In „Ungeschminkt“ (Premiere heute auf ORF 2, 20.15 Uhr) spielt Publikumsliebling Adele Neuhauser die Rolle von Josefa, die früher Josef war und nach dem Tod ihrer Mutter von der Vergangenheit eingeholt wird. Im „Krone“-Gespräch gibt die 65-Jährige tiefere Einblicke in ihre Rolle als Transperson und die wahren Botschaften des Films.
Als Josefa (Adele Neuhauser) vom Tod ihrer Mutter benachrichtigt wird, wird sie gleichzeitig auch mit ihrer Vergangenheit konfrontiert. Als Erbin fährt die Städterin nach vielen Jahren zurück aufs Land, das ihr – damals noch als Josef – viel zu eng war und das sie für eine neue Zukunft verließ. Die Rückkehr bedeutet auch ein Wiedersehen mit ihrem besten Freund Blume (Ulrich Noethen), ihrer Ex-Frau Petra (Eva Mattes) und mit Ressentiments seitens der Dorfbevölkerung. Immer stärker kristallisiert sich heraus, dass alle Gräben nur mit Diskurs, Toleranz, Verständnis und Vergebung zugeschüttet werden können.
„Krone“: Frau Neuhauser, in „Ungeschminkt“ spielen Sie die Rolle der Josefa, die als Kind Josef war und nach dem Tod ihrer Mutter wieder mit ihrer alten, ländlichen Heimat konfrontiert wird. Was hat Sie an dieser Rolle besonders gereizt?
Adele Neuhauser: Mich interessieren grundsätzlich Figuren, die missverstanden werden oder in Bedrängnis geraten. Das Trans-Thema ist grundsätzlich eines, das aktuell ist und in den letzten Jahren einen seltsamen Hype erfuhr. Ich sage seltsam, weil ich glaube, dass es von medialer Seite so reißerisch behandelt wurde. Dieser Film erzählt das Thema ganz anders – mit einer großen Sensibilität. Es wird nicht unbedingt die Geschlechtsangleichung thematisiert, sondern es geht um Verletzungen, die man aneinander vollzogen hat. Von Josefa, der Trans-Frau, aber auch allen anderen. Ihrer Ex-Frau, ihrem besten Freund und ihrer Familie. Das Großartige an diesem Film ist, dass sie versuchen miteinander zu reden, ihre Verletzung miteinander teilen und einen Weg für sich finden. Das macht alles hoffnungsfroh. Viele Menschen vergessen, dass Zuneigung und Liebe nach all den Jahren noch immer da sein können, sonst wären die Wunden schon längst verheilt.
Als Josefa von der Stadt aufs Land fährt, ist sie mit einer anderen Mentalität konfrontiert. In ihrer Jugend gab es noch keine Smartphones und die Menschen am Land befinden sich allgemein nicht in solchen Blasen wie in der Stadt. Dort vermischen sich unterschiedliche Berufsgruppen und Sichtweisen leichter.
Absolut. Es gibt den Moment, wo Josefa ins örtliche Gasthaus kommt und sie verhält sich ihrem Gegenüber da auch nicht gerade empathisch. Sie geht gleich in den Angriff über, was nicht von Vorteil und nicht schön ist. Das hat Uli Brée klug und schön geschrieben. Die voyeuristischen Züge kommen im Film auch raus, wenn der eine Dorfbewohner zu ihr fährt, um zu prüfen, wie jemand in seinen Augen „Umoperiertes“, obwohl es natürlich eine Angleichung ist, aussieht. Solange es ohne Vorurteil passiert, hat jeder das Recht, seinen Widerstand zu äußern. Ich hoffe und glaube, dass dieser Film dafür einen Anstoß geben kann.
Während sich die alte Heimat von Josefa kaum verändert hat, hat sie sich in den 35 Jahren seit ihrem Fernbleiben aus dem Dorf markant verändert.
Petra, die Ex-Frau von Josefa, hätte gerne ihr Leben verändert, aber sie war gezwungen, in dieser Blase zu bleiben.
Nachdem die ersten Brücken gebaut und die alten Konflikte beigelegt sind, lebt sich Josefa wieder gut an der Stätte ihrer Kindheit ein. Ist der große Verlierer des Films nicht ihr Mann Magnus, der aus der Stadt kommt und dann unverrichtet wieder abziehen muss?
Er hat viel auf sich genommen und hat eine große Leistung vollbracht, weil er den ganzen Prozess mit Josefa durchlebte. Er weiß genau, was das alles bedeutet. Er ist ein liebender Ehemann, der aber sieht, dass zwischen Petra und Josefa noch etwas ist. Weil er weiß, dass Josefa an ihr altes/neues Leben andocken muss, tritt er zurück.
Das Ping-Pong-Spiel zwischen Ihnen als Josefa und Eva Mattes als Petra ist besonders interessant und gelungen. Herrschte da eine spezielle Chemie?
Es sind sehr liebende Personen. Was die beiden Kameramänner geleistet haben, erzählt die Beziehung der beiden sehr gut. Ich bin unglaublich glücklich, mit Eva Mattes, Uli Noethen und allen anderen so tolle Partner gehabt zu haben.
Es geht in „Ungeschminkt“ auch weniger um das Thema Transperson, sondern mehr um Vergebung, Verzeihen, Verwurzelung und das Zurückfinden in eine längst vergessen geglaubte Vergangenheit.
Man kann die Vergangenheit vielleicht mit anderen Augen sehen. Das funktioniert aber nur, wenn man sich gegenseitig in die Augen schaut und sich damit auch den Monstern der Vergangenheit stellt. Diese Monster verändern sich mit den Jahren auch. Das ist ein Baustein, der für unsere Gesellschaft von großem Wert ist. Nicht nur das Trans-Thema, sondern das gesamte Gesellschaftsthema. Wir alle sind Menschen - also setzen wir uns zusammen und reden miteinander.
Josefa kämpft bei der Rückkehr ins Heimatdorf gegen die inneren Dämonen ihrer eigenen Vergangenheit. Dieser Kampf wird besonders interessant beleuchtet.
Durch den tragischen Unfall mit dem Vater, der aus einem Affekt passiert ist, hat sie eine große Schuld auf sich geladen. Die Klammer ist der Rollstuhl, in der ihr Vater nach dem Unfall landete. Josefa kommt nach einem Unfall auch da rein und fühlt noch einmal den Schmerz von damals. Das ist von Brée schon ein besonders kluger Schachzug im Drehbuch gewesen.
Mit der Grundhandlung des Films kann sich jeder identifizieren, der immer wieder in sein altes Daheim zurückkehrt. Etwa zu Weihnachten, wo viele Städter in ihre Familienhäuser strömen.
Und wir belasten diese Momente mit so viel – weil Sie gerade Weihnachten ansprechen. Man wünscht sich für die Familie totale Harmonie und den großen Frieden, aber in der Praxis schlägt das fast immer fehl. (lacht) Ich hatte das große Glück, dass ich den Film beim Münchner Filmfest auf der großen Leinwand sehen konnte. Ich bedaure es fast, dass er jetzt „nur“ im Fernsehen läuft, weil er wirklich Kinoqualitäten hat.
Haben Sie während der Dreharbeiten etwas für sich dazugelernt oder herausgenommen, was Ihnen noch nicht so geläufig war?
Das ist eine schöne Frage, denn in der Vorbereitung auf die Rolle habe ich Dinge aus meiner Vergangenheit hervorgeholt bzw. hervorholen müssen, um Kontakt mit Josefa aufzunehmen. Diese Identitätsfrage, ob ich Manderl oder Weiberl bin, ist mir in meinem Leben aus verschiedenen Vorzeichen öfter widerfahren. Ich glaube, dass vor allem in der Pubertät jeder Mensch in diese übergreifende Phase kommt, wo man nicht genau weiß, wer und was man ist. Man ist manchmal verschämt und lebt vieles nicht aus. Man dachte darüber nach, vielleicht etwas anderes auszuprobieren. Mir ist vor allem wichtig, dass die Menschen vom Film erwischt werden. Dass sie nicht mittels Voyeurismus, aber mit liebevoller Neugierde auf diese Geschichte schauen. Ich glaube, dieser Film lädt auch dazu ein.
War es besonders wichtig in der Inszenierung von „Ungeschminkt“ das Land und seine Bewohner als nicht zu intolerant zu zeigen und dabei in die Klischeefalle zu tappen?
Genau, das wäre viel zu eindimensional gewesen. Ich denke, dass wir das in dieser Form auch nicht gemacht haben. Auch wenn manche Klischees leider zutreffend sind, wie ich im Laufe der Jahre feststellen musste. (lacht)
Was war für Sie die herausforderndste und schwierigste Szene im Film?
Eigentlich jede, aber der Streit mit Petra war sehr diffizil. Eva Mattes und ich haben gemerkt, dass wir uns mit einer ähnlichen Energie auf diese Szene vorbereiten. Wir haben sie nicht viel geprobt, weil wir wussten, dass wir einfach loslegen mussten – es war jedenfalls sehr spannend. In der Vorbereitung habe ich mir lange überlegt, wie ich Josefa spielen soll. Was betone ich mehr? Die männliche oder die weibliche Seite in mir, mit männlichen Attributen? Ich habe mich dazu entschlossen, nichts dergleichen zu tun. Ich möchte die Zuschauer selber entdecken lassen und sie nicht vordergründig mit Äußerlichkeiten zupflastern. Beim ersten Mal schauen hatte ich etwas Angst, ob das aufgeht, aber beim zweiten Mal war es okay. (lacht)
Alle Protagonisten im Film tragen ihr eigenes Packerl und sind nicht frei von Fehlern. Auch nicht Josefa, die bei ihren Entscheidungen zuweilen egoistisch gehandelt hat.
Wie das eben so ist im Leben. Sie ist auch nicht ganz frei von Schuld, wenn wir das im katholischen Sinn ansiedeln wollen.
Als Josefa erfährt, dass ihr die verstorbene Mutter das Haus vererbt und sie aufs Land muss, wird sie sofort mit ihrer eigenen Nostalgie konfrontiert. Schon in der Stadt radelt sie etwa neben ihrem jungen Alter Ego, Josef her, den sie sich imaginiert. Brachen da sofort die Dämme zur Vergangenheit?
Weil sie weiß, dass sie da wieder hin muss und erfährt, wie sich das Leben damals angefühlt hat. Josef wird wunderbar gespielt von meinem jungen Kollegen Riccardo Campione. Ich war Regisseur Dirk Kummer sehr dankbar, dass er so einen hübschen jungen Kollegen ausgesucht hat. (lacht) Die Dämonen ihrer Vergangenheit sind da. Es herrscht aber auch ein gutes Gefühl, weil etwa die Freundschaft mit Blume sehr stark war. Die erste Begegnung von Josefa mit Blume war sehr besonders und eine entscheidende Szene. Jeder Moment hat etwas Perlendes und Wunderschönes.
Josefa geht der Vergangenheit am Land anfangs mit Ängsten und Unsicherheiten entgegen, fühlt sich im Laufe der Zeit aber zusehends wohler. War es schwierig, diese innere Zerrissenheit zu verkörpern?
Wohler ist zweischneidig. Sie weiß nicht wirklich, was sie erwartet und sie hat sicher nicht mit so großer Abwehr von Petra gerechnet. Peu à peu kommt ein Ding zum anderen und Josefa merkt, dass Petra irgendwas verheimlicht oder zurückhält. Irgendwas ist faul – und wir werden am Ende sehen, was genau. (lacht)
Neben dem Thema Vergebung geht es bei „Ungeschminkt“ vor allem um die Kommunikation.
Sprechen, zusammensitzen. Sich in die Augen schauen, und die Dinge auf den Tisch legen. Es kostet Überwindung, sich in die Augen zu schauen und sich physisch gegenüberzusitzen, aber es ist dann umso erleichternder für beide Seiten, wenn Vergebung stattfindet. Das geht nicht virtuell und auch nicht per Brief – das muss man hautnah erleben.
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