Mit „Kästner, Kraftwerk, Cock Sparrer“ (Piper Verlag) veröffentlichte Punk-Urgestein Campino vor wenigen Tagen sein zweites Buch. Im Zuge einer Gastprofessur in Düsseldorf analysierte er seine Texte aus 40 Jahre Die Toten Hosen und zog Parallelen zur alten Literatur, Kriegen und der modernen Gesellschaft.
Manchmal schließt sich der Kreis im Leben erst sehr spät. Ein 160 Seiten starkes Lied davon besingt Tote Hosen-Frontmann Campino in seinem neuen Werk „Kästner, Kraftwerk, Cock Sparrer“ (Piper Verlag), das nach „Hope Street“ 2020 bereits sein zweiter Ausflug ins Literarische geworden ist. Grundlage für den aktuellen Bestseller war die Einladung der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf, die immer wieder Gastprofessuren an Personen des öffentlichen Lebens verteilt und dieses Mal in die westdeutsche Punk-Ursuppe hineingegriffen hat. Die zwei Vorlesungen, die Campino früher in diesem Jahr dafür abhielt, hat er grob unter den Begriff „Gebrauchslyrik“ gestellt. So bezeichnet er im Großen und Ganzen seine Texte für die Toten Hosen, die in mehr als 40 Jahre Karriere schon mehreren Veränderungen unterzogen waren.
Freund der verbalen Diskussion
Dass viele Wissbegierige sich für Campinos Vorträge interessieren, war zu erwarten. Dass es am Ende rund 30.000 Ticketanfragen für nur 650 Plätze gab, hat auch dem erfolgsverwöhnten Sänger ein Lächeln ins Gesicht gezaubert. Dass die Kombination Campino und Vortrag per se funktionieren wurde, war aber auch schon im Vorhinein klar. Wie kaum ein Zweiter hält der Düsseldorfer zeit seines Lebens nicht mit seiner Meinung hinter dem Berg. Er artikuliert, verbalisiert und diskutiert gerne über die großen und kleinen Probleme der Welt und pflegt mit dem ständigen Zwiegespräch eine Eigenschaft, die uns im Zeitalter des virtuellen Versteckens zunehmend verlustig geht oder, wenn es denn abgehalten wird, meist nicht mehr lösungsorientiert über die Bühne geht.
Campino wäre nicht Campino, hätte er für die beiden Vorlesungen bloß die Hosen-Texte der letzten 40 Jahre analysiert, ohne Brücken und Querverbindungen in alle Richtungen zu schlagen. Der 62-Jährige hatte sich auf die Aufgabe gewohnt gut vorbereitet und lässt dabei tief in das eigene Seelenleben blicken. Man wird noch einmal Zeuge seines Punk-Außenseiterstatus in den späten 70er-Jahren, spürt förmlich die Gewaltausbrüche des Vaters und die nicht enden wollende Hoffnung seiner Mutter und Geschwister nach friedlicher Gemeinschaft. Es ist aber auch eine Reise zurück in eine Zeit, wo sich das ganze Land mit seiner neuen Rolle in der Weltpolitik schwertat und diese Unsicherheit auf die Bürger und Nachkommen abfärbte. Punk war auch in Deutschland die Revolution, die Dogmen niederrang und fest verkrustete Strukturen aufbrach.
Literaten und Punks
Neben genaueren Einblicken in seine eigenen holprigen Texte aus den frühen Tagen lenkt Campino das Scheinwerferlicht vor allem auf die Helden, die ihn zum Texten inspiriert haben: Heinrich Heine, Bertolt Brecht, Kurt Tucholsky und vor allem Erich Kästner haben es ihm angetan. Es ist nur ein scheinbarer Widerspruch, dass der junge Punk sich neben diesen Geistesgrößen gerne mit dem Sound von Cock Sparrer, den Buzzcocks oder den U.K. Subs die Ohren zudröhnte. Die Schriftsteller und britischen Punk-Poeten waren aber nicht nur technisch, sondern auch von der Geisteshaltung her Heroen für sein eigenes Tun. Es ging ihnen mitunter um die Entlarvung der eigenen Psyche und darum, schonungslos mit gewohnten Mechanismen umzugehen, die der Weiterentwicklung einer Gesellschaft abträglich sind.
Campino hat bekanntermaßen ein Herz für die Underdogs und Missverstandenen. Besonders aber auch für jene, die trotz ihrer Genialität niemals den Sprung ins Rampenlicht geschafft haben. Dass er im Buch etwa den hierzulande semibekannten deutschen Liedermacher Hannes Wader samt seiner Textbespiele zu einer breiteren Bühne verhilft, kann nicht als wichtig genug angesehen werden. Campino zieht Rückschlüsse darüber, wie ihn persönliche Erlebnisse und Rückschläge dazu gebracht haben, Texte für die Band zu schreiben. Er sinniert darüber, dass er oft am eigenen Perfektionismus scheitert und geht gerne hart mit sich selbst ins Gericht. Das kennen Campino-Fans freilich, für all jene, die ansonsten querbeet durch den Musikerbiografien-Gemüsegarten lesen, ist es jedenfalls spannend zu sehen, dass es auch Künstler gibt, die sich nicht nur in den Himmel loben, sondern auch knallhart ihre Unzulänglichkeiten und Fehler analysieren.
Kreis hat sich geschlossen
Campino verwebt persönlich Erlebtes mit deutscher Zeitgeschichte, bringt die Freuden des Punk und die Schrecken des Krieges zusammen und findet im zweiten und wesentlich kürzeren Kapitel des Buches auch noch genügend Raum, um sich über die „Kakophonie unserer Zeit“ zu echauffieren – natürlich nicht plump und mit dem Holzprügel dreschend, sondern nachdenklich, die Fakten auslotend und zu jeder Zeit sich selbst hinterfragend. Wer Campino-/Hosen-Fan ist und mit seinem üppigen Selbstvertrauen kein Problem hat, wird hier einen Nachmittag lang perfekt unterhalten und lernt bestenfalls noch einiges dazu. Wen Campino in seiner Rolle als (oft ungefragter) Musikweltpolizist zu sehr an Bono gemahnt, hat ohnehin schon anfangs weitergeklickt. Campino war an der Heinrich-Heine-Uni einst übrigens für Englisch und Geschichte eingeschrieben, schaffte es aber - laut eigenem Bekunden – nicht weiter als bis zur Mensa. Nun hat sich der Kreis eben geschlossen.
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