Zeitenwende beim FC Red Bull Salzburg! Geschäftsführer Stephan Reiter spricht im großen Interview mit der „Krone“ über mehr Routine in der Mannschaft. Zugleich nimmt er Stellung bei der Frage, wer die Schuld an der aktuellen Misere trägt. Plus: Ein Auftrag von Dietrich Mateschitz und wie er über Jürgen Klopp denkt.
„Krone“: Die sportlichen Erfolge fehlten zuletzt ebenso wie Tore und der typische Red-Bull-Fußball. Wer trägt die Schuld für die aktuelle Krise?
Stephan Reiter: Da muss man ein Stück weit in die Vergangenheit schauen und verstehen, was uns als Klub in den letzten Jahren zusätzlich zu den zehn Meistertiteln in Serie und zum fünfmaligen Erreichen der Champions League gelungen ist. Hinzu kamen Transferrekorde. Das war fast einzigartig, wenn es um die Entwicklung junger Spieler und Trainer geht. Dadurch haben wir eine Flughöhe erreicht, in der es eines riesigen Kraftaufwands bedarf, um sie zu halten. Es entstand eine Erwartung, dass wir immer gewinnen und alle dominieren müssen. Aber da stieß unser System an Grenzen. Wir haben schon in den letzten zwei, drei Jahren gesehen, dass es immer schwieriger wurde, denn die verliefen bei weitem nicht reibungslos. Ein wichtiger Schritt ist zu erkennen, dass wir aktuell nicht die Besten sind und was es zu tun gilt, um dort wieder hinzukommen. Daraus gilt es zu lernen, dieser Prozess findet gerade statt. Wir haben uns daher gemeinsam und ganz bewusst dazu entschieden, dass wir uns weiterentwickeln müssen.
Warum wurde der Vorsprung immer geringer?
Wir wurden in der Art, in der wir Fußball gespielt haben, berechenbar und kopierbar. Wir sind auch nicht mehr die Einzigen, die auf „Jugend forscht“ setzen. Fakt ist auch, dass in der Bundesliga in zehn weiteren Klubs Red Bull drinsteckt – das gilt genauso für die Topklubs, auch wenn das ein Wiener Verein vielleicht nicht gerne hört (lacht). Uns hat in der Vergangenheit in die Karten gespielt, dass andere Klubs relativ oft den Trainer gewechselt haben und dadurch wenig Stabilität hatten. Nun ist der Vorsprung geringer geworden, wir wurden in der letzten Saison nicht Meister. Daher haben wir uns nach reiflicher Beratung mit unseren sportlichen Experten und durch Nutzen unseres Netzwerks entschlossen, dass wir uns auf eine neue Art und Weise weiterentwickeln müssen. Wir mussten eine Veränderung vornehmen, um mittelfristig wieder zu ermöglichen, eine österreichische Liga zu dominieren und einen Wettbewerbsvorsprung zu haben. Unser Grundkonzept, Spieler auszubilden und ihnen die Möglichkeit zu geben, sich zu entwickeln, behalten wir selbstverständlich bei. Das war eine bewusste Entscheidung und Berni (Seonbuchner, Anm.) ist es dabei gelungen, mit Pep Lijnders einen höchst kompetenten Trainer zu verpflichten. Der Prozess hat fantastisch begonnen, da haben wir gesehen, was möglich ist, wenn man befreit und offen an die Aufgabe herangeht. Ich wusste aber auch, dass es nicht linear nach oben gehen würde. Unsere Vorbereitung war exzellent, wir haben uns erneut für die Champions League qualifiziert. Das war wirtschaftlich hervorragend. Ob uns das in unserer sportlichen Entwicklung geholfen hat, muss aber in Frage gestellt werden. Wir sind jetzt noch nicht auf dem Niveau, das sieht man ja deutlich und da gibt es nichts schönzureden. Es gibt daher auch nicht den einen Schuldigen. Auch wenn das viele fordern, wäre es zu einfach, einen rauszupicken und dem alles umzuhängen.
Es gibt nicht den einen Schuldigen. Auch wenn das viele fordern, wäre es zu einfach, einen rauszupicken und dem alles umzuhängen.
Stephan REITER über die Schuldfrage
Salzburg ist stark vom Erfolgsweg, eigene Trainer nachzubesetzen, abgekehrt. Es kam mit Pep Lijnders ein externer Coach, der auch sein Betreuterteam mitbrachte. War das ein wesentlicher Teil des neuen Ansatzes?
Nach 30 Jahren Berufserfahrung ist mir klar, dass du nichts verändern kannst und zugleich das Alte erhalten. Du kannst nur etwas verändern, indem man Neues wachsen lässt. Darum haben wir uns im sportlichen Bereich entschieden, das gemeinsam zu tun. Die Trainer-Pipeline war schon, als wir Gerhard Struber geholt haben, ein Stück weit erschöpft. Das hat damals auch schon Christoph Freund so interpretiert. Wenn man das immer intern nachbesetzt, birgt es die Gefahr, zu sehr in deiner eigenen Suppe zu kochen. Wir haben dann Pep Lijnders geholt und waren glücklich, dass ein Mann mit seinem Wissen gekommen ist!
Gab es einen Knackpunkt?
Der FC Red Bull Salzburg ist zu Saisonbeginn angetreten, um Cupsieger zu werden und den Meistertitel zurückzuerobern. Dazu wollten wir in Europa spielen. Die Qualifikation zur Champions League hat uns zu diesem Zeitpunkt selbst ein wenig überrascht. Die zwei anderen Ziele bleiben unverändert, die schreiben wir auch auf keinen Fall ab! Wir sehen aber, dass der Weg dorthin herausfordernd wird.
Was ist nach der Partie in Prag passiert?
Ab diesem Spiel ist es extrem herausfordernd geworden, unsere Leistungen haben deutlich nachgelassen. Das hat aber auch verschiedene Gründe. Wenn ich etwa die Nettozeit errechne, wie oft der Coach die Mannschaft zum Training zur Verfügung hat, sind das abgerechnet der internationalen Pausen nur viereinhalb Wochen. Jede einzelne war eine englische Woche mit zwei Spielen. Dann hast du noch einen Regenerationstag und eine Spielvorbereitung. Konkret bedeutet das, dass das Trainerteam zehn bis zwölf Tage hatte, in denen es mit der Mannschaft arbeiten konnte. Dazwischen haben wir in der Champions League mit einer jungen Mannschaft, die sich in einem Veränderungsprozess befindet, permanent Lehrgeld zahlen müssen. Drumherum passieren dann noch Dinge wie die Geschichte mit Janis Blaswich und Alexander Schlager und Verletzungen, sodass der Trainer gezwungen ist, anders aufzustellen. Ich verstehe jeden Fan, der das von der Tribüne aus verurteilt. Ich sehe aber auch, was alles im Hintergrund passiert und wie hart gearbeitet wird. Daher gilt es die Ruhe zu bewahren. Es war immer eine Stärke von uns, den richtigen Dingen eine Chance zu geben und genau das werden wir auch jetzt mit Sicherheit machen. Die momentane Situation erfordert viel Kraft, ich spüre aber auch, wie der Druck von außen alle intern zusammenschweißt. Wenn ich in die Vergangenheit blicke, gab es auch da – Stichwort Düdelingen - schwierige Phasen. Danach wurde auch vieles adaptiert, da hatte man den Mut, Dinge zu erwarten und zuzulassen. Nach dem Soriano-Transfer gab es „Christoph Freund raus“-Plakate, er wurde als Ahnungsloser und Lehrling bezeichnet. Heute arbeitet er für Bayern München. Auch da haben wir die Nerven nie weggeschmissen. Das vergisst man nur sehr schnell.
Wo sehen Sie den Klub aktuell in seiner Gesamtheit im Vergleich mit Sturm Graz oder Rapid?
Vom wirtschaftlichen Gesichtspunkt betreffend Kaderwert und den restlichen Parametern ist der FC Red Bull Salzburg klar der stabilste Klub. Das war aber auch letztes Jahr der Fall und wir wurden trotzdem sehr knapp nicht Meister. Zuletzt haben wir einen für unsere Verhältnisse ziemlich ruhigen Transfersommer erlebt.
Was erwarten Sie sportlich?
Ich traue der aktuellen Mannschaft absolut zu, den Meistertitel zu holen, auch wenn wir momentan zu kämpfen haben. Die Qualität im Kader ist sicher da, jene des Trainerteams ebenso, die Infrastruktur dafür haben wir auf jeden Fall. Das sind schon mal viele wichtige Faktoren, die für uns sprechen. Müssen wir dazu wieder in die Spur finden? Zu hundert Prozent ja! Hilft die Champions League zum aktuellen Zeitpunkt? Wahrscheinlich nein! Und dennoch freuen wir uns, dort spielen zu können.
Das heißt, der Verein wird kurzfristig nicht in personeller Form reagieren?
Ich sehe nach wie vor den Auftrag und die Idee von Dietrich Mateschitz: Den Fußball weiterentwickeln, dabei innovativ sein und nach vorne denken, analog zu unserem Leitbild. Zum jetzigen Zeitpunkt sehe ich absolut keinen Anlass, etwas zu verändern.
Der Fanblock wird immer kleiner, die Anhänger verlassen vorzeitig das Stadion. Der Ärger ist riesig. Braucht es da Zugeständnisse?
Ich räume nicht aus, dass wir da in den vergangenen Jahren auch Fehler gemacht haben. Mir war klar, dass während unseres Höhenflugs nicht jeder Stadionbesucher ein echter Fan war. Wir haben aber dennoch sehr viele, die sich intensiv mit dem Klub auseinandersetzen und identifizieren. Ich verstehe, dass man derzeit ein paar Bedenken hat. Wir haben die Fans wahrscheinlich zu wenig auf die Veränderungen eingestimmt, die im Sommer begonnen haben.
Wir haben die Fans wahrscheinlich zu wenig auf die Veränderungen eingestimmt, die im Sommer begonnen haben.
Stephan REITER
Die Fans sind erzürnt, wenn der Trainer ein 0:0 bei Wattens für gut befindet oder der Sportdirektor darüber spricht, mit diesem Kader sollte man vorne mitspielen können.
Das hat auch mich etwas überrascht, ich verstehe aber, warum sie das sagen. Es braucht keiner glauben, dass Pep oder Bernhard zufrieden sind, wenn wir gegen Wattens unentschieden spielen. Aber es ist verständlich für mich, dass sie sich in solchen Momenten vor die Mannschaft stellen.
Sie haben gerade Fehler eingestanden. Das hätten sich viele Fans auch von den im sportlichen Bereich Verantwortlichen gewünscht. Muss sich Salzburg die Kritik gefallen lassen, Dinge schönzureden?
Ich versuche immer Herausforderungen von Emotionen zu befreien und sie erst dann zu lösen. Wenn die Offiziellen dann auch noch auf die Spieler draufhauen oder auf den Trainer oder den Sportdirektor, dann stellt sich die Frage, wie hilfreich das ist.
Es würde reichen, das Kind beim Namen zu nennen.
Ich kann alle in der Außenwelt beruhigen, dass wir das sehr kritisch diskutieren.
Nach außen hört man davon wenig.
Nicht alles kann in der Öffentlichkeit besprochen werden. Was klar ist: Fans wollen Siege sehen, die liefern wir zurzeit zu wenig. Unser Job ist es trotzdem, die Prozesse zu sehen und Ruhe zu bewahren. Was mir schon zu denken gibt, ist, wie massiv Kritik von einem Moment auf den anderen auf uns einbricht. Mir haben Leute gratuliert und den neuen Trainer als „besten Deal ever“ bezeichnet. Sie wollten unbedingt ein Viererpackage für die Champions League. Und Wochen später sagen mir dieselben Menschen, was für Idioten wir sind. Ich bleibe aber Optimist und sehe in jeder Veränderung eine Chance.
Es klafft eine unglaublich große Lücke zwischen dem wirtschaftlichen Erfolg des Vereins und den sportlichen Leistungen. Wie will man diese wieder schließen?
Geduld alleine ist natürlich zu wenig. Es lehnt sich aber auch keiner von uns zurück und schaut nur zu. Die wirtschaftlichen Zahlen haben sich super entwickelt, da können wir so eine Veränderung auch anstoßen. Es sind aber korrelierende Gefäße. Es darf keiner glauben, dass die wirtschaftliche Entwicklung anhalten würde, wenn die Leistungen so blieben. Auch die Spieler nicht.
Braucht es mehr Ankerspieler? Es gab etwa Gerüchte um Max Wöber und Hannes Wolf.
Ich weiß, was alles diskutiert wurde, die Namen habe ich auch gehört. Am Ende des Tages geht es aber unabhängig von Namen darum, dass die für den Sport Verantwortlichen entscheiden, welcher Spieler zu welchem Zeitpunkt helfen kann. Wir haben uns in den letzten Jahren hervorragend finanziell entwickelt, aber auch der FC Red Bull Salzburg hat finanzielle Limits. Zudem braucht es eine finanzielle Kaderhygiene, die Schere bei den Gehältern darf nicht auseinandergehen. Man sieht bei unseren Budgets, was wir investieren, aber es gibt eben Grenzen. Auch deshalb ist dann eben nicht jeder Transfer realisierbar. Aber ja, aus meiner Sicht braucht es auch erfahrenere Spieler. Pep und sein Team haben angemerkt, dass es sie benötigt, um unser System weiterzuentwickeln. Bernhard und sein Team haben es probiert. Gelungen ist es nicht. In dieser Thematik können wir im Winter wieder reagieren.
Es gab Gerüchte, dass Jörg Schmadtke nach Salzburg kommen soll.
Das kann ich ganz klar dementieren, da gibt es auch keine Gespräche. Natürlich ist es als Geschäftsführer meine Pflicht, dass wir uns in Europa umschauen, was die beste Struktur ist, unabhängig von Personen. Der Sport und die Bewerbe entwickeln sich weiter, daher beobachten wir, wie andere Klubs operieren, um das Geschäft bestmöglich zu bewältigen. Vielleicht sind auch neue Strukturen notwendig. Der Fußball ist ein komplexes Geschäft geworden, daher ist es unsere Pflicht, Augen und Ohren offen zu halten.
Ist es ein Thema, auf der sportlichen Seite jemanden hinzuzuziehen?
Es ist ein Thema, dass wir uns die Strukturen anschauen, damit wir bestmöglich für die Zukunft arbeiten können. Dass wir uns noch besser aufstellen müssen, davon bin ich zu hundert Prozent überzeugt.
Es ist ein Thema, dass wir uns die Strukturen anschauen, damit wir bestmöglich für die Zukunft arbeiten können. Dass wir uns noch besser aufstellen müssen, davon bin ich zu hundert Prozent überzeugt.
Stephan REITER
Red Bull hat mit der Verpflichtung von Jürgen Klopp für viel Aufsehen gesorgt. Was bedeutet sein Engagement für Salzburg?
Wir haben immer sehr eng mit unserem Sponsor Red Bull zusammengearbeitet und sinnvollen Input – wie auch von anderen Partnern – sehr gerne aufgenommen. Ich freue mich deshalb wahnsinnig über diese Verpflichtung und hatte auch schon Kontakt zu Jürgen. Mit Jürgen Klopp hat man es geschafft, jemanden an Bord zu holen, der auch uns unglaublich unterstützen kann. Er wird für uns keine Probleme lösen oder Entscheidungen treffen, das tun wir weiterhin selbst. Aber Jürgen Klopp kann uns mit Sicherheit auf unseren Weg unterstützen.
Der Konzern baut sein Fußballnetzwerk sehr zügig aus. Was bedeutet das für den Standort Salzburg?
Es ergeben sich für uns enorme Synergien, die wir wie in der Vergangenheit nützen werden. Dieses Netzwerk hat gerade in der Entwicklung der Spieler oder Trainer, bei Perspektiven von Mitarbeitern enorme Vorteile. Auch wenn wir ein selbstständiger Klub sind, ist es attraktiv, dieses Netzwerks zu nützen
Könnte der Stellenwert Salzburgs innerhalb Red Bulls Fußball-Imperium sinken?
Da sehe ich uns als Verantwortliche und jeden einzelnen Mitarbeiter gefordert, dass wir unseren Job gut machen, damit der FC Red Bull Salzburg dorthin geführt wird, wo er es verdient hat zu sein. Dann werden wir immer unsere Rolle haben. Es liegt an uns.
Sie haben Vertrag bis 2026. Können Sie garantieren, diesen zu erfüllen?
In meiner Rolle hast du auch immer wieder mal Möglichkeiten. Ich kann aber versichern, dass ich meinen Vertrag erfüllen werde. Ich bin dem Klub verpflichtet! Wir haben gerade etwas begonnen und das werden wir gemeinsam durchziehen und als Team zusammenwachsen. Es wäre der absolut falsche Zeitpunkt, den Klub jetzt zu verlassen.
Muss man im Winter nachlegen?
Ich will den sportlich Verantwortlichen nicht vorgreifen, aber ich denke schon, dass wir es versuchen müssen. Hin und wieder gehen Fenster auf, dann wollen wir das nützen. Wir brauchen auch einzelne Spieler in unserer Struktur, bei denen grundsätzliche der Wille da ist, 100 oder 200 Spiele für uns zu machen.
Das heißt, man will Spieler, die sich noch mehr mit dem Verein identifizieren?
Ja! Das wird daraus resultieren. Alex (Schlager), der jahrelang nicht hier war, hat sich ganz bewusst dazu entschieden, wieder zurückzukehren. Wir können Spieler ja auch mit unseren Möglichkeiten begeistern, sind ein attraktiver Klub. Sladdi Junuzovic war ein super Beispiel, er hat uns enorme Stabilität gegeben und bei uns seinen Weg gefunden. Er hat die Trainerausbildung gemacht und ist heute ein wertvolles Mitglied unserer Scoutingabteilung.
Trainer und Sportdirektor standen zuletzt stark in der Kritik, weniger die Mannschaft. Welche Botschaft haben Sie an die Spieler?
In diesem Klub hat jeder Einzelne Verantwortung zu tragen, vor allem auch unsere Spieler. Da darf sich keiner wegducken! Die Mannschaft muss jetzt ihren Mann stehen und kann nur gemeinsam rauskommen. Da muss sich jeder an der eigenen Nase nehmen. Da darf keiner sein Ego über das Team stellen. Es sollte jedem klar sein: Wenn das Kollektiv nicht funktioniert, funktionieren auch einzelne Karrieren nicht. Gemeinsame Erfolge sind die Basis dafür.
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