Wegen Mordversuchs musste sich am Donnerstag eine 15-Jährige in Graz vor Gericht verantworten. Sie hatte im Juni (noch im Alter von 14 Jahren) einer verfeindeten Bekannten ein Messer ins Gesäß gerammt. Beim Prozess kam die lange Vorgeschichte zur Sprache – samt drastischem Tagebuch aus der U-Haft. Das Mädchen fasst eine nicht rechtskräftige Haftstrafe aus.
Die Geschichte hat Vor- und Nachspiel. Wie berichtet, wurde Mila (Name geändert) am 1. Februar von einer Mädchenbande schwerst malträtiert. Der dramatische Anlass: Wenige Tage zuvor kam es nahe dem Grazer Volksgarten zu einem Polizei- und Rettungseinsatz, bei dem ein erst 14-Jähriger aufgrund einer Überdosis wiederbelebt werden musste.
Abrechnung in Abbruchhaus
Mila war dabei und habe gelacht, weswegen die Schwester des 14-Jährigen mit Komplizinnen beschlossen haben soll, dem laut Verteidiger Frank Carlo Gruber „bis dahin ganz normalen Mädchen“ einen brutalen Denkzettel zu verpassen.
Das spätere Opfer Sonja (Name geändert) habe sie mit einem ganzen „Clan“ in einen Hinterhalt gelockt und in einem Abbruchhaus mit Tritten und Schlägen drangsaliert, Haare und Kleidung angezündet, zum Niederknien und Ausziehen gezwungen und mit einer Eisenstange bedroht. Die Szenen sind in verstörenden Videoaufnahmen dokumentiert.
Fataler Entschluss zur Selbstjustiz
Mila trug eine posttraumatische Belastungsstörung, Schlafprobleme und Flashbacks davon, wie der psychiatrische Sachverständige bestätigt. Als Wochen und Monate vergingen, ohne dass die Täterinnen zur Rechenschaft gezogen wurden (bis heute gibt es keine Anklage, Anm.), habe das vor Gericht durchaus abgeklärt wirkende Mädchen beschlossen, Selbstjustiz zu üben und „sich an Sonja und allen anderen zu rächen“, so die Staatsanwältin.
Mit ihrer kleinen Schwester, ihrem Cousin und einem Messer sei sie am 1. Juni auf den Jakominiplatz gegangen, „in der Absicht, Sonja zu töten“. In einem Schuhgeschäft habe sie ihre Kontrahentin getroffen und von ihr eine Entschuldigung verlangt. Als Sonja leugnete, bei der Abrechnung im Abbruchhaus überhaupt dabei gewesen zu sein, sei die Angeklagte „sehr erzürnt“ gewesen und habe ihrem Opfer von hinten einen wuchtigen Stich versetzt. Danach ergriff sie mit Schwester und Cousin die Flucht und ließ Sonja blutüberströmt zurück. Die drei Zentimeter lange und vier Zentimeter breite Stichwunde war laut Sachverständigem „potenziell lebensgefährlich“.
„Die Gschicht tut ihr wahnsinnig leid“
Die Körperverletzung stellt die nunmehr 15-Jährige auch gar nicht in Abrede und bekennt sich in diesem Punkt schuldig. „Die Geschichte tut ihr wahnsinnig leid“, sagt ihr Verteidiger – aber von Mordversuch könne keine Rede sein: „Wer sticht schon in den Gesäßbereich, wenn er jemanden töten will?“ Was Staatsanwältin Ines Eichwalder gänzlich anders sieht und auf das Nachtatverhalten verweist. Einerseits habe sich bei den ersten Ermittlungen der Polizei nicht sie als Täterin dargestellt, sondern ihre kleine Schwester, die mit 13 Jahren noch nicht strafmündig ist, was die Beteiligten „genau gewusst“ hätten. „Daher kann ich auch sagen, dass die ganze Geschichte geplant war.“
Besondere Brisanz erhält der Fall durch eine Art Tagebuch, das das Mädchen in der U-Haft führte. Darin offenbare sich „die wahre Mila“, sagt Eichwalder. „Ich kann es gar nicht mit netten Worten beschreiben, die Aufzeichnungen bestehen hauptsächlich aus Schimpfwörtern“, mit denen sie den Richter, der die U-Haft verhängte, ihre Mitinhaftierte und sogar ihren eigenen Anwalt bedenkt. Vor allem gehe daraus eine eindeutige Tötungsabsicht hervor: „Schade, dass ich nicht gesagt habe, dass ich diese Schlampe mit Absicht abgestochen habe und sie umbringen wollte“, sei darin etwa zu lesen.
Milas „Mistkübel“
Verteidiger Gruber, der laut eigener Aussage im Zellen-Pamphlet seiner Mandantin als „Hurensohn-Anwalt“ bezeichnet wird, stellt die Zulässigkeit der Aufzeichnungen als Beweismittel infrage. „Meiner Meinung nach wurden ihr diese widerrechtlich abgenommen und zum Akt gelegt“, wogegen er auch Beschwerde eingelegt hat. Das Tagebuch sei lediglich „ein Mistkübel für ihre Verzweiflung“ gewesen.
Nach den schwer verdaulichen Plädoyers wird die Öffentlichkeit vom weiteren Verfahren ausgeschlossen und erst zum Urteil wieder zugelassen. Einen Mordvorsatz kann der Schöffensenat im Landesgericht Graz nicht feststellen. Deswegen wird die 15-Jährige wegen absichtlich schwerer Körperverletzung zu eineinhalb Jahren Gefängnis verurteilt – nicht rechtskräftig.
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