Ein ansehbarer Shakespeare an der „Burg“: Der aus Köln mitgebrachte „Lear“ mit Martin Reinke hat große Vorzüge und einige Nachteile
Wer sich an der Burg über den „Lear“ traut, muss auch Erinnerungen stemmen, die noch größer sind als das damals Stattgefundene. Weder Luc Bondy und Gert Voss noch Peter Stein und Brandauer sind da ans Optimum ihrer Möglichkeiten gelangt. Aber einem von ihnen auch nur nahezukommen, bleibt herausfordernd. Klugerweise hat die Direktion daher auf ein Gigantenstechen verzichtet und Rafael Sanchez’ schon in Köln erfolgreiche Inszenierung mitgebracht.
Und die hat viele Vorzüge: Martin Reinke ist im nur sechs Personen starken Ensemble ein großartiger Protagonist, die Geschichte der Hybris und des Absturzes eines Mächtigen wird spannend und nah am Text entlang erzählt.
Über der Szene (Simeon Meier) liegt pechschwarze Nacht, die sich keinen Augenblick lang lichtet. Shakespeares Weltpessimismus, der Gute wie Böse im Orkus versammelt, wird packend umgesetzt. Lear und die bösen Töchter (erstklassig: Sylvie Rohrer und Lilith Häßle) sind Alleininhaber ihrer Rollen.
Die anderen sind zum Mehrfacheinsatz verpflichtet. Seán McDonagh überbrückt die Spanne zwischen dem guten Kent und dem verworfenen Intriganten Edmund ansehbar, Bruno Cathomas hätte besser mit dem gefolterten und geblendeten Gloster das Auslangen gefunden – er muss den Albany zwecks Kontrasterzeugung arg outrieren. Dafür ist Katharina Schmalenberg, zuständig für die Lichtgestalten Cordelia, Narr und Edgar, ein betörendes Feenwesen. Der Musiker Pablo Giw erzeugt eine an Brooks’ „Sturm“ erinnernde Grundierung.
Zu bemängeln ist allerdings der Einsatz dröhnender Gesichtsmikrofone. Und dass die Heideszene vernichtet wird, indem man Reinke auf eine Videowand projiziert, ist ein Rücksturz in die vorsintflutliche postdramatische Provinz. Äußerst ansehbar sind die fast vier Stunden aber jedenfalls.
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