Egal, ob Donald Trump oder Kamala Harris – für beide Kandidaten gilt „America first“, analysiert Ex-Botschafter Martin Weiss für die „Krone“.
„Krone“: Herr Weiss, Sie wurden zu Österreichs Botschafter in den USA ernannt, als Donald Trump noch Präsident war, und haben ihn persönlich kennengelernt. Welchen Eindruck hatten Sie damals?
Martin Weiss: Im persönlichen Gespräch war Donald Trump damals freundlich und durchaus an Österreich interessiert. Er hält sich bei solchen Terminen nicht an irgendwelche Texte, die ihm das eigene Außenministerium vorgeschrieben hat, sondern sagt einfach das, was ihn gerade bewegt. Wir haben damals auch über hochrangige Besuche zwischen Österreich und den USA gesprochen – da ist uns dann aber leider Covid in die Quere gekommen.
2020 eroberte dann Joe Biden das Weiße Haus. Welche Erinnerungen haben Sie an die turbulente Wahl und die Wochen danach?
Das waren sehr bewegte Zeiten. Denn nach dem Wahltag vergehen bis zur Angelobung fast drei Monate. Und da gab es damals Vorwürfe, Anfechtungen und Anfeindungen – bis zum Sturm auf das Kapitol am 6. Jänner. Ich hätte nie gedacht, dass so etwas mitten in der Hauptstadt der USA, am helllichten Tag, passieren kann. Das war ein Schock. Die Angelobung von Präsident Biden war dann anders als jede andere davor: abgesperrte Straßen, überall Polizei und nur eine kleine Zahl von Gästen statt des sonst üblichen Volksfests. Amerika war erleichtert, dass die Wahl vorbei war, zum Feiern war aber niemandem zumute.
Wie haben sich die USA seitdem verändert?
Die Spaltung ist tief. Das geht so weit, dass man in vielen Familien gar nicht mehr über Politik spricht, sonst würde man sich ernsthaft in die Haare geraten. Ich kann mich an ein Amerika erinnern, in dem Demokraten und Republikaner bei wichtigen Themen zusammengearbeitet haben, wenn es für das Land gut war. Das gibt es heute praktisch nicht mehr. Entweder du oder ich, schwarz oder weiß – dazwischen ist kaum noch Platz für irgendetwas anderes.
Sie beobachteten den Wahlkampf sehr genau. Wollen Sie einen Tipp abgeben? Trump oder Harris?
Der bisherige Wahlkampf war eine Achterbahn: Ein schwächelnder Joe Biden, der die Wahl wohl verloren hätte, wird in letzter Minute ausgetauscht. Attentatsversuche auf Donald Trump. Ein überraschender Höhenflug von Kamala Harris samt starker TV-Debatte gegen einen schlecht vorbereiteten Trump. Und zuletzt wieder steigende Umfragewerte für den Herausforderer. Ich würde sagen, dass Trump die Nase vorn hat. Es wird davon abhängen, wer tatsächlich zur Urne schreitet – es ist spannend.
Welche wäre die bessere Wahl für Europa?
Für jeden US-Präsidenten – ob Harris oder Trump – gilt: America first, Amerika zuerst. Europa wäre daher gut beraten, sich um seine eigenen Interessen zu kümmern. Von der Verteidigungspolitik bis zu Energie- und Wirtschaftsfragen und dem Wettbewerb mit China. Amerika wird nicht auf Dauer die Kastanien für uns aus dem Feuer holen. „Europa zuerst“ wäre da eine bessere Strategie – ganz unabhängig davon, wie die Wahlen in den USA ausgehen.
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