Von Terror gewusst?
FBI hat nun Frau des toten Boston-Bombers im Visier
Katherine Russell sei ein typisches amerikanisches Mädchen, ein "All American Girl", gewesen, berichtete der Nachrichtensender ABC News am Montag. Die 24-Jährige wuchs als älteste von drei Töchtern in einer intakten Arztfamilie in Rhode Island, dem kleinsten Bundesstaat der USA, auf. In der High School habe sich Katherine für Tanz und Kunst interessiert. Und sie träumte davon, später einmal zum Peace Corps zu gehen - einer auf Initiative von US-Präsident John F. Kennedy in den 1960er-Jahren gegründeten unabhängigen US-Behörde, die das gegenseitige Verständnis zwischen Amerikanern und Nicht-Amerikanern beleben will. Fotos aus der Schulzeit zeigen eine hübsche und glücklich wirkende junge Frau.
"Mit Tamerlan hat sich alles verändert"
Doch plötzlich änderte sich alles. Als Katherine an der Suffolk-Universität in Boston studierte, lernte sie Tamerlan Tsarnaev, den älteren der beiden Brüder, die für den Bombenanschlag auf den Boston-Marathon verantwortlich gemacht werden, kennen. Die junge Studentin verliebte sich in den tschetschenischen Einwanderer, die beiden heirateten. Ab diesem Moment soll Tamerlan das Leben der US-Amerikanerin unter seine Kontrolle gebracht haben.
Eine namentlich nicht genannte Freundin Katherines sagte gegenüber der britischen Tageszeitung "Daily Mail", Tamerlan, der sich nach derzeitigem Stand der Ermittlungen in den letzten Jahren zunehmend religiös radikalisierte, "hat das All American Girl einer Gehirnwäsche unterzogen". "Keine verstand, was mit ihr passierte." Eine andere frühere Freundin, die ebenfalls nicht namentlich genannt werden will, erklärte gegenüber der Zeitung: "Ich habe sie vor ein paar Monaten gesehen. Sie hat sich total verändert. Ihre Eltern sind nette Leute, ihre Schwestern großartige Mädchen, aber sie hat diesen Typen kennengelernt – und alles hat sich verändert."
Studium abgebrochen und zum Islam konvertiert
Fest steht: Für ihren Ehemann konvertierte Katherine zum Islam. Mit 21 wurde sie schwanger und schenkte Tamerlan eine Tochter - Zahara ist heute drei Jahre alt. Ihr Studium hat Katherine laut ABC News auf Verlangen ihres Gatten abgebrochen. In den Polizeiakten ist das Ehepaar mit einem Eintrag aus dem Jahr 2009 vermerkt. Damals wurde Tamerlan wegen des Vorwurfs der häuslichen Gewalt festgenommen. Katherine sagte allerdings nicht gegen ihren Mann aus, den sie vielmehr als "sehr nett" bezeichnete, zitierten Medien nun aus dem Akt.
Aktuelle Bilder dokumentieren die Verwandlung der jungen Amerikanerin. Medien veröffentlichten Aufnahmen, auf denen Katherine mit einer Hidschab mit Leoparden-Muster zu sehen ist, ihr Haar unter einem Schleier versteckt.
Ermittler an Befragung brennend interessiert
Nun wollen die Ermittler in Erfahrung bringen, ob - und wenn ja, wie viel - Katherine von den Plänen ihres Gatten wusste. Sie selbst streitet laut ABC News derzeit jegliche Kenntnis von den Anschlägen ab. Dass ihr Mann verdächtig sei, habe sie erst durch einen TV-Bericht erfahren, soll sie angegeben haben. Ihr Anwalt Amato DeLuca bestätigte am späten Sonntagabend gegenüber Medien, dass es "Gespräche" mit den Strafverfolgungsbehörden gegeben habe, nannte aber keine Details. "Wir tun unser Bestes, um mit dieser sehr schwierigen Situation umzugehen", so der Anwalt. "Die Familie macht derzeit viel durch." Wann Katherine von den Behörden befragt wird, bleibt somit vorerst offen.
Eltern: "Tamerlan Tsarnaev nie richtig gekannt"
Indessen gehen Aufnahmen vom Haus der Eltern Katherines im idyllischen Rhode Island (Bild 2) um die Welt. Dorthin war die 24-Jährige mit der kleinen Tochter geflüchtet, nachdem Tamerlan bei der Verfolgungsjagd durch den Bostoner Vorort Watertown tödlich verletzt wurde. Katherines Eltern - Vater Warren ist Arzt, Mutter Judith Krankenschwester - veröffentlichten ein Statement. "Unsere Tochter hat ihren Mann verloren, den Vater ihres Kindes", heißt es darin. Sie, die Eltern, hätten keine Ahnung, wie sich diese "schreckliche Tragödie" habe ereignen können. "Wir wissen heute nur, dass wir Tamerlan Tsarnaev nie richtig gekannt haben."
Freund sieht Tamerlan als "Kopf dieser Geschichte"
Zugleich deutet auch immer mehr darauf hin, dass Dzhokhar von seinem großen Bruder zu der Tat verleitet wurde, er aus einem typisch amerikanischen "Kid" einen extremistischen Terrorverdächtigen machte. "So, wie wir die beiden kannten, sieht es aus, als sei der ältere Bruder der Kopf dieser Geschichte", sagte Luis Vasquez, ein Freund der Tsarnaev-Brüder, dem TV-Sender CNN. "Er hat immer geführt, und der Bruder folgte ihm." Und Tamerlans Boxtrainer John Curran sagte dem Sender NBC: "Der jüngere Bruder folgte dem älteren wie ein Hündchen."
Dzhokhar liebte sein Skateboard, Rapmusik und Sandwich-Dressing. Er ging auf Partys, hatte Freunde und fühlte sich wohl in seiner neuen Heimat - weit weg von den Konflikten der Kaukasusregion, in der er geboren war. "Er war immer ein nettes Kind", erklärte Cam Blauchner, der mit Tsarnaev in die achte Klasse ging, gegenüber US-Medien. "Er war schüchtern, aber nicht merkwürdig. Er war ein süßer Kerl." Niemals habe er seine Religion erwähnt. "Ich wusste nicht einmal, dass er ein Muslim ist."
Ermittler erhoffen sich Antworten auf "Millionen von Fragen"
Die Ermittler erhoffen sich von dem 19-Jährigen nun Antworten auf "Millionen von Fragen". Der schwer verletzte Teenager, der unter strenger Bewachung im Krankenhaus liegt, kann sie derzeit allerdings lediglich auf Papier kritzeln, sofern er sie überhaupt geben kann. CNN berichtete am Montagvormittag (Ortszeit) zudem, der junge Mann beantworte Fragen der Beamten mittels Kopfnicken.
Laut ersten durchgesickerten Informationen von den Verhören im Spital soll Dzhokhar den Ermittlern zu verstehen gegeben haben, dass sein älterer Bruder die treibende Kraft hinter Planung und Ausführung des Anschlags gewesen sei und dass der 26-Jährige mit der Tat den Islam habe verteidigen wollen. Den Angaben zufolge handelten die Brüdern allein. Eine internationale Terrororganisation stecke nicht hinter der Tat, soll Dzhokhar Tsarnaev erklärt haben, berichtete CNN.
Keine Einstufung als "feindlicher Kämpfer"
Für Aufregung hatte die Erwägung von US-Justizminister Eric Holder gesorgt, dem jungen Mann den Status eines Kriegsgegners zu geben. Das Weiße Haus beschwichtigte allerdings, Pressesprecher Jay Carney erklärte, dass der 19-Jährige nicht als "feindlicher Kämpfer" eingestuft werde. Er werde sich vor einem zivilen Gericht verantworten müssen. "Dies ist zweifelsfrei der richtige und geeignete Weg", so Carney. "Wir werden diesen Terroristen durch unser ziviles Justizsystem bestrafen." Vor Gericht droht Dzhokhar, der am Montag u.a. wegen "Verschwörung zum Einsatz einer Massenvernichtungswaffe" angeklagt wurde, die Todesstrafe. Der Prozess könnte laut einem CNN-Bericht bereits am 30. Mai beginnen.
Während der Anklageverlesung am Montag (siehe Video in der Infobox) sei Tsarnaev "wach, mental aufnahmefähig und bei klarem Verstand" gewesen, gab Richterin Marianne B. Bowler zu Protokoll. Auf die Frage, ob der infolge seiner Verletzungen sprechunfähige Angeklagte in der Lage sei, einige Fragen zu beantworten, habe er deutlich genickt. Ein einziges Wort habe Tsarnaev gesagt, und dies sei ein "Nein" auf die Frage gewesen, ob er sich einen Anwalt leisten könne.
Menschenrechtler und Politiker hatten vor der Anklageerhebung gegen die Möglichkeit protestiert, den Überlebenden der beiden Tsarnaev-Brüder als "feindlichen Kämpfer" einzustufen. Damit würde ihm die Chance auf geltendes US-Recht geraubt, in erster Linie auf einen Anwalt. "Es gibt für einen solchen Status keine Grundlage", kritisierte etwa der demokratische Senator Carl Levin gegenüber der "New York Times". Es gebe derzeit keine Hinweise, dass Tsarnaev "Teil einer organisierten Gruppe ist, die Al-Kaig zu, welche die Regierung von Präsident Barack Obama vor zwei Jahren ohne nennenswerte Proteste durchsetzte.
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