Die deutsche Ampelkoalition ist, wie berichtet, gescheitert. Bis zum Neuwahltermin im März werden die Regierungsgeschäfte von SPD und Grünen weitergeführt. Denn nach der Entlassung von Finanzminister Christian Lindner ziehen sich nun alle verbliebenen Parteikollegen aus der Regierung zurück. Alle – bis auf Verkehrsminister Volker Wissing, der auf Bitten des Bundeskanzlers aus seiner Partei ausgetreten ist und seinen Posten behält.
Damit gibt es dann zum ersten Mal seit 2005 wieder eine rot-grüne Regierung, die allerdings keine Mehrheit im Parlament hat. Sie soll auch nur für eine Übergangsphase bestehen, von der man noch nicht genau weiß, wie lange sie dauern wird. Am 15. Jänner will Scholz die Vertrauensfrage im Bundestag stellen, um eine Neuwahl herbeizuführen. Die muss wegen zweier im Grundgesetz verankerter Fristen von insgesamt 81 Tagen spätestens Anfang April stattfinden. Als wahrscheinlichster Termin gilt derzeit der 30. März, weil dann in keinem Bundesland Ferien sind.
Erbitterter Streit über Wirtschaftspolitik und Budget
Der Bruch der ersten Koalition von SPD, Grünen und FDP auf Bundesebene war Mittwochabend nach einem erbitterten Richtungsstreit vor allem über den künftigen Kurs in der Wirtschafts- und Haushaltspolitik erfolgt. Scholz hatte in den Verhandlungen unter anderem ein erneutes Aussetzen der Schuldenbremse gefordert. Angesichts der verfahrenen Lage hatte Lindner dann in der Sitzung des Koalitionsausschusses mit allen Partei- und Fraktionsspitzen am Mittwochabend vorgeschlagen, gemeinsam eine Neuwahl des Deutschen Bundestags in die Wege zu leiten.
In einer anschließenden Sitzungspause landete der Lindner-Vorschlag in der Öffentlichkeit, mehrere Medien berichteten darüber, woraufhin Scholz den Bundespräsidenten um die Entlassung seines Finanzministers bat. Als Reaktion zog die FDP alle ihre Minister aus dem schon seit vielen Monaten heillos zerstrittenen Dreier-Bündnis ab – und besiegelte somit das Ende der Ampel.
Scholz rechnete mit Lindner knallhart ab
Die offensichtlich schon länger vorbereitete Rede des Kanzlers, in der er den Rausschmiss Lindners ankündigte, wurde von vielen Parteifreunden später als der beste Auftritt seiner Amtszeit gelobt. Sie war vor allem eine knallharte Abrechnung mit dem Finanzminister. Scholz warf Lindner vor, in der gemeinsamen Regierungszeit Kompromisse durch öffentlich inszenierten Streit übertönt und Gesetze sachfremd blockiert zu haben. „Zu oft hat er kleinkariert parteipolitisch taktiert. Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen.“ Es gebe deswegen keine Basis für die weitere Zusammenarbeit. „So ist ernsthafte Regierungsarbeit nicht möglich.“
Lindners Gegenangriff: „Scholz ging es nicht um Einigung“
Der entlassene FDP-Chef gab die Vorwürfe an Scholz zurück. Der SPD-Politiker habe den Bruch der Ampelkoalition gezielt herbeigeführt. „Sein genau vorbereitetes Statement vom heutigen Abend belegt, dass es Olaf Scholz längst nicht mehr um eine für alle tragfähige Einigung ging, sondern um einen kalkulierten Bruch dieser Koalition“, sagte Lindner. Damit führe Scholz Deutschland in eine Phase der Unsicherheit. Lindner warf SPD und Grünen vor, seine Vorschläge für eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage nicht einmal als Beratungsgrundlage akzeptiert zu haben. Scholz habe die wirtschaftlichen Sorgen der Bürgerinnen und Bürger lange verharmlost. „Seine Gegenvorschläge sind matt, unambitioniert und leisten keinen Beitrag, um die grundlegende Wachstumsschwäche unseres Landes zu überwinden, damit wir unseren Wohlstand, unsere soziale Sicherung und unsere ökologische Verantwortung erhalten können.“
Scholz habe ultimativ von ihm verlangt, die Schuldenbremse des Grundgesetzes auszusetzen. „Dem konnte ich nicht zustimmen, weil ich damit meinen Amtseid verletzt hätte. Deshalb hat der Bundeskanzler in der Sitzung des Koalitionsausschusses am heutigen Abend die Zusammenarbeit mit mir und der FDP aufgekündigt“, sagte Lindner.
Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) verteidigte im Deutschlandfunk die Entlassung Lindners. Man hätte die bestehenden Budgetlücken schließen können, aber „der Wille war nicht da“. Der Wirtschaftsminister warf Lindner vor, Parteipolitik vor seine Verantwortung als Minister gestellt zu haben. „Ein Finanzminister muss vor allen anderen für das Team spielen, muss für die Lösung spielen und kann nicht in allererster Linie FDP-Parteivorsitzender sein“, sagte Habeck. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) warf Lindner vor, keine Verantwortung mehr für Deutschland tragen zu wollen. Dies sei aber weiter nötig. „Das tun wir jetzt auf andere Weise“, sagte Baerbock.
SPD-Politiker übernimmt Finanzministerium
Bereits am heutigen Donnerstag soll übrigens ein Nachfolger für Lindner übernehmen. Dabei soll es sich dem Vernehmen nach um SPD-Politiker Jörg Kukies handeln, der derzeit Staatssekretär im Bundeskanzleramt ist. Kukies gilt als einer der wichtigsten Berater von Scholz. Er ist sein Mann für Wirtschaft und Finanzen und verhandelt für ihn die Abschlussdokumente der G7- und G20-Gipfel.
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