Am 21. August 1968 marschierten 500.000 Soldaten des Warschauer Pakts in die Tschechoslowakei ein. Der „Prager Frühling“, das Experiment eines „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“, wurde damit gewaltsam beendet.
Auch so kann man politische Ereignisse im Nachhinein deuten: Die Tschechoslowakei habe von Frühling bis Sommer 1968 eine Massenpsychose erlebt und falsche Propheten hätten sich diese Hysterie zunutze gemacht. Nun aber werde der sozialistische Bruderstaat wieder mit fester Hand auf den rechten Weg geführt. Das war Moskaus Erklärung nach dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts am 21. August 1968 in Prag.
Ob diese offizielle Begründung für eine derart massive militärische Intervention schlüssig war, war für den Kreml bedeutungslos. Denn die zentrale Botschaft kam mehr als deutlich im ganzen Ostblock an: Die sozialistischen Bruderstaaten verfügen nur über eine begrenzte Souveränität und jede Aufweichung des Moskauer Machtmonopols werde eine Militärintervention nach sich ziehen. Moskau hatte seinen Standpunkt unmissverständlich klargemacht. Und die Initiatoren und Unterstützer des „Prager Frühlings“, wie das Liberalisierungs- und Demokratisierungsprogramm der kommunistischen Partei der Tschechoslowakei genannt wurde, erkannten, dass ihr Traum, den Kommunismus zu reformieren und mit den Idealen der Demokratie zu vereinbaren, eine Illusion war.
Rückblende: Am 5. Januar 1968 war es in der Tschechoslowakei zu einem Machtwechsel an der Spitze der kommunistischen Partei gekommen. Neuer Generalsekretär des Zentralkomitees wurde Alexander Dubček. Bereits zwei Monate nach seiner Wahl wurde die Demokratisierung des politischen und wirtschaftlichen Systems angekündigt, der Sozialismus sollte reformiert werden. Weiters sollte die wirtschaftliche Stagnation mit marktwirtschaftlichen Impulsen endlich überwunden werden. Und der starre Zentralismus sollte einem Pluralismus Platz machen: Nach einer zehnjährigen Übergangsphase wollte die Kommunistische Partei der Tschechoslowakei die Gründung anderer Parteien zulassen – und sich mit diesen dann bei freien Wahlen messen.
Als auch noch die Zensur abgeschafft wurde, reichte es Moskau
Denn weder Alexander Dubček noch die Proponenten des Prager Frühlings wollten eine Abschaffung des Sozialismus, sie arbeiteten auf einen reformierten, demokratischen Sozialismus hin. Es war ein einzigartiges Experiment, das als „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ bezeichnet wurde – der „Prager Frühling“ hatte begonnen. In Moskau jedoch beobachtete man diese befremdlichen Tendenzen genau, umso mehr, als dass die Tschechoslowakische Sozialistische Republik stets als der ideologisch unzuverlässigste Partner des Warschauer Pakts gegolten hatte.
Am 26. Juni wurde auch noch die Zensur der Medien offiziell abgeschafft. In Moskau war man inzwischen zur Überzeugung gelangt, dass Alexander Dubček sowohl die Kontrolle über die Partei als auch über das Land verloren hatte. Zudem sorgte man sich, dass auch andere Bruderstaaten dieses Experiment versuchen könnten. Bereits im April 1968 war der sowjetische Verteidigungsminister Andrej Gretschko ermächtigt worden, einen Eventualplan für eine militärische Operation zu entwickeln – die spätere „Operation Donau“.
Würden die USA den Kernwaffensperrvertrag aufs Spiel setzen?
Mit jeder weiteren Liberalisierungsmaßnahme wuchs das Unbehagen in Moskau. Am 18. August 1968 traf der Kreml schließlich die Entscheidung, in der Tschechoslowakei einzumarschieren – weil man fürchtete, dass am bevorstehenden 19. Parteitag der tschechischen Kommunisten die endgültige Übernahme der Partei durch den Reformflügel erfolgen würde. Verteidigungsminister Andrej Gretschko informierte die versammelten sowjetischen Militärführer von der Entscheidung zur Invasion mit den Worten: „Die Invasion wird stattfinden, selbst wenn sie zum dritten Weltkrieg führt“. Dass diese Gefahr nicht wirklich bestand, wusste Moskau: Die USA hätten den kurz zuvor erst unterzeichneten Kernwaffensperrvertrag nicht für eine sozialistische Reformbewegung aufs Spiel gesetzt.
Am 21. August marschierten 500.000 Soldaten des Warschauer Paktes in der ČSSR ein. Die Regierung bat die Bevölkerung, den Truppen keinen Widerstand entgegenzusetzen, diese versuchte aber zumindest, durch verschiedenste Aktionen die militärische Besetzung zu verlangsamen: Straßenschilder wurden abgenommen, Nachschubzüge für die Truppen umgeleitet. Die Parteiführung unter Alexander Dubček wurde verhaftet und nach Moskau geflogen, wo man sie zwang, ein Papier zu unterzeichnen, in dem sie ihr Reformprogramm widerriefen und sich mit der sowjetischen Besetzung ihres Landes einverstanden erklärten. Der Traum von einem Sozialismus mit menschlichem Antlitz war ausgeträumt.
Kommentare
Willkommen in unserer Community! Eingehende Beiträge werden geprüft und anschließend veröffentlicht. Bitte achten Sie auf Einhaltung unserer Netiquette und AGB. Für ausführliche Diskussionen steht Ihnen ebenso das krone.at-Forum zur Verfügung. Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.
User-Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Betreibers/der Redaktion bzw. von Krone Multimedia (KMM) wieder. In diesem Sinne distanziert sich die Redaktion/der Betreiber von den Inhalten in diesem Diskussionsforum. KMM behält sich insbesondere vor, gegen geltendes Recht verstoßende, den guten Sitten oder der Netiquette widersprechende bzw. dem Ansehen von KMM zuwiderlaufende Beiträge zu löschen, diesbezüglichen Schadenersatz gegenüber dem betreffenden User geltend zu machen, die Nutzer-Daten zu Zwecken der Rechtsverfolgung zu verwenden und strafrechtlich relevante Beiträge zur Anzeige zu bringen (siehe auch AGB). Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.