Generaldirektor Klaus Albrecht Schröder geht nach 25 Albertina-Jahren in Pension. Er blickt auf stolze, wichtige, lustige Momente zurück und möchte auch zukünftig Sammlungen (weiter) betreuen.
In der Keimzelle ist die Albertina eine grafische Sammlung. Welchen Stellenwert hat das Medium Grafik heute?
Die Albertina ist keine grafische Sammlung mehr, sondern sie hat eine grafische Sammlung. Das ist der entscheidende Unterschied. Die Isolation der Zeichnung macht keinen Sinn mehr. Der Begriff der Zeichnung hat sich so sehr verändert, wie der Begriff der Kunst insgesamt nach 1960.
Es ist heute sinnlos, nach Medien, Techniken, Bildträgern zu unterscheiden: auf Papier, auf Leinwand, aus Plastik, auf Zelluloid. Daher war es eine richtige Entscheidung, diese Quarantäne aufzuheben. Zuerst in der Präsentation und dann sogar in den Sammlungen, indem es zu einer Diversifikation der Sammlungen gekommen ist.
Wie sehr hat sich das Ausstellungswesen in Ihrer Albertina-Zeit gewandelt?
In den letzten zehn, fünfzehn Jahren hat sich die Museumswelt tatsächlich stark geändert. Das ist vor allem mit der Vermischung der Gesellschaft begründet. Man geht durch Wien und hört viele Sprachen gleichzeitig. Das sind aber nicht nur Touristen. Hier leben Italiener, Engländer, Franzosen, Moslems, Christen, Nichtgläubige.
Der so eng zugeschnittene Kunst-Kanon, nicht nur aus eurozentrischer Sicht, nicht nur in geschlechtlicher Hinsicht, männlich und weiß, sondern auch durch eine gleiche Sozialisation, durch ein gleiches Weltbild, ist einfach implodiert.
Der eurozentrische Kanon, der einem Herzog Albert von Sachsen-Teschen noch erlaubt hat, seine Sammlung als enzyklopädisches Abbild der Kunstgeschichte zu verstehen, ist auf einmal hinfällig geworden. Die Kunst Amerikas hat gefehlt, genauso wie Indiens, Chinas, Südafrikas und all der anderen Länder.
Heute sammeln wir Aboriginal Art und ich bekam gerade eine bedeutende Sammlung von Aboriginal Art Paintings als Schenkung. Der Kanon hat sich erst in den letzten Jahren dramatisch verändert. Spiegelbildlich dazu sind andere Felder abgestorben.
Welche Bereiche wären das?
Das betrifft etwa die deutsche Kunst, das österreichische Biedermeier, aber auch bis auf wenige Ausnahmen die alten Meister. So, dass heute Altmeistermuseen, wenn sie nicht eine Ausstellungsmaschinerie wie der Louvre oder die Uffizien oder der Prado sind, auch an einem dramatischen Besucherschwund leiden. Diese Kunst war an ein Weltbild gebunden, das abgedankt hat. Und Kunst ist nur so aktuell, wie sie relevant ist.
Die Strategie dagegen?
Ich bin sehr froh, dass ich die Albertina in den letzten Jahren auf die zeitgenössische Kunst umgepolt und gesagt habe, wir müssen die Tür zur Zukunft öffnen. Wir haben jetzt 65.000 Werke an Kunst der Gegenwart. Trotzdem ist unsere grafische Sammlung voll integriert.
Gerade zeigen wir Druckgrafik von Jim Dine, Kohlezeichnungen von Robert Longo und Zeichnungen von Alfred Kubin. Die grafische Sammlung hat eine Schaufläche bekommen, die sie vorher nie hatte. Sie ist ein Teil der Albertina, aber sie prägt nicht mehr alleine die Identität der Albertina.
Dazu hat Kunst auf Papier auch das Problem der Lichtempfindlichkeit und eignet sich nicht dazu dauerhaft ausgestellt zu sein.
Das hat mich geradezu zu der neuen Präsentationsdoktrin gezwungen, sie mit anderen Medien gemeinsam zu zeigen. Daraus hat sich auch das Recht abgeleitet, die Sammlungen auszuweiten. Der Hase war zu Beginn unser Wappentier, ist aber ein Werk, das wir nur alle zehn Jahre zeigen können. Nichts Schlimmeres kann einem passieren.
Klimts „Kuss“, ist ein Bild, mit dem man eine Cashcow aktivieren kann. Mit einem Wappentier, das man immer in den Keller wegsperrt, kann man das nicht.
Sie haben viele Weichen neu gestellt. Was hätten Sie gerne anders gemacht?
Ich hätte die Albertina Klosterneuburg fünf Jahre früher gründen sollen. Da ist mir ein wenig die Pandemie dazwischengekommen und es war auch eine Fehlentscheidung meinerseits. Wir haben das Haus 2017 übernommen. Seitdem sind unsere Werkstätten und unser Zentraldepot für zeitgenössische Kunst dort. Ich hätte dieses Museum gern noch auf eine stabile Schiene mit den ersten zwei, drei Stationen gestellt.
Jetzt steht es zwar auf der Schiene, aber diese Stationen müssen erst errichtet werden. Das wird mein Nachfolger ganz sicher sehr gut machen. Ich habe ihm eine Orgel hinterlassen mit großen und kleinen Pfeifen, auf der er hervorragend wird spielen können. Ganz andere Musik vermutlich. Aber die Orgel, die steht da. Da hätte ich dieses eine große Register von Klosterneuburg gerne früher eingebaut.
Sie haben zahlreiche Stiftungen und Kunst geholt. In welchem Umfang?
Die Sammlung ist in etwa in einem Wert von zwei Milliarden Euro in diesem Vierteljahrhundert gewachsen. Die Sammlung Batliner war dabei sicher die bedeutendste Überlassung. Herbert Batliner war auch der wichtigste Mäzen, weil er ganz früh essenziell geholfen hat. Bevor ich angetreten bin, war nur die Errichtung eines Studiengebäudes und eines Depots geplant, dazu eines 100 Quadratmeter großen Ausstellungsraums. Das Palais sollte nicht renoviert, die Fassaden nicht rekonstruiert, keine neuen Ausstellungshallen gebaut werden.
Dann hat Batliner mir das Geld für die Errichtung der Propter Homines Halle gegeben. Später gab es weitere Unterstützung von anderen, für die Prunkräume durch Michael Kaufmann, für die Kahn Galleries, die Tietze Galleries, von Alfred Heinzel und vielen anderen. Aber Herbert Batliner war der erste.
Genauso wie er der erste war, der uns 2007 seine klassische Moderne gegeben hat. Da ist heute vieles dazu gekommen, wie die Sammlungen Djerassi, Chobot, Forberg, Huber. Die Sammlung Essl war dann die zweite große Bereicherung, die uns mit Gegenwartskunst perfekt erweitert, die neben Batliner die Albertina zu etwas völlig Neuem gemacht hat.
Das Haus besitzt eine bedeutende Architektursammlung. Doch während ihrer Direktion wurde nur eine Architektur-Ausstellung in zwei Teilen im Albertina-Palais gezeigt. Warum nur diese?
Ich habe die strategische, klare Entscheidung getroffen, dass die Architektursammlung an der Albertina bewahrt, erforscht, digitalisiert und gepflegt werden muss. Wir sind auch als Leihgeber sehr gefragt. Aber sie ist kein Pfeiler des Profils der Albertina.
Sie gelangte über die Sammlung von Philipp Freiherr von Stosch in den Bestand, obwohl die Gemeinsamkeit zwischen einer Rembrandt-Radierung, etwa dem Hundert Gulden Blatt und einer Ideenskizze von Francesco Borromini zu einem Bauwerk lächerlich ist. Dazu ist es schwierig Architektur auszustellen, nicht sonderlich erfolgreich und nicht sehr aktuell.
Klaus Albrecht Schröder, geb. 1955 in Linz, studierte Kunstgeschichte und Geschichte in Wien.
1985 war er Gründungsdirektor des Kunstforums in Wien
1996 bis 1999 war er in der Geschäftsführung des Leopold Museums tätig.
Ab 1999 war Schröder Direktor, ab 2017 Generaldirektor der Albertina, die er umfassend renoviert, modernisiert und erweitert im März 2003 wiedereröffnen konnte.
Insgesamt wurden in seiner Direktion 260 Ausstellungen gezeigt.
Im wiedereröffneten Palais zählte man ab März 2003 knapp 17 Millionen Besucher.
Was ist besonders gelungen?
Dass ich die Albertina als ein janusköpfiges Museum positionieren konnte. Dass ich diesem Palais tatsächlich seine Würde als Erinnerungsort der Geschichte, als hochherrschaftliches Palais, durch Rückkauf von vielen Originalmöbeln, zurückgeben konnte. Dass ich die Fassaden rekonstruiert habe. Dass ich den postfaschistischen Balkon weggebracht habe. Das macht mich wahnsinnig stolz.
Viel stolzer als 600.000 Besucher bei Van Gogh. Viel stolzer als eine erfolgreiche Keith Haring oder Jean-Michel Basquiat-Ausstellung. Das sind ephemere Ereignisse, die vorbeigehen.
Van Gogh war die erfolgreichste Ausstellung?
Ja. In drei Monaten 600.000 Besucher. Dann zweimal Dürer, Michelangelo. Die hatten über eine halbe Million. Dazu gab es über 50 Ausstellungen mit 300.000 bis 350.000. Aber das sind Besucherzahlen. Mir war wichtig, dass ich damit die Leute in viele andere Ausstellungen gebracht habe. Gleich das Eröffnungsjahr hat gezeigt, dass wir dank Munch und Dürer das Publikum auch zu Baselitz und zu Brus hingeführt haben.
Die Ausstellung, die am meisten enttäuscht hat?
Es gab zwei Ausstellungen, die ich lieber nicht gemacht hätte. Die möchte ich nicht nennen. Die Ausstellung, die unter ihren Erwartungen geblieben ist, und zwar dramatisch, war die Romantikausstellung.
Besondere Begegnungen im Haus, die überrascht haben, besonders schön waren?
Ich könnte jetzt sagen, der Augenblick, in dem Sharon Stone oder Keanu Reeves oder Angelina Jolie und Brad Pitt da waren. Aber dann ist das eine Sekundärausbeutung einer Celebrity-Kultur, die gar nicht der Wahrheit entspricht. Die Wahrheit ist, wenn auf einmal Gerhard Richter unangemeldet vor einem steht. Weil er sich einmal im Jahr seine Bilder bei uns ansehen und dabei gerne seine Ruhe haben möchte.
Ihr lustigstes Erlebnis?
Sicher die Geschichte mit Beyoncé. Radio Kronehit war daran schuld. Beyoncé hatte ein Konzert in Wien. Ich kannte sie nicht. Kurzum, meine Pressesprecherin sagt, Beyoncé kommt, ob ich sie begrüße? Ich frage, wer ist das? Ein Superstar. Okay, ich gehe hinunter. Unten fährt die Stretchlimousine vor. Beyoncé steigt aus. Zwei Riegel von Bodyguards um sie herum. Dazu zwei Schulklassen, die Buben außer sich, als sie sie sehen. Ich gehe mit ihr durch die „Monet bis Picasso“-Ausstellung. Sie trägt Sonnenbrille, kriegt den Mund nicht auf. Dann verabschiede ich mich, Fall erledigt.
Doch Kronehit hat sich einen Spaß erlaubt und ein Double bestellt. In der FAZ und im Spiegel, überall konnte man lesen, der Generaldirektor der Albertina erkennt Beyoncé nicht.
Mit Jahresende gehen Sie als Albertina-Direktor in Pension? Und dann?
Ich möchte gerne einige Sammlungen weiter oder neue betreuen. Ich möchte vielleicht gerne meine Erfahrungen und mein Wissen in das Change-Management eines Unternehmens, das sich in einer tiefen Krise befindet, einbringen. Ob das im Kulturbereich ist oder in der freien Wirtschaft, sei dahingestellt.
Und vielleicht werde ich auch, hoffentlich ein sehr gehobener, Reiseführer für Menschen, die gerne große Kunstwerke, Städte, Museen, Bauwerke wie den Wormser Dom oder das Aachener Münster durch meine Augen sehen möchten. Weil man mir nachsagt, dass ich gewisse rhetorische Qualitäten habe, die es interessant machen, mir zuzuhören.
Sie wollen also tatsächlich keine andere Institution übernehmen?
Nein, nach der Albertina führt man nicht das Rieder Heimathaus.
Wäre aber originell, oder?
Ja, wenn ich mir ein Museum aussuchen müsste, dann wäre es das Nolde-Museum, weil dort 20.000 Schafe dabei sind.
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