NATO-Generalsekretär Mark Rutte hat für Dienstag eine Sitzung des NATO-Ukraine-Rats einberufen. Hintergrund des Sondergipfels ist der Einsatz einer neuen russischen Mittelstreckenrakete. Kremlchef Wladimir Putin drohte dem Westen zuletzt offen mit Raketenschlägen, wovon sich mächtige Bündnismitglieder offenbar beeindrucken lassen
Bei dem Treffen in Brüssel soll es nach Angaben eines Bündnissprechers konkret um den jüngsten russischen Angriff auf die ukrainische Großstadt Dnipro gehen. Dabei wurde vom Kreml offenbar am Donnerstagmorgen eine neue Mittelstreckenrakete mit dem Namen „Oreschnik“ abgefeuert. Militärische Beobachter sehen darin eine Einschüchterungstaktik.
Rätselraten über neue Rakete
Über die neue Waffe ist wenig bekannt. Nach russischen Angaben kann das Geschoss mit Hyperschallgeschwindigkeit fliegen und nicht abgefangen werden. Experten gehen davon aus, dass sie theoretisch auch mit nuklearen Sprengsätzen bestückt werden könnte. Das Wort „Oreschnik“ heißt übersetzt Nussstrauch. Über die genauen Eigenschaften herrscht weiter Rätselraten.
In Dnipro sind insgesamt sechs einzelne Sprengköpfe eingeschlagen. Sie seien nicht nuklearer Art gewesen, sagte der russische Machthaber Putin. Das Pentagon geht davon aus, dass die ballistische Mittelstreckenrakete auf dem Modell der russischen Interkontinentalrakete RS-26 basiert.
Die Rakete habe mehr als die elffache Schallgeschwindigkeit erreicht, teilte der ukrainische Geheimdienst mit. Die „Oreschnik“ sei vom Start in der südrussischen Region Astrachan bis zum Einschlag in der Stadt Dnipro 15 Minuten lang geflogen und mit sechs Gefechtsköpfen bestückt gewesen – von denen jeder mit sechs Teilen Submunition ausgestattet gewesen sei. „Die Geschwindigkeit im letzten Abschnitt der Flugbahn lag über Mach elf“, so der Geheimdienst. Ein Mach entspricht etwa 1225 Kilometern pro Stunde.
Die Beratungen in Brüssel werden nach Bündnisangaben auf Wunsch der Regierung in Kiew organisiert und finden auf Botschafterebene statt. Der NATO-Ukraine-Rat war zum ersten Mal im vergangenen Jahr beim NATO-Gipfel in Litauen auf Ebene der Staats- und Regierungschefs zusammengekommen. Das relativ neue Gremium wurde für den Austausch in Krisensituationen geschaffen.
Zudem soll es eine engere Zusammenarbeit ermöglichen, bis die Voraussetzungen für eine Aufnahme der Ukraine in die NATO erfüllt sind. Zu diesen zählen unter anderem ein Ende des russischen Angriffskriegs und Reformen in der Ukraine.
Der Einsatz westlicher Waffen gegen Ziele in Russland sorgte in Moskau für eine wütende Reaktion. In einer Fernsehansprache mahnte Putin Verbündete der Ukraine zur Zurückhaltung. Durch die Aufhebung territorialer Grenzen durch den Westen hätte der Ukraine-Konflikt nach den Worten Putins nun „Elemente eines globalen Charakters“ angenommen.
Jetzt droht ein Richtungsstreit
Im Gegensatz zu den USA, Großbritannien und Frankreich tritt der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz unter dem Eindruck der vergangenen Stunden auf die Bremse. Man müsse dafür Sorge tragen, dass der Krieg nicht zu einem Krieg zwischen Russland und der NATO eskaliere, sagte Scholz am Freitag.
Er unterstrich in diesem Zusammenhang seine Ablehnung der Lieferung weitreichender Marschflugkörper und machte Wahlkampf: „Ich sage, das gibt es nur mit der SPD, dass in dieser schwierigen Frage Besonnenheit und klare Unterstützung der Ukraine zusammenkommen.“
Den jüngsten russischen Angriff auf die Ukraine mit einer neuen Mittelstreckenrakete nannte Scholz eine „furchtbare Eskalation, genauso wie vorher die Nutzung von nordkoreanischen Soldaten, die jetzt in diesem Krieg eingesetzt werden und sterben für den imperialen Traum von Putin“.
Ukraine verlangt Reaktion der Weltgemeinschaft
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj verlangte von der Weltgemeinschaft eine entschiedene Reaktion. „Dies ist eine eindeutige und ernsthafte Ausweitung des Ausmaßes und der Brutalität dieses Krieges, eine zynische Verletzung der UN-Charta durch Russland“, schrieb Selenskyj in sozialen Netzwerken. Es sei Putin „egal, was China, Brasilien, die europäischen Länder, Amerika und alle anderen Länder der Welt fordern.“
Die Ukraine hat in den vergangenen Tagen dem Vernehmen nach ATACMS-Raketen aus US-Produktion und britische Marschflugkörper vom Typ Storm Shadow auf Militärziele in Russland abgefeuert. Selenskyj erklärte, dies sei als Abwehr des russischen Angriffskriegs völkerrechtlich gedeckt. „Unser Recht auf Selbstverteidigung ist das gleiche wie das jeder anderen Nation.“ Militäraktionen dieser Tragweite setzen eine Freigabe der Zuliefererstaaten voraus.
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