„Krone“-Interview

Sofie Royer: Die Rückkehr des subversiven Pop

Musik
13.11.2024 09:00

Multidisziplinäre Kunst beherzigt die in Kalifornien geborene Wienerin Sofie Royer. Musikalisch sorgt sie derzeit am meisten für Aufsehen. Mit ihrem dritten Album „Young Girl Forever“ ist sie bereit, auch den einheimischen Pop-Markt zu erobern. Mit der „Krone“ spricht sie über ihre Liebe zu subversiver Kunst, vergleicht die Musikszene zwischen Österreich und L.A. und bricht eine Lanze für Meinungsdiversität.

(Bild: kmm)

Das mit dem Propheten im eigenen Land ist vor allem in der einheimischen Musikszene so eine Sache. Das berühmteste Beispiel für internationale Prominenz, die es erst mit Verzögerung zur Popularität in die Heimat schaffte, ist Parov Stelar. Wenn man genauer hinschaut, haben aber auch Bilderbuch oder Wanda erst dann den nötigen Respekt bekommen, als sich die deutschen Kritiker und Fans euphorisch deklarierten und dem gemeinen Österreicher damit quasi die Bestätigung seines eh guten, aber verunsicherten Geschmacks attestierten. In eine ähnliche Kerbe schlägt Sofie Royer. Die im kalifornischen Palo Alto geborene Wienerin veröffentlicht dieser Tage über das US-Label Stone Throw Records ihr drittes Studioalbum „Young Girl Forever“. Während sie international seit Jahren reüssiert, ist sie hierzulande nur Pop- und Elektronik-Liebhabern abseits des Mainstreams ein Begriff – was dringend geändert werden sollte.

Mehr Radiounterstützung gefordert
„Ich würde es feiern, wenn man meine Musik auf Ö3 spielen würde und verstehe auch nicht ganz, warum sie das nicht wird“, sinniert Royer im Interview mit der „Krone“, „gerade jetzt, wo wir als österreichische Staatsbürger aufgerufen sind, verpflichtend für die staatlichen Sender zu zahlen, könnten sie die einheimische Szene besser unterstützen. In Frankreich etwa müssen 60 Prozent einheimische Musik gespielt werden. Warum gibt es kein prozentuales Kontingent, das hier gespielt werden muss?“ Mit „Young Girl Forever“ sind die Chancen groß, dass sie endlich auch hierzulande stärker bemerkt wird. International ist sie schon länger ein gewichtiger Name - was aber auch daran liegt, dass die 32-Jährige in unterschiedlichsten Bereichen aktiv ist und in jungen Jahren schon auf eine Vita bauen kann, für die bei anderen noch nicht einmal zwei Leben reichen würden.

Erst mit zwölf zog sie von Kalifornien nach Österreich, später wieder zurück nach Los Angeles und ist mittlerweile seit gut fünf Jahren in Wien sesshaft. Sie erlernte klassische Geige, war später auf dem Konservatorium und spielte in der Live-Band von Wanda. Nebenbei arbeitete sie als Codiererin bei Microsoft und schloss – parallel zur Entstehung des aktuellen Albums – ihr Lehramtsstudium in Philosophie und Psychologie ab. In Amerika arbeitete sie bei ihrem derzeitigen Label und baute in Los Angeles die „Boiler Room“-Reihe auf. Selbstverständlich ist sie auch DJ und war für kurze Zeit in London und New York beheimatet. Wie geht sich all das in einem knappen Drittel Leben aus, von dem man rund die Hälfte davon auch noch Kind war? Royer schaut lieber nach vorne als zurück und konzentriert sich auf all die Projekte, die aktuell anstehen oder bereits greifbar sind.

Roter Faden durch Literatur
Wer mit ihrer Musik vertraut ist, weiß, dass sie sie nicht wiederholt. So ist auch „Young Girl Forever“ ein klanglich ganz neues Kapitel, das zu einem großen Teil auf der Europatour mit dem französischen Künstler Lewis Ofman entstand. Als sie im Tourbus keine Lust mehr auf Musik hatte, fiel ihr das 1999 erschienene Buch „Preliminary Materials For The Theory Of A Young-Girl“ der französischen Anarchistengruppe Tiqqun in die Hände. Dort wird das „Young-Girl“ als Symbol für den Konsumismus in der Moderne dargestellt. Nachdem Royer zu diesem Zeitpunkt schon Texte über Performativität („Babydoll“) und die Vergänglichkeit der Zeit („I Forget (I’m So Young))“ schrieb, kam das Werk zur gedanklichen Komplettierung gerade recht. „Damit habe ich dann einen roten Faden gefunden. Es hat sich perfekt ergeben.“ Sofie Royer liebt Kunst und Kultur in all ihren Facetten. Dementsprechend findet man auch viele Hinweise darauf auf ihrem Album. Etwa zum Kultfilm „Uhrwerk Orange“ oder Regie-Legende Rainer Werner Fassbinder, nach dem sie sogar einen Song benannt hat.

„Ich habe mich schon immer für subversives Material interessiert und fand es stets spannend, dass es eine Kultur außerhalb des Mainstreams gibt. Heute ist die Popmusik so komisch desinfiziert und das Subversive ging ihr verloren. ,Young Girl Forever‘ ist mein Versuch, diese Elemente wieder in den Pop einzubauen.“ Royers Sound klingt zeitgemäß und modern, ohne aber zu zeitgeistig zu sein. „Ich will nicht nur ein Stempel der jeweiligen Zeit sein, sondern habe für mich den Anspruch, möglichst zeitlose Musik zu erschaffen. Meine Songs sind nicht ultramodern, haben aber auch keinen Vintage-Anstrich und sind nicht allzu nostalgisch.“ Auf „Young Girl Forever“ singt die Wienerin hauptsächlich auf Englisch, aber auch auf Deutsch und Französisch. „Englisch ist meine Muttersprache und mit ihr bin ich zu 50 Prozent humorvoller als auf Deutsch“, lacht sie, „ich bin dort viel wortgewandter. Dennoch würde ich gerne mal ein Album rein auf Deutsch schreiben - was aber wohl meinem amerikanischen Label nicht so gefallen würde.“

Kindlich und entspannt
An Österreich als Kreativhort schätzt Royer vor allem die Freiheit. „Als ich hier ankam, habe ich niemanden gekannt und konnte mich völlig frei entfalten. Das wäre in Kalifornien so nicht möglich und war definitiv ein Vorteil.“ Den Albumtitel kann man ironisch oder mehrdeutig verstehen. Er beruft sich nicht nur auf das Bild von außen, als Frau immer jung sein zu müssen, lässt das brisante Thema aber auch nicht fallen. „Es ist interessant, ich hatte mit Anfang 20 einen ziemlich festgenagelten Blick auf die Welt. Damals war ich gefestigter als heute mit Anfang 30, wo ich mich fast kindlicher fühle. Auf jeden Fall ist eine gewisse Entspanntheit in mein Leben gezogen.“ Neben sehr viel Humor gibt es auf dem Album auch Platz für melancholische, dunklere Momente. Gegenwärtige Themen werden mit eigenen Erfahrungen und Inspirationen aus Literatur, Film, Musik und Malerei verknüpft.

„Das Buch beschreibt sehr gut, dass unsere Kultur und Gesellschaft darauf ausgerichtet ist, dass man immer ein junges Mädchen sein und sich auch so vermarkten lassen muss. Man sieht das ja auch in Filmen wie ,The Substance‘ mit Demi Moore zuletzt – überall herrscht der absolute Jugendwahn. Schau dir heute eine Serie wie ,Seinfeld‘ an. Die Leute dort stellten Anfang bis Mitte 30-Jährige dar und schauen viel älter aus. Das ganze Konzept des Alterns hat sich völlig verändert. Ich wollte mich damit auseinandersetzen und das in einem Album verewigen.“ Royer liest aber nicht nur Foucault und geht in Kunstausstellungen, sie kann auch dem Trash-TV einiges abgewinnen. „Ich diskriminiere nicht und bin ein Fan von Kultur im Generellen. Manchmal würde ich gerne beim ,Forsthaus Rampensau‘ oder auf ,Love Island‘ mitmachen. Soziologisch gesehen ist das interessant und spannend. Andererseits liebe ich es auch, in die Oper zu gehen oder schätze Typen wie Jonathan Meese. Er drückt sich auf so viele unterschiedliche Arten aus und bewegt sich bewusst weg von einer ideologiebehafteten Kunst.“

Kunst außerhalb des Rahmens
Die Borniertheit in den alltäglichen Diskussionen ist Royer ein Dorn im Auge. „Man muss sich nicht zerstreiten mit jemandem, nur weil er eine andere politische Meinung vertritt als man selbst. Bezahlen Politiker dich dafür, dass du wie ein kleiner Ritter herumrennst und politisch korrekt bist? Nein. Kunst ist momentan mit so einer schweren Botschaft behaftet. Immer muss eine Message dahinter sein, aber lasst die Menschen doch ihre eigenen Eindrücke haben. Für mich ist die Frage spannend, was die Kunst, der Film, der Song oder das Buch in einem Menschen auslöst, wenn er sich allein damit befasst. In der Kunst solltest du dich immer frei bewegen können und derzeit ist das nicht immer möglich. Die Freiheit, die wir uns in der Gesellschaft lange mühevoll erarbeitet haben, wird derzeit wieder zurückgefahren. Deshalb mag ich Leute wie Meese. Dort bewegt sich die Kunst außerhalb des gängigen Rahmens.“

Mit „Young Girl Forever“ wird Sofie Royer 2025 auch auf Tour gehen, mit Österreich-Terminen ist zu rechnen. Gerüchte besagen, sie könnte ein Teil des Line-Ups beim alljährlichen FM4-Geburtstagsfest Ende Jänner in der Wiener Ottakringer Brauerei sein. Weitere Details und Informationen werden noch bekanntgegeben.

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