15.000 Fans waren zu Allerseelen in der fast ausverkauften Wiener Stadthalle zu Gast, um dem italienischen Kult-DJ Gigi D‘Agostino ihre Aufwartung zu machen. Dieser lieferte eine zweistündige Techno-Show der Extraklasse und bekräftigte gemeinsam mit dem Publikum, dass für Hass und Xenophobie kein Zentimeter Platz ist.
Gestoppte 43 Minuten vergehen, bis er die musikalische Bombe zündet – „L’amour toujours“, der Techno-Kultsong von Gigi D’Agostino, der diesen Frühling zuerst auf Sylt und dann auch zunehmend in österreichischen Dorfdiscos von Rechtsradikalen umgetextet und lautstark skandiert wurde. Der Turiner Star-DJ wusste nicht wie ihm geschah und wiederholte in seinen wenigen Interviews (u.a. mit der „Krone“) immer wieder, dass er für Liebe und Gemeinschaft steht. Nicht aber für Hass, Xenophobie und Fremdenfeindlichkeit. Wie es in der globalen Empörungskultur mittlerweile Usus ist, bildete sich eine Cancel-Culture-Front gegen den Musiker und seinen Hit. Man solle das Lied nicht mehr spielen und am besten gleich die Person dahinter verbieten. Mehrere Veranstalter folgten dem lauten Rundumschlag in den sozialen Netzwerken, luden den Künstler aus oder stornierten geplante Auftritte.
Pünktlicher König
Neben seinem Heimatland hielt man ihm vor allem hierzulande die Stange. Nach einem Erfolgsauftritt vor einem Monat in Graz füllt Gigi zu Allerseelen die Wiener Stadthalle fast bis auf den letzten Platz. 15.000 Fans aus allen Bundesländern reisen an, um ihren Helden zu sehen. „Tschi-Tschi-Dag, Tschi-Tschi-Dag“-Rufe hallen einem schon auf dem Weg in die Location entgegen. Mit zweieinhalb Stunden Einlass vor Konzertbeginn bleibt einigen auch ausreichend Zeit für die nötige Druckbetankung, was schon vor dem Beginn für so manch überraschendes K.O. sorgt. Verschenkte Styropor-Leuchtstäbe sorgen für zusätzliche Stimmung, die Stadthalle bebt von der ersten Sekunde an. Um Punkt 21 Uhr hallt Gigis „Buonaera, Vienna“ von der überdimensionalen Bühne, auf der eigentlich nur er mit den Turntables steht. Als König seiner Zunft muss Gigi natürlich klotzen und nicht kleckern.
In erster Linie inszeniert der 56-Jährige vor allem sich selbst. Sein Name prangt unmissverständlich in dreifach-opulenter Ausführung von der Bühne. Links und rechts sorgen überdimensionale Lichtquader für ein Feuerwerk an Effekten und Stroboskop-Action. Hinter Gigi, der sich früher bei Konzerten gerne in der Dunkelheit versteckte, befindet sich eine üppige Videowall, die noch zwei kleinere in Herzform integriert. Darauf zu sehen: natürlich der DJ selbst. Teilweise in sechsfacher Ausführung, was auch abseits des Alkoholkonsums ziemlich paralysierend wirkt. Auf seiner traditionellen Kapitänsmütze prangt das Initial „G“ hervor, sein schwarzes Glitzersakko ist übersät mit Botschaften aus seiner erfolgreichen Millenniumskarriere. Das chinesische Schriftzeichen, das für „Tanz“ steht. „L’amour toujours“ findet man ebenso darauf wie „Lento Violento“, das elektronische Subgenre, das er mit dem Song „Panic Mouse“ vor 30 Jahren kreierte. Dazu präsentiert er die programmatische Sonnenbrille, glänzende „Gigi“-Kopfhörer und einen stattlich ergrauten Bart.
Gigi tut Gigi-Dinge
Von Beginn an ist die gegenseitige Energiezufuhr zwischen Künstler und Publikum beeindruckend. Auch wenn es eine geschlagene halbe Stunde dauert, bis Gigi mit „Bla Bla Bla“ den ersten großen Hit aus seinem Oeuvre präsentiert, ist die Stimmung schnell am Siedepunkt. T-Shirts fallen, Gelenke verrenken sich beim Tanz bis zur Unkenntlichkeit und mit den Leuchtstäben werden artistische „Star Wars“-Lichtschwertkämpfe nachgestellt. Gigi tut derweil Gigi-Dinge. Er vermischt Klassiker der Pop- und Rockgeschichte wie „Smalltown Boy“ von Bronski Beat, „Gangsta’s Paradise“ von Coolio oder „The Final Countdown“ von Europe mit seinen treibenden Beats und hat sichtlich Spaß am Tun. Viel zu drehen hat er auf seinem Werkzeugkasten nicht, dafür sorgt die akkurate Vorab-Programmierung. So bleibt aber ausreichend Zeit, um nonverbal mit dem Publikum zu flirten. Er simuliert liebevollen Herzschlag, bedankt sich mit Handgesten und wirft die Hände vor Freude so wild durch die Gegend, wie man es nur Stars gönnt. Otto Normalverbraucher würden sich bei derartigen Tanzmoves in Discos regelmäßig Körbe einfangen.
Gigi holt ein Highlight nach dem anderen aus seinem Arbeitsgerät und lässt auch sich selbst keine Zeit zum Durchatmen. Ricchi e Poveri, „Fluch der Karibik“ und – wohl extra für den Wien-Gig – sogar eine klassisch-technoide Einlage von Wolfgang Amadeus Mozart finden im bunten Klang-Potpourri ihren Platz. Wer sich beim zweistündigen Anblick einer ereignislosen Bühnenshow langweilt, wird im Laufe des Sets mit etwa zwei Dutzend Riesenluftballons samt „Gigidag“-Aufdruck bespaßt. Dass der eine oder andere dabei direkt in die Pyroshow fliegt und lautstark zerberstet, kann durchaus als Extra-Gag angesehen werden. In den vorderen Reihen wundern sich manche über eine sich ständig schwenkende Überkopfkamera - Gigi lässt in Wien auch Material für eine kommende Dokumentation mitdrehen. Eine gute Wahl, denn eine so haltlose und explosive Stimmung wird ihm nicht alltäglich entgegenschallen.
Ein Dank für die Stimmung
Die Euphorie ist allerdings nicht nur in der Nostalgie verortet. Neben all jenen, die vor mehr als 20 Jahren mit Gigi aufgewachsen sind, findet sich auch eine ganze Phalanx an jüngeren Fans ein, die durch die letzten Hits „In My Mind“ oder „Hollywood“ mit dem Italiener in Berührung gekommen sind. Die generationsverbindende Jubeltraube hat aber vor allem eines gemeinsam – den stringenten Wunsch nach einer zweistündigen Flucht aus den weltlichen und persönlichen Sorgen, die einen im beständigen Krisenmodus aus allen Richtungen erschlagen. Wo Gigi aufdreht, da können andere abschalten. Vor allem bei Hits wie „The Riddle“ oder eben „L’amour Tourjours“, das – zumindest in der Umgebung des Autors dieser Zeilen - nicht mit rassistischem Rülpsen durchtränkt, sondern mit bloßer Freude an der Musik mitgesungen. Dafür hat Gigi zweimal am Abend sogar ein gesprochenes Wort übrig: „Dankeschön“. Liebe für immer. Eine ziemlich eindeutige Botschaft. Wenn Gigi damit nicht heute alle Zweifel ausgeräumt hat, wann dann?
Weiter geht's in Österreich
Die Gigi-Festspiele in Österreich gehen weiter. Am 14. Dezember spielt er in der Messe Klagenfurt, am 15. März in der Messe Dornbirn und am 4. und 5. April in der Salzburgarena. Unter www.oeticket.com gibt es alle Infos zu den Karten.
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