieder. In diesem Sinne distanziert sich die Redaktion/der Betreiber von den Inhalten in diesem Diskussionsforum. KMM behält sich insbesondere vor, gegen geltendes Recht verstoßende, den guten Sitten oder der Netiquette widersprechende bzw. dem Ansehen von KMM zuwiderlaufende Beiträge zu löschen, diesbezüglichen Schadenersatz gegenüber dem betreffenden User geltend zu machen, die Nutzer-Daten zu Zwecken der Rechtsverfolgung zu verwenden und strafrechtlich relevante Beiträge zur Anzeige zu bringen (siehe auch AGB). Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.