Weil er Psychopharmaka genommen hatte, wollte ein heute 22-Jähriger nicht zu seinem Lehrberuf gehen. Im Streit gab der Vater Schüsse ab, woraufhin ihn der Sohn mit einem Messer tödlich verletzte. Im Prozess soll nun geklärt werden, ob es Mord, Körperverletzung oder tatsächlich Notwehr war.
Es ist eine unglaublich tragische Familiengeschichte, die am Donnerstag am Landesgericht Ried aufgerollt wird. Der Vater, wegen seiner Alkoholsucht frühpensionierter Fernfahrer, der Sohn, der schon als Jugendlicher in die Drogensucht abrutschte und die hochgebildete Mutter, unterstützend, aber nie stark genug, um dem Vater Paroli zu bieten.
Eskalation im beidseitigen Rausch
Der jahrzehntelange Konflikt eskalierte am 19. Jänner. Der Vater habe den zugedröhnten Sohn, obwohl er, wie die Obduktion später feststellte, schwer alkoholisiert war, aus Linz abgeholt, und schon im Auto habe der Streit begonnen. „Er war komplett betrunken, hat die ganze Fahrt auf mich eingeschimpft, ich habe gar nichts gesagt“, so der Angeklagte. Gegen zwei Uhr nachts hätte der Sohn zu seiner Lehrstelle als Bäcker fahren sollen, doch er weigerte sich. Daraufhin eskalierte der Streit weiter.
Mit Großonkel gedroht
Der Vater habe gesagt, er würde Ossi, einen hühnenhaften mehrmals vorbestraften Großonkel holen, um dem Sohn endlich einmal „die Wadln viri zu richten“, daraufhin sei weitergestritten worden, auch die Mutter sei dazugekommen. „Ich habe ihn weggeschubst, und ihm dann in der Küche zwei Ohrfeigen gegeben, weil er so viel herumgeschrien und mich angespuckt hat“, so der 22-Jährige vor Gericht.
Plötzlich war da der Schuss
Doch das bewirkte, wie anscheinend üblich, eher das Gegenteil. „Ich bin dann aus der Küche ins Wohnzimmer, habe mich dort auf meinen Platz gesetzt und über den Fernseher Musik reingetan, und plötzlich war der Schuss, das war extrem laut. Ich habe gewusst, der war auf mich gerichtet, weil er hat immer wieder gesagt, er bringt mich, meine Mama und sich selbst um“, so die schaurige Schilderung. „Ich habe mir dann das Messer vom Tisch genommen und bin an die Wand neben die Tür, da war schon der nächste Schuss – und die Kugel ist genau dort eingeschlagen, wo vorher noch mein Kopf war. Ich habe unglaubliche Angst um mein Leben gehabt!“
Sohn nutzte Ladehemmung aus
Dann wollte der Vater nachladen und sei dem Sohn gegenübergestanden. Wegen der Ladehemmung habe der Sohn einen Moment gehabt: „Ich wollte nur, dass er die Waffe loslässt. Ich wollte sie ihm wegreißen, aber er hat nicht losgelassen. Dann habe ich zugestochen, bis er sie fallengelassen hat. Man kann in so einer Situation nicht denken, ich habe außer Angst um mein Leben überhaupt nichts gefühlt! Ich wollte einfach leben, und dass er das Gewehr weglegt.“
Er habe nur entwaffnen wollen
Sieben der neun Stiche seien in die Schulter der Waffenhand gegangen, betonte auch Strafverteidiger Andreas Mauhart, der den jungen Mann mit dem kindlich runden Gesicht und jugendlichem Körper „pro bono“, also unentgeltlich vertritt. Er ist überzeugt: „Der Angeklagte hat von Kindheit an nicht die Liebe erfahren, die er gebraucht hätte. Wäre er mein Sohn gewesen, säße er heute vielleicht nicht auf der Anklagebank, sondern anstatt meiner Kollegin als Verteidiger!“
Immer um Liebe von Vater gekämpft
„Mein Vater war grundsätzlich kein schlechter Mensch, er wusste einfach nicht, was passiert. Wenn er betrunken war, dann war er komplett unberechenbar, ist oft auf mich losgegangen und hat mich und meine Mutter immer beschimpft. Trotzdem habe ich mir auch das Geburtsdatum meines Vaters tätowieren lassen, weil ich ihn geliebt habe! Das wusste er auch, hat aber nie wirklich darauf reagiert“, berichtet der Sohn nüchtern. „Seit er frühpensioniert wurde, war er immer daheim – da war ich zwölf oder 13 Jahre alt. Ab da sind die Streitereien richtig eskaliert, er war auch fast immer betrunken. Ich habe ihn trotzdem sehr geliebt.“
Tathergang mit Textmarker nachgestellt
Der genaue Tathergang wurde vor Gericht nachgestellt: Ein Sachverständiger mimte den Vater, der Angeklagte zeigte mit einem Textmarker, wie er mit der linken Hand das Gewehr des Vaters festgehalten hatte, und mir der rechten Hand zugestochen hatte. „Das Messer ist ganz leicht durch sein T-Shirt eingedrungen. In der Situation ist mir vorgekommen, dass ich kaum Kraft anwenden musste, aber ich weiß es einfach nicht mehr genau“, so der 22-Jährige. Es sei eine chaotische Situation gewesen, ein Überlebenskampf, so der junge Angeklagte, deshalb konnte er auch die Stiche, die von hinten in den Rücken des Vaters gegangen seien, nicht genau erklären.
Warum nicht geflohen?
Warum er nicht einfach das Haus verlassen hätte, und sich in Sicherheit gebracht hätte? „Ich habe gesehen, wie er die Waffe weiter nachlädt. Wenn er die Kugel hineingebracht hätte, und ich zur Tür gelaufen wäre, dann wäre ich direkt in seiner Schusslinie gewesen. Man kann in so einer Situation nicht rational denken, es war einfach nicht möglich“, betonte der Angeklagte mehrmals.
Auch die beiden verwendeten Waffen zeigte der Richter im Gerichtssaal her: Zuerst das moderne Jagdgewehr großen Kalibers, dann das kleine Messer, mit welchem der Sohn zustach.
Zahlreiche Vorstrafen
Thema waren vor Gericht auch die fünf Vorstrafen des Sohnes: Für Drogengeld hatte er bereits als Jugendlicher Tankstellen mit einer Axt überfallen. Seine erste Strafe hatte er wegen gefährlicher Drohung gegen seinen besten Freund verbüßt – mit 14 Jahren.
Zeuge berichtete von traumatischer Nacht
„Es war mitten in der Nacht, da hab es an der Eingangstür geläutet und geklopft. ‘Helfts mir, helfts mir, der hat mich gestochen‘ hab ich gehört. Der ist da bei mir an der Mauer gelehnt, und ich hab‘ etwas leicht rotes an seiner Schulter gesehen. Da hab ich gleich die Rettung gerufen, ich hab nicht mal gewusst, dass das mein Nachbar ist, wir hatten davor eigentlich keinen Kontakt“, so der Nachbar der Familie. Kurz danach seien auch die Mutter und der Sohn zum Zaun gekommen. Sie habe mehrmals gefragt, wie es dem Vater gehe. Der Sohn hingegen sei komplett außer sich gewesen, habe mehrmals geschrien „Du hast auf mich geschossen“, und wild herumgerufen.
„Werde nie wieder in der Nacht aufmachen“
„Der Vater hat noch gesagt, er habe einen Warnschuss abgegeben. Da erst ist mir aufgefallen, wie ihm hinten das Blut hinunterläuft, das hat man sogar auf dem schwarzen T-Shirt gesehen“, so der ältere Herr weiter. „‘Jetzt kannst ihn haben, dein Burli‘, hat der schwer verletzte Vater noch gesagt, dann sind schon die Rettungssanitäter und die Polizei gekommen, das war alles rasend schnell. Ich sag‘ Ihnen eines, ich werde in meinem Leben nie wieder um drei oder vier in der Nacht die Tür aufmachen!“, so der Zeuge, der sich vom aggressiven Verhalten des Sohnes bedroht fühlte. Im Eingangsbereich des Hauses des Zeugen sei alles voller Blut gewesen.
Auch Stieftochter aus Schlaf gerissen
„So gegen halb drei bin ich aufgewacht, da hab ich meinen Stiefvater reden gehört. Zuerst dachte ich noch, es geht um meine Mutter, die gerade aus dem Spital gekommen ist. Da waren aber fremde Stimmen, da bin ich aufgestanden. Erst wusste ich gar nicht, wer da mit meinem Stiefvater redet, bis ich den Nachbar erkannt – und auch gleich das Blut gesehen habe, dass ihm hinten über die Hose hinunterläuft. Da hab ich gleich die Rettung gerufen und den Notarzt“, so die Stieftochter des Nachbarn, die ebenfalls im Nachbarhaus wohnte.
Aus Nachtruhe wurde Albtraum
„Weil der Angeklagte noch herübergeschrien hat, hat mein Stiefvater zu beruhigen versucht und gefragt, ob nicht schon genug passiert sei. Da hat der Angeklagte, der unter einem Baum in seinem Garten stand noch gemeint, ‘woah, willst du mich jetzt auch noch angehen?‘ Ich hab zwei kleine Kinder im Alter von sechs und acht Jahren, die haben in meinem Zimmer geschlafen haben. Das war schon alles sehr viel für uns, auch weil eben meine Mutter gerade aus dem Krankenhaus gekommen ist!“, so die Zeugin weiter. Das sei die erste Nacht gewesen, wo sie wieder geschlafen hätten, nachdem unklar war, ob ihre Mutter im Krankenhaus überleben würde. „Ich bin nur unendlich froh, dass meine Kinder nicht aufgewacht sind – im Gang hat es ausgeschaut wie auf einem Schlachtfeld!“
Mutter beantragte Ausschluss der Öffentlichkeit
Die körperlich schwer beeinträchtigte Mutter des Angeklagten beantragte einen Ausschluss der Öffentlichkeit für ihre Aussage, auch, weil sie unter einer starken Sozialphobie leide, und sie deswegen nicht frei aussagen könne. Nach einigem Hin und Her wurde dem Ausschluss schließlich stattgegeben. Ihre Einvernahme dauerte schließlich gut zwei Stunden. Letzter Punkt auf der Tagesordnung war eine digitale Tatortbegehung mittels eines von der Polizei erstellten dreidimensionalen Modells.
Im Falle einer Verurteilung droht dem 22-Jährigen lebenslange Haft. Ob ein Urteil am Donnerstag gefällt wird, ist noch unklar.
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