Bei Party auf Campus
Als Boston ihn jagte, feierte der jüngere Bruder
Dzhokhar Tsarnaev studierte an der MIT, auch am Tag nach dem Anschlag mit drei Toten und rund 180 Verletzten besuchte der 19-Jährige Vorlesungen, trainierte im Fitnessraum und amüsierte sich mit seinen Freunden auf Partys. Eine Studentin berichtete gegenüber dem "Boston Globe", sie habe Dzhokhar noch am Mittwochabend auf einem Fest gesehen, das von seinen Kameraden des Universitätsfußballteams veranstaltet wurde. "Er war total entspannt", sagte die Studentin, die anonym bleiben wollte, der Zeitung. Er habe auch bis zum Donnerstag im Studentenwohnheim übernachtet.
Als die Fahndungsfotos der Terror-Brüder erstmals über die TV-Bildschirme flimmerten, habe man im Studentenwohnheim, in dem Tsarnaev lebte, noch darüber gescherzt, erzählt Pamela Bolon, eine Kommilitonin des 19-Jährigen. "Wir haben gelacht und gesagt: 'Schau mal, der sieht aus wie Dzhokhar.' Aber dann haben wir uns gedacht: 'Dzhokhar? Niemals!' Keiner hätte geglaubt, dass er so was tun könnte."
Als die Fahndung der Polizei in vollem Gange war, stellte die Universität am Freitag vorübergehend den Betrieb ein. Nach einer Durchsuchungsaktion der Polizei nahm sie am Sonntag wieder ihren normalen Betrieb auf.
Schusswechsel auf dem Campus
In der Nacht auf Freitag verschärfte sich die Situation schließlich. Polizeisirenen, Kugelhagel, Explosionen von selbst gebauten Sprengsätzen – wenig später ist der ältere Bruder Tamerlan tot. Dzhokhar Tsarnaev flüchtet blutend in die Nacht. Keiner lacht mehr auf dem Campus. Die Universität veröffentlicht auf ihrer Website die Aufforderung, in den Wohnheimen zu bleiben und die Türen zu schließen.
Die Jagd nach dem 19-Jährigen wird noch fast 24 Stunden dauern, Boston befindet sich im Ausnahmezustand. Dann, am Feitagabend, wird der mutmaßliche Attentäter festgenommen. Bis zuletzt leistet Tsarnaev Widerstand, liefert sich Feuergefechte mit der Polizei. Der Polizeichef von Watertown, Edward Deveau, gab am Samstag Details zur Festnahme bekannt. Der 19-Jährige habe nach langer Verfolgung letztlich aufgegeben (Video der Festnahme siehe oben).
"Er tat, was wir ihm befohlen hatten"
"Schließlich tat er, was wir ihm befohlen hatten, stand auf und hob sein Hemd hoch", sagte Deveau in einem Interview des TV-Senders CNN. Die Polizei wollte so sehen, ob der Verdächtige Sprengstoff bei sich trug. Deveau sprach von "20 Minuten Verhandlungen" mit dem Schwerverletzten. Er räumte allerdings ein, dass Tsarnaev dabei "nicht viel gesagt" habe. Er habe aber noch um sich geschossen.
Einem unbestätigten Bericht des Senders CBS zufolge habe Dzhokhar Tsarnaev kurz vor seiner Festnahme einen Selbstmordversuch unternommen. Er habe sich eine Pistole in den Mund gesteckt und abgedrückt, berichtete CBS und berief sich dabei auf Bostoner Polizisten.
Der Zustand des 19-Jährigen sei derzeit "ernst, aber stabil", hieß es. Er habe viel Blut verloren. Das Beth Israel Deaconess Medical Center, in dem er liege, werde schwer bewacht. Weiter hieß es, die Polizei habe dem Festgenommenen bisher nicht seine Rechte vorgelesen. Dies sei aber in besonderen Fällen möglich.
"Nach dem, was wir wissen, waren sie alleine"
Die Polizei sucht nun nach wie vor nach dem Motiv der Brüder. Komplizen dürften die beiden allerdings keine gehabt haben. Deveau äußerte sich überzeugt, dass Tamerlan und Dzhokhar keine Hintermänner hatten. "Nach dem, was wir wissen, waren sie allein." Welche Höchststrafe Dzhokhar droht, hängt davon ab, ob er nach Landes- oder Bundesrecht angeklagt wird: Massachusetts kennt keine Todesstrafe, die USA als Bundesstaat aber schon.
Der Vater der mutmaßlichen Attentäter hat unterdessen erklärt, er wolle seinen getöteten Sohn Tamerlan in der Heimat, im russischen Konfliktgebiet Dagestan im Nordkaukasus, beerdigen lassen. Allerdings fehle ihm dafür das nötige Geld, sagte Anzor Tsarnaev der Staatsagentur Ria Nowosti am Sonntag. Er könne auch weder eine Reise in die USA bezahlen noch einen Anwalt. "Leider können weder Verwandte noch Freunde finanziell helfen", sagte Tsarnaev, der sich derzeit in der dagestanischen Hauptstadt Machatschkala aufhält. "Natürlich würde ich gerne meinen Sohn abholen, falls seine Leiche freigegeben wird, und ihn hier begraben."
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