Bei der Wiener Weltausstellung von 1873 gab die internationale Jury alles: Zuerst verkostete sie 30.000 Flaschen Wein, dann hielt sie eine ausgestellte Turmuhr für einen riesigen mechanischen Bratenwender.
Von Mai bis November 1873 fand die Wiener Weltausstellung statt. Für fünf Monate war die Reichs-, Haupt- und Residenzstadt Wien der Nabel der Welt. 35 Nationen stellten ihre führenden Produkte sowie ihre technischen und künstlerischen Errungenschaften aus, die Besten wurden prämiert.
Die Auswahl oblag einer internationalen Jury, die aus 956 Personen bestand. Mitglied der internationalen Jury der Wiener Weltausstellung zu sein, war mit großem Prestige verbunden: Man gehörte einem Komitee an, man durfte sich seiner eigenen Wichtigkeit bewusst sein, und man urteilte über die Leistungen der vielen Aussteller. Außerdem hatten die Jurymitglieder die Möglichkeit zu einzigartigen Verkostungen – und das nutzten auch viele.
Die Wortspenden der Jury hatten großen Unterhaltungswert
Die aufmerksame Öffentlichkeit – der Großteil der Berichterstattung des Jahres 1873 drehte sich um die Wiener Weltausstellung – beobachtete diese internationale Jury genau. Journalisten berichteten regelmäßig über ihre Arbeit, und wenn sich die Juroren wieder einmal allzu selbstherrlich gaben, schauten sie ihnen noch genauer auf die Finger und lieferten ihren Lesern beißende Berichte, die heute noch großen Unterhaltungswert haben.
So berichteten etwa Journalisten von der „colossalen Aufgabe“, welche die Jury in ihrer dritten Sitzung zu bewältigen hatte: „30.000 Flaschen“ Wein waren zu verkosten, dazu noch „die doppelte Menge an Likören und gebrannten Wassern“. Diese Megaaufgabe forderte ihren Tribut und minderte das Urteilsvermögen vieler Jurymitglieder – interessanterweise fühlten sich viele nach dieser „colossalen“ Verkostung noch fit genug, über die Qualität der ausgestellten technischen und mechanischen Exponate zu referieren. Allerdings traten einige dabei gehörig in Fettnäpfchen.
Die Bierverkostung wurde abgesagt – das Bier war sauer geworden
Ein Jurymitglied erläuterte ausführlich ein besonderes Exponat: einen riesigen mechanischen Bratenwender. Leider handelte es sich aber nicht um einen Bratenwender, sondern um eine ausgestellte große Turmuhr. Ein anderes Jurymitglied lobte die gezeigten „Seegespinste“ – tatsächlich handelte es sich aber um Polypen, Nesseltiere. Ein gerade anwesender Wiener Landesschulinspektor, den die Journalisten ausgemacht hatten, enthielt sich eines fachlichen Kommentars und verdrehte nur die Augen.
Zumindest eine weitere kolossale Aufgabe blieb der internationalen Jury erspart: die Verkostung der österreichischen und deutschen Biere. Weil sie „in einem miserablen Keller“ und zu warm gelagert worden waren, wurden sie „sauer und trübe“ und waren nicht mehr für eine Verkostung geeignet.
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