Großer „Krone“-Talk

Prog-Band Opeth: Wieder zurück zu den Wurzeln

Musik
21.11.2024 09:00

Mit ihrem neuen Album „The Last Will And Testament“ rücken die schwedischen Prog-Metal-Legenden Opeth eine 100 Jahre alte Geschichte in die Gegenwart und berufen sich auf alte Stärken. Frontmann Mikael Åkerfeldt verrät der „Krone“, wie er Ian Anderson von Jethro Tull als Gast gewann, warum die Geschichte auch mit seiner Familie in Verbindung steht und was 35 Jahre Opeth in ihm auslösen.

(Bild: kmm)

Die Zeitleisten sind erbarmungslos und freudig zugleich. „The Last Will And Testament“ ist Opeths 14. Studioalbum und das erste seit dem eher divers aufgenommenen „In Cauda Venenum“ (2019). Fünf Jahre zwischen zwei Alben sind bislang noch nie bei den Schweden vergangen. Doch für altgediente Fans der ungekrönten europäischen Prog-Rock-Könige gibt es noch weitere Gründe, um schon ohne Vorabhören in unbändigem Jubel auszubrechen. Einerseits ist es das erste Konzeptalbum seit einem Vierteljahrhundert (!) („Still Life“, 1999), andererseits setzt Chef, Sänger und Frontman Mikael Åkerfeldt das erste Mal seit 16 Jahren („Watershed“, 2008) wieder seine markanten und bei Fans so beliebten Death-Metal-Growls ein – und wer Metal-Fan ist oder welche kennt, weiß, nichts ist so beliebt wie die musikalische Rückschau. Die ewige Hoffnung, eine Lieblingsband könnte einen noch einmal so treffen wie damals, als man selbst noch Adoleszent war.

Das Konzept erfordert Härte
„Musik ist für mich in erster Linie spontan und von meinen Instinkten getrieben“, erzählt Åkerfeldt der „Krone“ im Interview, „die meiste Zeit habe ich keine Ahnung, was ich eigentlich mache. Ich habe Spaß am Musizieren und liebe es, Songs zu schreiben. Aus dieser Grundhaltung heraus entsteht die Musik, die man schlussendlich auf Opeth-Alben hört. Ich kann absolut nachvollziehen, dass Fans durch meine Death-Metal-Stimme wieder einen nostalgischen Aspekt verspüren und ans Früher zurückdenken, nur für mich fühlt es sich nicht direkt so an.“ Dass Åkerfeldt im Alter von 50 Jahren plötzlich wieder die ruhigen Folk-Prog-Pfade der letzten Jahre verlässt und Opeth in jene Prog-Metal-Gewässer führt, die ihnen schon vor Jahrzehnten ausverkaufte Hallen und eine treue Fanbase gesichert haben, ist ganz alleine dem Albumkonzept geschuldet.

Grob umrissen spielt die Handlung nach dem Ersten Weltkrieg, als ein erbarmungsloser und strenger Familienpatriarch in seinem Testament nicht bloß Anwesen und Besitz vererbt, sondern auch schockierende Familiengeheimnisse enthüllt. Es geht um Eifersüchteleien, neu aufgebrochene Gräben, Krankheiten und narzisstische Alleingänge. Der ganz normale und immer noch alltägliche Wahnsinn, eingebettet in eine Rahmenhandlung, die rund 100 Jahre zurückliegt. „Der Hauptcharakter hat nach dieser Stimme verlangt“, erklärt Åkerfeldt, „er ist böse, unzuverlässig, schwer religiös und regiert die Familie mit eiserner Hand. Diese Grundstimmung hat nach härterer Musik verlangt, von der ich mich einige Jahre lang entfernt habe.“ Die Songs tragen schlichtweg Paragrafen-Zeichen, weil jedes einzelne Lied nach einem solchen im Testament benannt ist. Nicht zu googeln und absolut unbrauchbar für Spotify. Also all das, wofür Åkerfeldt und eine Truppe seit jeher Musik lieben und kreieren.

Auseinandersetzung mit den Ahnen
„Mit der Thematik kann sich jeder Hörer identifizieren, weil so gut wie jeder schon mit dem Thema Tod in der Familie konfrontiert wurde. Außerdem gibt es in so gut wie jeder Familie eine böse Seite, an die man sich nicht gerne erinnert. Vielleicht liegt das bei dir nicht 20, sondern 50 oder 60 Jahre zurück, aber es gibt überall ein schwarzes Schaf.“ Åkerfeldt setzte sich trotz des fernen Konzepts dadurch auch stark mit seiner eigenen Familie auseinander. „Ich habe Glück, denn die meisten meiner Vorfahren wurden sehr alt und starben eines natürlichen Todes. Bei uns wurde nie um Besitz oder Geld gestritten, aber eine gewisse Kälte ist mir bekannt. Als mein Großvater starb, saßen mein Vater und ich an seinem Sterbebett. Er hat uns immer geliebt, konnte das aber nicht in Worte fassen. An seinem Totenbett habe ich ihm gesagt, dass ich ihn liebe und er nahm das auch an, aber ihm käme das nie über die Lippen. Dasselbe mit meinem Vater. Vielleicht bin ich deshalb so übermäßig protektiv und überschütte meine Kinder mit solchen Sätzen.“

Die acht Songs auf dem Album ziehen sich auf rund 50 Minuten Material, was „The Last Will And Testament“ trotz allem zu einem der kürzesten und kompaktesten Alben der knapp 35-jährigen Bandhistorie macht. Die Brutalität ist nicht nur stimmlich, sondern auch musikalisch wieder in die Opeth-Glieder zurückgeschossen. Harte Gitarren, berstendes Schlagzeugspiel, wilde Soli und bleischwere Riffs – all das, was sich Åkerfeldt in den letzten Jahren abtrainierte, kehrt hier in geballter Form wieder zurück. Wiewohl er die Songs im Alleingang schreibt, ist ihm Teamwork wichtig. „Als Gitarrist habe ich sogar die unwichtigste Rolle in der Band. Jeder einzelne ist aus einem bestimmten Grund Teil der Band. Jedes Instrument ist so wichtig wie die anderen. Ich bin der Songwriter, aber kann dann in meinen magischen Koffer greifen, wo die fantastischsten Musiker drinnen sind, die meine Visionen mit ihrem Können erst zur Realität verhelfen. Ohne die Band wäre ich absolut nichts.“

Prog-Legende als Gast
Als berühmten Gast dürfen Opeth-Fans auf dem neuen Album niemand Geringeren als Jethro Tull-Mastermind Ian Anderson begrüßen, der als Erzähler durch die konzeptionelle Geschichte führt. Ihn für das Projekt bekommen zu haben, verwundert Åkerfeldt selbst noch heute. „Vielleicht lag es daran, dass wir bewusst für die Erzählstruktur anfragten und nicht, wie wohl jeder andere, ob er uns auf dem Album die Flöte spielen würde. Er ist ein sehr autoritärer Typ, vor dem ich größten Respekt habe. Er hat seine Stimmspuren rübergeschickt und sie passten perfekt. Zudem fragte er dann selbst, ob wir nicht auch seine Flöte auf dem Album haben wollten“, lacht der Frontmann. Gitarrist Fredrik Åkesson schmunzelt: „Eigentlich war das Instrument auf diesem Album nicht vorgesehen, aber du sagst doch Ian Anderson nicht, dass er nicht Flöte spielen soll! Also haben wir einen Platz gesucht und natürlich gefunden.“ Für normale Ohren nicht wirklich hörbar, aber in den Backing Vocals ebenfalls präsent: Europe-Legende Joey Tempest, ein alter Freund der Band.

Auf „The Last Will And Testament“ gehen Opeth in ihre Vergangenheit zurück, ohne auf die Gegenwart zu vergessen oder ins Ewiggestrige abzurutschen. Ein ungemein schmaler, aber sehr gelungener Spagat, der es tatsächlich schaffen könnte, nicht nur die vergraulten alten Fans zurückzuholen, sondern auch die dem ruhigeren Klang nahestehenden neuen Anhänger für diese Seite der Schweden zu begeistern. „Es ist einfach ein neues Kapitel Musik der Band und jedes neue Kapitel klingt ganz anders als das alte“, versucht Åkerfeldt, die musikalische Drehung nicht zu stark zu interpretieren, „was wir früher einmal machten, interessiert mich nicht sonderlich. Ich habe mich nie von einer gewissen Richtung unserer Diskografie leiten lassen, sondern bin immer meinen Visionen und meinem Herzen gefolgt. Viele mag ,The Last Will And Testament‘ an früher erinnern, für uns fühlt sich das Album aber frisch und aktuell an.“

Die Band als Erbe
Die große Tour zum Album findet – vorerst – noch ohne Österreich-Livetermin statt, der könnte sich aber bei der nächsten Rutsche oder noch durch Festivalshows ergeben. Dreieinhalb Dekaden mit derselben Band so erfolgreich in diesem Business bringen Åkerfeldt zum Schmunzeln. „Als wir unseren ersten Plattenvertrag erhielten, war ich gerade erwachsen und dachte, jetzt kaufe ich mir einen Rolls-Royce und je ein Penthouse in New York und in London. Relativ schnell habe ich bemerkt, dass die Materialisierung meines Rockstartraums so nicht funktioniert und ich hart für alles arbeiten musste. Über die Jahre haben wir uns ein Following aufgebaut und hatten wirklich viel Erfolg. Mittlerweile ist Opeth so etwas wie mein Erbe gewohnt. Die Band hat für viele Menschen eine große Bedeutung und dafür bin ich dankbar. Glücklicherweise können wir davon leben und Leute glücklich machen. Das ist doch nicht so schlecht für ein Projekt, das ganz ohne Plan und Vorsatz begann, oder nicht?“

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