Eine „Indiskretion“ hat die deutsche Ampel-Koalition in ihren Grundfesten erschüttert und könnte gar das Ende der Zusammenarbeit besiegeln. In einem 18-seitigen Grundsatzpapier, welches seinen Weg an die Öffentlichkeit gefunden hat, fordert Finanzminister Christian Lindner (FDP) ein völliges Umsteuern in der Wirtschafts- und Finanzpolitik Deutschlands und distanziert sich in Teilen von der Politik der regierenden Ampel-Koalition der vergangenen drei Jahre. Bundeskanzler Olaf Scholz gab im Ampel-Krach bisher den Genervten – und sagte und tat noch nichts ...
Die Herausforderungen wie ein Investitionsstau, eine geringe Produktivität oder ein Sonderweg beim Klimaschutz seien in den vergangenen Jahren von der Politik nicht nur nicht adressiert, sondern zum Teil „vorsätzlich herbeigeführt“ worden, schreibt Lindner in dem 18-seitigen Papier. „Deshalb ist eine Wirtschaftswende mit einer teilweise grundlegenden Revision politischer Leitentscheidungen erforderlich, um Schaden vom Standort Deutschland abzuwenden.“
Konkret schlägt der Chef der liberalen FDP etwa einen sofortigen Stopp aller neuen Regulierungen vor und einen Abbau von Nachweis- und Berichtspflichten auf ein notwendiges Minimum. „Als Sofortmaßnahme sollte der Solidaritätszuschlag, der überwiegend von Unternehmern, Selbstständigen, Freiberuflern sowie Hochqualifizierten gezahlt wird, entfallen“, fordert er in dem Papier weiter, das er als Finanzminister vorlegt. In einem ersten Schritt sollte der Solidaritätszuschlag 2025 um 2,5 Prozentpunkte auf drei Prozent gesenkt werden und 2027 ganz entfallen. Parallel sollte die Körperschaftssteuer 2025 um zwei Prozentpunkte reduziert und in weiteren Schritten 2027 und 2029 zusätzlich gesenkt werden. Ausdrücklich kritisiert das Dokument einen deutschen Sonderweg in der Klimapolitik.
Mit Blick auf das Budget 2025 fordert Lindner weitere Einsparungen. Die Einnahmebasis habe sich um elf Milliarden Euro verringert. Gleichzeitig würden sich aber die Ausgaben für das Bürgergeld und die Kosten der Unterkunft sowie für die Förderung der erneuerbaren Energie weiter erhöhen.
FDP fordert „Wirtschaftswende“
Die FDP fordert seit Längerem eine „Wirtschaftswende“ und hat einen „Herbst der Entscheidungen“ ausgerufen. Auch Forderungen wie eine vollständige Soli-Abschaffung sind grundsätzlich bekannt. Der Zeitpunkt des neuen Papiers ist aber brisant: Erst vor eineinhalb Wochen hatte der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in einem Papier erneut einen milliardenschweren, schuldenfinanzierten Staatsfonds vorgeschlagen, um Investitionen von Firmen zu fördern. Die FDP lehnt dies unter Verweis auf die Schuldenbremse ab.
Die nächsten Wochen sind entscheidend
Das Grundsatzpapier, welches Laut Linder durch eine „Indiskretion“ geleakt wurde, hat noch mehr Öl ins Feuer, das derzeit innerhalb der Koalition lodert, gegossen. Deutsche Medien sprechen bereits von einem „Scheidungspapier“. Kanzler-Sprecher Steffen Hebestreit betonte am Freitag zwar, er habe „nicht den Eindruck, dass irgendwer dabei ist, sich in die Büsche zu schlagen“. Mehrere FDP-Vertreter bekräftigten jedoch, für sie hänge der Verbleib im Regierungsbündnis von den Entscheidungen der kommenden Wochen ab.
Lindner hatte sich am Donnerstag nicht ausdrücklich auf einen Fortbestand der Ampel-Koalition festlegen wollen. In einem Gespräch mit dem „Spiegel“ sagte der Finanzminister lediglich, er habe keinen Vorsatz, die „Ampel“ zu verlassen. Entscheidend seien für ihn die nun anstehenden Haushaltsverhandlungen.
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