„Krone“-Interview

Nits: „Aus der Band wurde ein seriöser Job“

Musik
05.11.2024 09:00

Gitarren-Pop, New Wave, Jazz, Avantgarde mit Elektronik – es gibt kaum einen Stil, in dem sich die Niederländer Nits seit 50 Jahren nicht ausprobieren. Zum Jubiläum kommt die spezielle Popband ins Wiener Theater Akzent. Frontmann Henk Hofstede erzählt uns im Interview von verschlungenen Karrierewegen, das Wien der letzten 40 Jahre und das Geheimnis der Langlebigkeit.

(Bild: kmm)

„Krone“: Henk, in wenigen Tagen spielst du eine 50-Jahre-Jubiläumsshow mit den Nits im Wiener Theater Akzent. Hättest du dir vor 50 Jahren gedacht, dass du heute so ein Interview geben würdest?
Henk Hofstede: 
Niemals, man kann unmöglich so weit in die Zukunft vorausschauen. In meinem Kopf hatte ich einen Plan, diese Band ein paar Jahre lang lebendig zu halten. Das ist eigentlich der normale Weg. Es macht dir Spaß, du tust es und irgendwann hörst du auf, um einem seriösen Job nachzugehen. Dann wurde die Band aber zu diesem seriösen Job. (lacht) Das war die große Überraschung. Man beginnt aus dem Nichts, blödelt ein bisschen herum und denkt dabei nicht an die Zukunft. Kein großer Plan und schon gar keine Karriereambitionen. Ich glaube sogar, der Zweck von Popmusik war immer, eben keine Karriere zu haben.

Herumzublödeln ist gerade in der Kunst begrüßenswert, weil es eine gewisse Leichtigkeit erhält, die vielen Menschen mit den Jahren unweigerlich verloren geht. Mit den Nits hast du so viele verschiedene Genres und Territorien eingeschlagen, dass man wirklich von einer großen Klangvariabilität sprechen kann. War es für dich essenziell, diese Leichtfüßigkeit und Neugierde zu bewahren?
Auf jeden Fall, aber es gibt natürlich auch die Momente des Zweifels. Wo du dir nicht sicher bist, ob der gegangene Schritt nicht einer zu viel war oder man zu stark ausgeschert hat. Die Neugierde zu bewahren und immer wissen zu wollen, was hinter der nächsten Ecke lauert, hat uns aber stets am Leben gehalten. Wenn eine Pop- oder Rockkarriere zu ernst wird, dann solltest du schleunigst daraus verschwinden, denn dann ist das nicht mehr gesund.

Wie wichtig ist dabei der Aspekt der Selbstironie? Also seine Arbeit ernst zu nehmen, aber nicht sich selbst und die Bandkollegen?
Humor ist ungemein wichtig und er schützt auch vor der realen Welt, die sehr kompliziert, schwierig und enttäuschend sein kann. Wir haben immer darauf geachtet, dass wir diese zarte Pflanze der Leichtigkeit und des Humors schützen. Wir haben uns unsere eigene Welt erschaffen. Die ist zwar nichts, wenn es um die große weite Welt geht, aber für uns ist sie alles.

Wenn wir von den vielen Soundsprüngen in eurer Karriere sprechen – war es dir immer besonders wichtig, dich von den Erwartungen von außen zu lösen?
Natürlich, denn wenn du beginnst auf andere zu hören, beginnst du gleichzeitig, dich selbst zu verlieren. So hatten wir auch immer Probleme mit Plattenfirmen. Wenn du mal mit etwas Erfolg hast, dann wollen sie dasselbe wieder und wieder haben, aber das ist künstlerisch uninteressant. Sie wollen eine erfolgreiche Kopie deiner selbst, aber das kann ich nicht geben. Ich will und kann es nicht. Die Kunst ist so zart und wichtig, sie darf niemals zu einer Routine werden. Für manche Menschen mag das funktionieren, nicht aber für mich. Bevor ich mich irgendwelchen Erwartungen beuge, gehe ich lieber Fischen oder Skifahren. Es gibt so viele Dinge, die man tun kann, anstatt sich Entscheidungen von außen auszuliefern.

War das immer der wichtigste Weg der Nits? Dass man eine Erfolgskarriere der Neugierde und Experimentierfreude geopfert hat? Ihr habt möglicherweise Geld verloren, aber Freiheit und Selbstachtung gewonnen.
Das fasst es ganz gut zusammen. Ich weiß gar nicht, ob wir etwas geopfert haben, das ist vielleicht das falsche Wort. Wir waren nie interessiert an dieser Art von Karriere, weil wir das Abenteuer lieben. Neue Dinge erschaffen, erforschen. Das gilt für viele Leute. Schauspieler, Maler, Musiker, Literaten. Es wäre unmöglich, mich dauernd selbst zu wiederholen.

Rund 13 Jahre nachdem du die Band gegründet hast, gab es in den 80er-Jahren mit „In The Dutch Mountains“ eine Erfolgssingle, die euch in ganz Europa richtig bekannt gemacht hat. War das ein entscheidender Moment, wo sich die Frage stellte, ob man diesem Weg nicht lieber folgen sollte?
Wir sind diesem Pfad sogar eine ganze Weile gefolgt, aber als wir dann wieder frisch in den Gedanken waren, haben wir neues Material geschrieben, das anders klang. Wir blieben auch hier nicht stecken. Ende der 80er-Jahre haben wir natürlich registriert, dass wir in ganz Europa, aber auch in Kanada, New York oder Tokio gehört wurden. Es hat sich so angefühlt, als wäre Teil des ganz großen Business, aber das hat uns nicht glücklich gemacht. Wir hatten so viele TV-Shows, wo wir Playback spielen mussten – furchtbar. Am Anfang ist das spannend und man fühlt sich geehrt, aber wir haben gemerkt, dass es gar nicht anders geht. Man muss sich dem fügen und ab da hatte ich keine Lust mehr darauf. Wir haben dann schnell andere Dinge gemacht, die nicht mehr so erfolgreich waren – dafür aber interessanter und farbenfroher, abenteuerlicher. Für mein eigenes Seelenleben war es unausweichlich, diesen Weg so zu beschreiten.

Ist das Rampenlicht eine Art Fluch für dich? Scheust du es?
Ich bin nicht gern der Mittelpunkt des Geschehens, es verängstigt mich manchmal und passt auch nicht zu mir als Typ. Ich bin so froh, dass wir nie wirklich berühmt waren. Sogar daheim in den Niederlanden sind wir einfach immer dagewesen, aber mich hat niemand für lokale TV-Quizshows eingeladen. Das ist der beste Beweis dafür, dass du kein Promi bist. (lacht) Obwohl – manchmal kam schon eine Anfrage, aber ich habe sie immer abgesagt. Ich bin nur an Bord, wenn es um die Musik geht. Nicht aber deshalb, weil mich jemand kennt oder ich irgendwo anders meinen Senf dazugeben soll. Wir haben in Holland genug Promis, da muss ich keinesfalls auch einer sein. Ich sitze lieber im Studio und arbeite an Musik, während sich die Welt da draußen weiterdreht.

Das ist interessant, denn heute hat man oft das Gefühl, dass jemand lieber berühmt als talentiert sein will. Also der Ruhm über TikTok oder Instagram scheint manchen wichtiger zu sein, als einen wirklich guten Song zu schreiben. Eine bedenkliche Entwicklung.
Ich bin da aber immer noch sehr optimistisch, weil ich viele junge und talentierte Menschen kenne, die noch den Spirit von früher haben und einfach gut sein wollen. Sie packen ihre Instrumente in den Van, fahren nach England oder Österreich und spielen vor fünf oder 50 Leuten – es ist ihnen egal, weil sie die Musik so lieben. Das ist der Weg, den wir genommen haben und den ich schätze. Es gibt um dich und dein Songmaterial. Um deine Freude an der Musik. Der Ruhm kann natürlich mit einhergehen, aber er sollte nie das Zentrum des Lebens sein. Viele jagen dem Ruhm und dem schnellen Geld nach, haben dann auch Glück, aber wenn diese Glückssträhne vorbei ist, dann hast du nichts mehr und stehst da. Du in deiner leeren Schale. Es sollte immer die Liebe am Songwriting, an der Musik oder am Auftritt im Vordergrund stehen. Alles andere ist nicht nachhaltig.

Wurde das Songwriting schon in frühen Tagen für dich zur Sucht? Hast du schnell gemerkt, dass du alles in diese Leidenschaft stecken würdest?
Es war der einzige Weg. Da geht es gar nicht um Entscheidungen oder Weggabelungen, sondern darum, was du kannst und liebst. Ich habe über die Jahre mit vielen anderen Musikern zusammengearbeitet und gelernt, dass Leute total anders arbeiten wie ich. Aber ich habe für mich nur einen Weg, den ich beschreiben kann. Der ist vielleicht chaotischer und basiert mehr auf Intuition als auf Logik, aber passt zu mir und ist okay so.

Du hast mit Side-Projects und Kollaborationen schon immer zur Seite geblickt. Nicht nur, dass die Nits sich klanglich oft verändert haben – du bist stets gerne aus dem Bandkorsett ausgeschert.
Das ist auch ungemein wichtig. Das haben wir alle immer gemacht, da spreche ich jetzt für jeden, der mit den Nits zu tun hat. Wir haben unsere eigenen Abenteuer gesucht. Ich fühle mich zum Beispiel sehr stark der Filmmusik und Videos an sich verbunden. Ich male und filme immer mehr, weil ich einen Kunstschul-Background habe. Die Malerei und das Visuelle haben mich immer stark inspiriert. Es gibt großartige Bands, die nur Musik machen und nicht links und rechts blicken. Das wäre aber nichts für mich. Ich habe mehr Interessen und Leidenschaften und will sie ausleben. Das Öffnen der Augen für andere Kunstsparten hat auch mein Songwriting verändert.

Visualisierst du deine Songs schon früh?
Vielleicht, ich weiß es nicht so genau. Ich habe nie nach Vorsatz gearbeitet. Die Dinge kommen, wie sie kommen und in einer Band bist du dann plötzlich mit Menschen konfrontiert, die mitreden und dir Wege vorgeben wollen. Der Sound muss so und so sein, die Texte könnten anders aussehen, was ist mit den Videoclips? Willst du das wirklich so machen? Ich lasse mir aber nichts einreden und bin sehr standfest in meinen Entscheidungen.

Gibt es einen klanglichen Unterboden, der dir als fixe Unterlage für die Experimente dient. Eine Art Sicherheitsnetz, von dem aus du in alle Richtung gehen kannst, weil du immer dort zurückfindest, wenn es nötig ist?
Ich versuche immer, mit jedem Album, bei null zu beginnen, aber sobald man als Band eine Geschichte hat, ist das eigentlich unmöglich. Wir waren immer sehr vorsichtig damit, uns zu verändern, andere Instrumente auszuprobieren und uns dabei trotzdem nicht zu verlieren. Es gilt immer, Routinen möglichst zu vermeiden. Das ist schwierig, denn man ist oft müde oder zu wenig streng mit sich selbst – dann setzt die Routine ein. Man muss sich bewusst sein, dass man zwischendurch einrostet. Wir sind mittlerweile wie ein altes Gebäude und brauchen auch Schutz und Sanierung. (lacht) Ansonsten brechen wir zusammen und sind ruiniert. Wir fühlen uns wie ein 100 Jahre altes Haus, das aber immer noch modern und frisch ist. Diese Frische müssen wir uns bewahren.

50 Jahre lang eine Band zu betreiben, ist aber schon eine Ansage. Wie viele Bands schaffen das schon. Die Rolling Stones vielleicht …
Wohl nicht so viele, in Holland haben wir noch Golden Earring, die sich aus Krankheitsgründen auflösen mussten. Die Band gab es sogar länger als 50 Jahre und es ist eine Schande, dass es so enden musste. Sie waren ungefähr 16, also sie starteten, wir waren zu Beginn schon in unseren 20ern. Viele Bands feiern 50 Jahre, aber waren dazwischen oft 30 Jahre auseinandergebrochen, wenn sie ehrlich sind. (lacht) Wir spielen seit 50 Jahren durch.

Die Passion allein kann eine Band aber nicht 50 Jahre lang am Leben erhalten. Man muss sich untereinander verstehen, aufeinander eingehen, unpopuläre Entscheidungen treffen, sich manchmal selbst für etwas Größeres zurückstellen. Was hat euch über all die Jahrzehnte immer angetrieben?
Man muss sich vor allem viel allein lassen, weil man sehr viel Zeit sehr eng zusammen verbringt. Das ist wie mit Freundschaften. Man genießt sie, aber man braucht viel Abstand und Freiraum. Wir arbeiten und reisen viel zusammen, wir müssen professionell damit umgehen. Man muss sich vor allem auch Freundschaften außerhalb des Bandkorsetts erlauben und zugestehen, um nicht in einem Zirkel festzustecken. Eine Band ist so wie ein kleines Dorf, wo jeder jeden kennt, es nur eine Religion, aber dafür keine Geheimnisse gibt. Es ist sehr wichtig, dass man dieses Gefühl nicht zu stark über sich kommen lässt. Es ist gut und wichtig, dass wir alle ein Leben außerhalb der Nits haben.

Du lebst seit jeher in Amsterdam, bist aufgrund deiner Profession aber ein ständig reisender Nomade. Wie sehr befruchtet dieses Leben deine Kunst und die Inspirationen dafür?
Das ist das Schöne an dem Job. Mit Beginn der 80er-Jahre haben wir begonnen, durch die Welt zu fahren. Wir haben Berlin noch mit der Mauer gesehen, waren oft in der DDR unterwegs. Dann fiel die Mauer und die Welt hat sich verändert. Berlin sowieso. Die Stadt war nicht mehr so wie früher, es fühlte sich an, als wären wir ganz woanders. Ein bisschen ist das aber überall so – auch in Wien oder Paris. Wenn ich in Wien durch die Gegend spaziere, finde ich immer noch die Ecken, die ich schon in den 80er-Jahren liebte, vieles ist aber auch komplett anders. 1982 spielten wir das erste Mal in Helsinki und da fühlte sich die Stadt noch an wie in Russland. Nach 19 Uhr wurden die Brücken hochgeklappt und man konnte nichts mehr tun. Es gab keine Jugendkultur und in die wenigen Discos kamen wir nicht rein. Heute hat die Stadt nichts mehr mit damals zu tun. All diese Erfahrungen fügen sich unweigerlich in die Musik ein. Es ist schwer zu erklären, aber wenn ich Songs schreibe, dann fließen immer Reflexionen aus meinem Leben und meiner Vergangenheit ein. Es gibt die Geschichte und es gibt die Gegenwart. Vielleicht hat das mit dem Alter und dem Zunehmen an Erfahrung zu tun. Es ist ein nettes Bouquet an Erlebnissen.

Deine Diskografie ist also schon so etwas wie ein Tagebuch?
Durchaus. Manchmal ziehe ich Alben und Songs von uns heran, um mich an Dinge zu erinnern. Das kann durchaus hilfreich sein.

Wenn du in Wien Zeit hast, um die Stadt zu spüren und zu erleben, kannst du dann im Kopf auch zurückgehen oder nimmst du sie sehr gegenwärtig wahr?
Ich bin kein Traditionalist, aber ich bin gerne dort, wo ich schon früher einmal war. Diesen Morgen war ich in einem Kaffeehaus, in dem ich in Wien immer bin, um zuerst einen Kaffee und dann einen Eiskaffee zu trinken, wie ich es immer mache. Ich verbringe sehr viel Zeit in Spanien und dort wird ein Eiskaffee ganz anders zubereitet, fast wie aus einer anderen Welt. Diese Unterschiede geben mir Struktur. In Wien ich auch im Kunsthistorischen Museum und das ist anders angeordnet, als es früher war. Ich erinnerte mich also daran, wo etwas war, fand es aber nicht mehr. Die Welt verändert sich eben und das ist gut so. Man muss halt offen sein, um damit Schritt zu halten.

Deine Heimatstadt Amsterdam ist sehr lebendig. Touristen überlaufen sie, Coffeeshops sind beliebt, es gibt ein reges Nachtleben. Das würde ich jetzt nicht als Inspiration für die Musik der Nits erachten.
Ich habe die Stadt niemals verlassen und immer hier gelebt, auch wenn das sogar für mich etwas seltsam wirkt. Möglicherweise inspiriert mich dieses Leben aber doch? Ich bin noch nicht einmal weit von meinem direkten Geburtsort entfernt. Ich bin vielleicht doch ein Traditionalist, weil ich es mir nicht vorstellen kann, die Stadt zu verlassen.

Vielleicht hast du einfach nur die Stabilität nötig, weil das Leben als tourender Künstler sonst so unstet ist?
Die Stadt ist so schön und dadurch zieht sie viele Menschen an. Mittlerweile ist es ein bisschen zu viele, das ist uns Einheimischen allen klar, aber es gibt Momente, da wirkt diese Stadt für mich noch immer unschuldig und unverbraucht. Ich fahre die meiste Zeit mit dem Rad und wenn du frühmorgens oder abends ein paar Stunden radelst, entfaltet sich die ganze Schönheit dieser Stadt vor dir. Sie lebt, aber sie ist ein bisschen zu kommerziell ausgerichtet, das finde ich sehr schade. Wir verlieren dadurch auch Eigenständigkeit und die Qualität von eigenen Shops. Alles ist globalisiert, überall dieselben Ketten.

Ein Problem, mit dem sich alle großen Städte in Europa auseinandersetzen müssen.
Wir hatten so viele tolle Secondhandshops. Fast meine ganze Garderobe ist aus diesen Läden, aber allein in den letzten paar Jahren haben wir zwölf dieser Shops verloren, weil sie nicht mehr Schritt halten können. In Antwerpen oder Brüssel ist es noch ein bisschen anders, die Belgier lassen sich nicht so schnell von globalisierten Ketten einlullen wie wir Holländer. Dafür haben wir so viele Shops, wo du diese kleinen Gummienten kaufen kannst. Warum zum Teufel? Wir sind doch keine Kinder, einfach furchtbar. Dort, wo diese Läden sind, waren früher Buchläden oder Platten-Shops. Die können sich die Miete aber nicht mehr leisten und sterben aus. Heute sind dort Restaurantketten und Enten-Shops. Ich komme mir schon vor wie Ray Davies, der über den Untergang Englands jammert. (lacht)

Aber kann man das nicht auch ein bisschen mit der Musik in Relation setzen? Erfolgreich ist Musik, die klingt wie Musik, die es schon x-mal gab. Eine Band wie die Nits müssen dafür hart um ihr Publikum kämpfen, weil sie eigenständig und anders ist.
Das ist wahr und manchmal schmerzt mich das auch, wenn ich sehe, wie viel beschissene Musik so viel Geld lukriert. Es kann frustrierend sein, aber vielleicht bin ich auch einfach schon zu alt dafür. Ich sage mir oft selbst, dass ich mir da nicht so viele Gedanken machen sollte. Lass los, ist doch egal. Aber vielleicht habe ich auch recht? Wir brauchen aber die Balance zwischen Kunst und Kommerz. Da sind alle gefordert, dass diese Balance immer gehalten wird. Wenn du an künstlerisch hochwertiger Musik interessiert bist, dann musst du die Chance haben, sie zu finden. Heute wirst du mit so vielen kommerziellen Dingen frontal konfrontiert, dass du die kleinen Türen zur Flucht aktiv finden musst. So sollte Kunst aber nicht laufen.

Viele Menschen haben im Alltag gar keine Zeit, aktiv so tief nach dieser Kunst zu suchen …
Sie haben keine Zeit oder nehmen sich keine Zeit. Das ist ein Zeichen der Zeit. Als ich aufwuchs, bin ich in den nächsten Plattenladen gerannt und habe einen ganzen Nachmittag damit verbracht, zu hören und zu suchen. Ich habe Dinge mithilfe von Menschen entdeckt, die dort arbeiteten oder selbst Kunden. Seltsamerweise liegt uns durch Spotify die ganze Welt der Musik zu Füßen, aber der Konzern sagt dir, was du hören sollst. So kann das auf Dauer nicht funktionieren.

Du betonst in vielen Interviews, dass du dich proaktiv für moderne Musik interessierst, auch immer wieder Tipps aus dem Pop- und Rockbereich gibst. Es ist nicht selbstverständlich, dass jemand mit einer 50 Jahre langen Karriere im Musikbusiness noch Neues hört.
Ich sehe mir bei BBC immer die Sendungen mit Jools Holland an, außerdem habe ich Töchter, die der Musik verfallen sind und natürlich einen ganz anderen Geschmack als ich haben. Meine Jüngste ist diejenige, die auf alle Festivals rennt. Wenn sie zurückkommt, spielt sie mir ihre Entdeckungen vor und wir reden darüber. Lustig ist nur, dass sie mir dann oft sagt, dass das beste Neue für sie immer das ist, was es schon lange gibt. Zuletzt sah sie Patti Smith und meinte, sie wäre das Highlight des Festivals gewesen. (lacht) Ohne mein Zutun! Das hat sie schon selbst so entdeckt. In Holland gibt es eine TV-Show, wo man als etablierte Band mit jungen Musikern auftritt und eine Art Patronanz übernimmt. Das ist ein tolles Konzept. Auch deshalb, weil man sieht, wie viel Talent und Leidenschaft hier noch vorhanden ist.

Wird es eigentlich auch noch ein neues Studioalbum der Nits geben, wenn wir schon so intensiv über Musik reden?
Zuletzt haben wir ein Minialbum rausgebracht, das eine traurige Geschichte als Grundlage hat. Wir haben aber natürlich mehr Songs geschrieben und sind dabei zu überlegen, ob wir noch ein zweites Minialbum veröffentlichen werden. Das dreht sich dann nicht um das Feuer in unserem Studio, dass Instrumente und Erinnerungen verbrannt hat. Es geht um das Reisen und darum, aus Krisen wieder rauszufinden und weiterzumachen. Schauen wir mal, wir haben uns noch nicht final entschieden.

Du bist ein besonders guter Beobachter von Dingen. Ist das ein wichtiges Asset, wenn man Songwriter ist?
Ich denke schon, aber es gibt so viele Wege, wie man Songs schreibt. Meine Songs entstehen für gewöhnlich tatsächlich aus Beobachtungen. Es gibt aber auch Lieder, die sich einfach nur mit den Freuden des Lebens befassen und gar keiner Geschichte gehören. Dann gibt es dunkle Alben, wie jene von Nick Cave, wo er beobachtend in seine tiefsten inneren Sphären hineinreicht. Leonard Cohen zum Beispiel ist verantwortlich für die dunkelsten Alben der Musikgeschichte. Am anderen Ende der Fahnenstange sind die frühen Beatles mit ihrer schier unerschöpflichen Lebensfreude. Das Songwriting ist unglaublich breit und vielseitig.

Welche Farbe würden denn die Nits einnehmen, wenn Cohen die schwärzesten Alben schreibt?
Wir würden irgendwo dazwischen sein. Die Schwärze und das Ende der dunklen Linie haben mich schon immer fasziniert. Andererseits liebe ich das Impressionistische und die lichten Momente. Monet etwa lebt von Licht und Farben – genau zwischen diesen Polen befinden sich die Nits. Ich überlege mir, ein Album über meinen Großvater zu schreiben. Und über die Welt, wie sie 1910 herum war. Das ist wieder eine andere Geschichte, aber der Reiz ist da, dieses Projekt anzugehen. Dafür muss man viel recherchieren und den Stammbaum weit zurückverfolgen. Die alten Familienmitglieder sind fast alle gegangen, jetzt bin ich der alte. Also befrage ich meine Neffen und die Jüngeren, welche Erinnerungen sie an die Familie haben. Die Geschichte meiner Familie in Amsterdam begann mit meinem Großvater, als er als Farmer hierherkam, um in einer Fabrik zu arbeiten. Sie bezogen ein kleines Haus mit sieben Kindern. Das ist gleichzeitig die Geschichte von vielen anderen Menschen hier. Die Geschichte von harter Arbeit und Armut. Die Geschichte von zwei Weltkriegen und Umbrüchen. Von Nichts zur Landung auf dem Mond.

Live in Wien
Am 14. November kommen die Nits zum 50-Jahre-Jubiläum für ein exklusives Österreich-Konzert ins Wiener Theater Akzent. Unter www.oeticket.com gibt es noch Karten und alle weiteren Informationen.

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