In WG radikalisiert

„Terror-Teenie“: Behörden ignorierten Warnsignale

Wien
13.11.2024 06:00

Der 18-jährige „Terror-Teenie“ war weniger als sechs Monate in Freiheit, als er zum zweiten Mal wegen IS-Propaganda festgenommen wurde – er hatte sich offenbar über Freunde erneut radikalisiert. Zahlreiche zuständige Stellen waren über seine extremistischen Aktivitäten in Kenntnis, doch trotz mehrfacher Hinweise auf seine Radikalisierung schritten die Behörden nicht ein.

Die Folgen wären unvorstellbar gewesen, hätte der damals 17-jährige Ali K. seinen Terroranschlag am Wiener Hauptbahnhof am 11. September 2023 tatsächlich verübt. Er stand bereits mit gezücktem Messer am Tatort, als ihn dann doch der Mut verließ. Er suchte Zuflucht in einer Moschee, wo ihn schließlich die Spezialeinheit WEGA festnehmen konnte.

„Der IS (Islamischer Staat, Anm.) ist völlig falsch“, erklärte der 17-jährige Terrorverdächtige dann im April 2023 bei seinem Prozess wegen terroristischer Vereinigung. Seine Reue war wohl ein reines Lippenbekenntnis, wie heute feststeht. Denn genau wegen seiner Verurteilung – die Verbreitung von IS-Propagandamaterial – wurde der Bursche am Freitag erneut festgenommen und befindet sich seitdem in U-Haft.

In „Freizeit“ mit IS-Freunden verbündet
Nach seiner teilbedingten Freiheitsstrafe in der Justizanstalt Josefstadt wurde der heute 18-jährige Ali K. per Weisung des Gerichts in die Wohngemeinschaft des Vereins WOBES – spezialisiert auf Deradikalisierung und Resozialisierung – übersiedelt. Obligatorisch war dabei die Unterstützung durch Bewährungshilfe des Vereins Neustart und die Betreuung durch den Verein DERAD.

Dort könnte sich Ali K. erneut radikalisiert haben – oder er hatte dem IS nie abgeschworen und nutzte die „Freizeit“, um die IS-Ideologie über soziale Medien zu verbreiten und sich mit weiteren IS-Sympathisanten zu verbünden. Denn wie sich am Freitag herausstellte, hatte er in der Wohngemeinschaft offenbar Zugang zu einem Laptop und „leider auch zu einem Handy“, wie sein Rechtsvertreter die Tat des Verdächtigen kommentiert. 

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Seine Radikalität und Treffen mit weiteren extremistischen Personen haben wir dokumentiert und gemeldet. Den Zugang bekommt er, weil er quasi Freizeit hat und unkontrolliert Personen treffen kann. Er hatte ein Klapphandy ohne Internet, aber das haben ja die Personen, die er trifft.

DERAD, Organisation für Extremiusmusprävention

„Im Grunde sollte er nicht auf freiem Fuß sein. Doch das obliegt dem zuständigen Gericht“, erklärt die Organisation DERAD auf Anfrage von krone.at, die im Auftrag des Bundesjustizministeriums für die Betreuung von Inhaftierten im Bereich der Extremismus-Prävention zuständig ist und wo auch Ali K. Termine wahrnehmen musste. Ein Umzug in eine andere WG in einem anderen Bundesland sei abgelehnt worden, erklärt DERAD.

Vor dem abgeblasenen Anschlag am Hauptbahnhof schickte Ali K. diese Nachrichten. (Bild: zVg, Krone KREATIV)
Vor dem abgeblasenen Anschlag am Hauptbahnhof schickte Ali K. diese Nachrichten.
(Bild: zVg, Krone KREATIV)
(Bild: zVg, Krone KREATIV)

Und weiter: „Seine Radikalität und Treffen mit weiteren extremistischen Personen haben wir dokumentiert und gemeldet. Den Zugang (zu Laptop und Handy, Anm.) bekommt er, weil er quasi Freizeit hat und unkontrolliert Personen treffen kann. Er hatte ein Klapphandy ohne Internet, aber das haben ja die Personen, die er trifft“, so die NGO.

Der Verdacht besteht also, dass Ali K. offenbar Freunde hatte, die womöglich ebenfalls extremistische Verbindungen zum IS aufweisen. Diese sind aber im Gegensatz zu Ali K. auf freiem Fuß. Ob diese im Fokus der Ermittler stehen, ist derzeit unklar.

Nach Fund von IS-Symbolen folgte Anzeige
Bereits vor seiner Entlassung in die Deradikalisierungs-WG gab es Anzeichen für eine mögliche Wiederholungstat, wie das Justizministerium gegenüber krone.at bestätigt. Warum das für Ali K. keine Konsequenzen hatte, bleibt fraglich – insbesondere, da in der Justizanstalt Josefstadt während seiner Haft IS-Symbole gefunden wurden. 

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Es erfolgte – standardmäßig – eine Anzeige an die Staatsanwaltschaft sowie eine Meldung an die Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN).

Das Bundesministerium für Justiz über den Fund von IS-Symbolen

Bei sogenannten Joint Action Days werden radikalisierte Straftäter gründlich durchsucht. Im Zuge dieser Schwerpunktaktion wurde auch der konkrete Straftäter Ali K. in der Justizanstalt Josefstadt umfassend überprüft – dabei wurden im Haftraum des Insassen diverse Symbole und Zeichen aufgefunden. „Es erfolgte – standardmäßig – eine Anzeige an die Staatsanwaltschaft sowie eine Meldung an die Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN)“, heißt es aus dem Justizministerium.

Die Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) verweist auf die Staatsanwaltschaft, da die Zuständigkeit in diesem Fall bei der Justiz liege. Sobald ein neuer Verdacht auftauche, werde dieser überprüft, jedoch entscheide das Gericht über eine mögliche erneute Untersuchungshaft. Ob im Fall von Ali K. nach einer Anzeige durch die Organisation DERAD und das Justizministerium weitere Ermittlungen eingeleitet wurden, konnte die DSN aufgrund datenschutzrechtlicher Bestimmungen nicht bestätigen.

Trotz zahlreicher Anzeichen schauten Behörden weg
Wie DERAD bestätigt, hatte es eine gerichtliche Fallkonferenz vor der Entlassung Ali K.‘s in die WG für Resozialisierung gegeben, zu jener sie „aber keine inhaltliche Auskunft geben können“. An diesen Fallkonferenzen nehmen nach Einberufung durch das jeweils zuständige Vollzugsgericht obligatorisch Vertretungen der DSN bzw. der Landesämter für Staatsschutz und Extremismusbekämpfung und der Koordinationsstelle Extremismusprävention und Deradikalisierung teil.

„Die Voraussetzung für die Prüfung einer bedingten Entlassung terroristischer Straftäter ist eine klare Einschätzung ihres Gefährdungspotenzials“, erklärt das Justizministerium. Trotz zahlreicher Hinweise und Meldungen bewertete das Gericht das Risiko von Ali K. als nicht hoch genug und entließ ihn in die Deradikalisierungs-WG – eine Entscheidung, die ihm offenbar freien Raum für eine erneute Radikalisierung zum IS verschaffte.

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