Jene Mutter, deren Tochter nach einer missglückten Alleingeburt zu Hause schwerst behindert ist, wurde am Freitag zu einer bedingten sechsmonatigen Haftstrafe verurteilt. Richterin und Schöffen waren der Ansicht, sie habe entgegen ärztlichem Rat gehofft, „es werde schon alles gut gehen“. Beide Parteien beriefen gegen das Urteil.
Ein tragischer Prozess sollte heute zu einem Ende kommen: Eine 38-jährige mehrfache Mutter musste sich erneut am Landesgericht Wels verantworten. Die Geburt ihrer letzten Tochter im August des Vorjahres war katastrophal schiefgegangen, das nun eineinhalb Jahre alte Mädchen ist schwer behindert.
Geplant oder nicht?
Geklärt soll werden, ob die Mutter eine Geburt im Spital geplant hatte, oder ob sie das Kind absichtlich alleine in ihrem Badezimmer zur Welt gebracht hatte. Das wurde zwar von ihrem Verteidiger und mehreren Zeugen in Abrede gestellt, die Richterin war jedoch der Ansicht, dass sie ärztliche Warnungen in den Wind geschlagen und gehofft hätte, es würde schon alles gut gehen. Der Aussage der Mutter, sie habe geduscht, und wüsste nichts mehr, bis bereits die Beine des Kindes herausgeschaut hätten, wurde zwar Glauben geschenkt, und auch, dass sie Hilfe hätte holen können, wurde relativiert.
Zeugen sollten Klarheit schaffen
Am Freitag wurden noch vier weitere Zeugen gehört - Ein Feuerwehrmann und Freund des Kindesvaters, wegen dessen Abwesenheit der vorangegangene Verhandlungstermin abgesagt worden war, zwei Freundinnen und eine Cousine der Mutter sagten vor Gericht aus. Der Berufsfeuerwehrmann konnte nicht beitragen, außer, dass für ihn die Lage vor Ort „vorbereitet“ ausgesehen hätte. Außerdem hätte die Mutter mehrmals betont, keine Rettung zu brauchen, obwohl das Neugeborene bereits verfärbt gewesen sei. Dabei sei sie allerdings „komplett durch den Wind“ gewesen. Vieles andere hatte er aber vom Hörensagen mitbekommen, was ihm der Kindesvater über Gespräche mit der beschuldigten Mutter erzählt hätte. Die drei Zeuginnen beschrieben jedoch beinahe unisono, dass eine Hausgeburt gar nicht zur Debatte gestanden war. Auch der Vorwurf, sie lehne die Schulmedizin ab, war für sie komplett abwegig.
„Als Opfer dargestellt“
Im Schlussplädoyer bezichtigte die Staatsanwältin die mehrfache Mutter noch einmal, sich während des ganzen Prozesses als Opfer dargestellt zu haben – in Wirklichkeit sei aber die Tochter die geschädigte, weil die Eineinhalbjährige in fast jedem möglichen Bereich massivste Defizite aufweise – sei es Motorik, Sensorik oder soziales Verhalten. Die 38-Jährige hätte sehr wohl Zeit gehabt, Hilfe zu holen, und auch später die Rettung, anstatt des Kindesvaters zu alarmieren.
„Substanzlose Anklage“
Der Verteidiger hielt dagegen: Die Mutter habe sich im gesamten Prozess nie als Opfer dargestellt, hätte Vertrauen in die Schöffen, die Justiz und die Schulmedizin. Sie sei einzig und allein Opfer der Staatsanwaltschaft, die eine Anklage ohne jede Substanz allein auf der später beinahe komplett revidierten Aussage des Kindesvaters und Ex-Lebensgefährten basiere.
Belastung stark abgeschwächt
Der hätte erst angegeben, dass die Mutter ihn mehrmals unter Druck gesetzt habe, ihr bei einer Hausgeburt zu helfen. Als dieser ablehnte, habe sie gedroht: „Dann mache ich es eben alleine!“ Dass sie damit gemeint hätte, alleine zu Voruntersuchungen, Wendungen und zur Geburt ins Krankenhaus zu gehen, sei von der Anklage nie in Betracht gezogen worden. Schließlich hatte ja jener Kindesvater und Ex-Lebensgefährte am vergangenen Verhandlungstag seine Aussage, ob die Hausgeburt geplant gewesen war, innerhalb weniger Minuten komplett umgedreht, nachdem ihm gemeinsame Termine und Besichtigungen von Kreißsälen vorgehalten worden waren.
Sachverständiger auch Anzeiger
Schärfstens kritisierte der Verteidiger die Hinzuziehung eines medizinischen Sachverständigen, weil er als Stationsleiter die Anzeige gegen die Mutter erstatten ließ. Er hatte am ersten Verhandlungstag zwar angegeben, dass es Geburtssituationen gäbe, in denen man keine Zeit habe, Hilfe zu holen. Der 38-Jährigen sprach er dies aber nicht zu. Schließlich schloss der Anwalt, dass auch bei einer Spitalsgeburt die Sicherheit und Gesundheit des Kindes nicht mit „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ gegeben wäre, weshalb er keine kausale Unterlassung sähe, und den Freispruch beantragte.
Grobe Fahrlässigkeit statt schwerer Körperverletzung
Am Ende blieb vom Vorwurf der vorsätzlichen schweren Körperverletzung eine grobe Fahrlässigkeit übrig: Die Mutter wurde zu einer sechsmonatigen Haftstrafe verurteilt, die ihr bedingt nachgewiesen wurde. „Was man ihnen wirklich vorwerfen muss, ist, dass sie bei den Risiken die Scheuklappen zugemacht und entgegen aller Empfehlungen gehofft haben, dass schon alles gutgehen wird“, so die Richterin. Die stark abgeschwächte Aussage des Kindesvaters erklärte die Vorsitzende damit, dass der Ex-Lebensgefährte nicht gewollt habe, dass die Mutter dreier seiner Kinder ins Gefängnis muss.
Von Gefängnis und Geldstrafe abgesehen
„Weil wir aber den Eindruck haben, dass Sie sich sonst gut um ihre Kinder kümmern, haben wir die Haftstrafe bedingt nachgesehen“, erklärt die Richterin. Vom ursprünglichen Strafrahmen von bis zu zehn Jahren blieb eine Strafdrohung von bis zu zwei Jahren übrig. Mildernd gewertet war die Unbescholtenheit der Angeklagten, erschwerend die schwere Dauerfolge. Beide Parteien meldeten eine Berufung an, die Verteidigung legte zudem eine Nichtigkeitsbeschwerde ein. Der Prozess geht damit in die nächste Instanz.
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