(Bild: KMM)

„Mein Volk liebt mich“

Wie der Zar Opfer seiner eigenen Propaganda wurde

Inmitten tiefster sozialer und wirtschaftlicher Krisen feierte Russlands Zarendynastie im Jahr 1913 mit großem Pomp seine 300-jährige Herrschaft. Die Warnungen vor einer Revolution nahm Zar Nikolaus II. nicht ernst.

Im Jahr 1913 feierte die russische Zarenfamilie die 300-jährige Herrschaft ihrer Dynastie. Seit 1613 waren die Romanows Herrscher des größten Landes der Erde. Dieses besondere Jubiläum gedachte Zar Nikolaus II., damals 45 Jahre alt, mit dem größtmöglichen Pomp und Prunk zu begehen.

Als der Zar von einer Tour durch die Provinz nach St. Petersburg zurückkehrte, schwärmte er: „Mein Volk liebt mich!“, woraufhin seine Frau, Zarin Alexandra, triumphierend zu ihrer Hofdame sagte: „Jetzt können Sie sehen, welche Feiglinge die Minister sind. Permanent wollen sie den Zaren mit ihren Warnungen vor einer Revolution ängstigen. Doch sehen Sie selbst: Wir müssen uns dem Volk nur kurz zeigen, und schon fliegen uns dessen Herzen zu!“ Zweifellos, der Zar und die Zarin waren Opfer ihrer eigenen Propaganda geworden.

Nachhaltige soziale Reformen blieben aus

Tatsache war, dass das pompöse 300-jährige Jubiläum vor dem Hintergrund jahrzehntelanger tiefer wirtschaftlicher und sozialer Krisen stattgefunden hatte. So war etwa die Lage der Bauern trotz der „Bauernbefreiung“ von 1861 noch immer prekär. Zwar waren sie nun nicht mehr Leibeigene ihrer aristokratischen Grundherren, doch da das Land weiterhin im Eigentum der Grundherren blieb, blieben die Bauern Fronarbeiter an der Grenze des Existenzminimums. Durch die Halbherzigkeit der Reform war es nicht gelungen, einen starken bäuerlichen Mittelstand zu etablieren.

Russlands letzter Zar Nikolaus II. mit seiner Frau, Zarin Alexandra, seinen vier Töchtern und dem Thronfolger.  (Bild: picturedesk.com/ullstein bild - Fred Boissonnas / Ullstein Bild / picturedesk.com)
Russlands letzter Zar Nikolaus II. mit seiner Frau, Zarin Alexandra, seinen vier Töchtern und dem Thronfolger. 

Zudem waren die Wunden der ersten Revolution von 1905 noch nicht verheilt. Beim berüchtigten „Petersburger Blutsonntag“ hatte das Militär das Feuer auf 150.000 Arbeiter eröffnet, die friedlich und unbewaffnet zum Winterpalast marschiert waren, um politische Mitbestimmung und wirtschaftliche Erleichterungen zu fordern. Diese gewaltsame Niederschlagung einer friedlichen Demonstration sollte in der Folge zu einer immer größeren Mobilisierung und schließlich Radikalisierung weiter Bevölkerungsschichten führen.

Der Zar war beratungsresistent

Das „Oktobermanifest“, das Zar Nikolaus als Konsequenz der Revolution von 1905 widerwillig erlassen hatte, gewährte zwar die Einführung eines Zweikammerparlament und bürgerliche Grundrechte, faktisch blieb jedoch alle Macht beim Zaren, der sich in der Folge zunehmend bemühen sollte, immer mehr Zugeständnisse wieder zurücknehmen. Sämtliche liberale Reformen wurden zudem durch die Hofpartei permanent torpediert. Gegenüber den Warnungen der fähigsten Männer seiner Regierung wie etwa Sergei Witte und Pjotr Stolypin zeigte sich Zar Nikolaus II. – unter dem entschiedenen Einfluss seiner Frau, Zarin Alexandra – absolut beratungsresistent.

Während der Zar seinen Thron in Sicherheit wähnte, braute sich jedoch über ihm ein Sturm zusammen, dessen Auswirkungen das gesamte 20. Jahrhundert nachhaltig beeinflussen sollte.

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