Das stargespickte Kirchen-Drama „Konklave“ begeistert im Kino derzeit nicht nur mit einem exquisiten Cast, sondern auch mit einer vielseitigen, spannend verfilmten Story über die Kirche und den Glauben. Regisseur Edward Berger („Im Westen nichts Neues“) stand der „Krone“ dazu Rede und Antwort.
„Krone“: Herr Berger, was mir bei „Konklave“ sofort auffiel, war, dass Sie die meiste Zeit in sehr engen Räumen gedreht haben, aber trotzdem eine beachtliche Weite vermittelt wird. Wie haben Sie das hingekriegt?
Edward Berger: Der Film lebt von Kontrasten wie Dunkelheit und Licht. Wenn die Jalousien herunterfahren, wirkt alles plötzlich sehr erdrückend und klaustrophobisch. Die katholische Kirche funktioniert anhand bombastischer Architektur, damit wir uns als Menschen klein fühlen und uns unserer Unwichtigkeit im Universum bewusst werden. Dieses Gefühl haben wir versucht, so gut wie möglich einzufangen.
Im Endeffekt behandelt der Film mehr die Politik und das Patriarchat als Religion und Kirche.
Absolut. Der Film könnte so genauso gut in der „Kronen Zeitung“ spielen, wo der Herausgeber abtritt und sich verschiedene Fraktionen um den leer gewordenen Stuhl bemühen. Sie bekämpfen sich mit unlauteren Mitteln um die Position des Papstes. Es ist überall so: Wenn ein Machtvakuum entsteht, dann kommen die Messer heraus.
Wie weit konnten Sie sich abseits des Romans von Robert Harris auf das Projekt vorbereiten? Es ist ja bekannt, dass die Kirche nicht unbedingt die öffentlichste und durchschaubarste Institution ist …
Es gab schon Kardinäle, die viel mit uns geteilt haben. Wir ihr Alltag aussieht, was den Beruf ausmacht und auch, wie sie mit ihrem Glauben und möglichen Zweifel umgehen. Das war gerade für Ralph Fiennes ein wichtiger Anknüpfungspunkt, um zu sehen, wie man sich als Kardinal bewegt. Wenn es um das Konklave geht, darf natürlich niemand etwas verraten, da werden die Türen geschlossen. Ich hatte als Berater aber einen fantastischen Religionslehrer zur Seite, der mir dabei half herauszufinden, wie sie sich in dieser Umgebung verhalten, wie sie ihre Hände halten, welche Gebete gesprochen werden. Wir wussten sehr viel über die Vorgänge, konnten so einige Pflöcke der Realität in den Boden schlagen und uns daran entlanghangeln. Am Ende ist „Konklave“ aber immer noch ein Film.
Hat sich Ihr persönlicher Zugang zur Kirche durch dieses Projekt verändert?
Nein. Ich bin kein Mensch, der viel in die Kirche geht, finde aber, dass Religion und Glauben für die gesamte Menschheit ein sehr interessantes und wichtiges Thema ist. Wenn wir das alles nicht hätten, dann würden wir viel von unserer Kultur, unserer Identität und unserem Halt verlieren. Die Religion ist ein wichtiges Element in unserer Welt.
Eine große Rolle spielt Isabella Rossellini, die sich in einer prägenden Szene gegen das kirchliche Patriarchat auflehnt und offen ihre ehrliche Meinung kundtut. War es besonders wichtig, der zurückgedrängten Rolle der Frau in dieser Männerdomäne mehr Gewicht zu geben?
Selbst jemand wie Isabella Rossellini ist hier in die 25. Reihe verdrängt – weil sie in der katholischen Kirche als Frau keine verantwortungsvolle Rolle einnehmen darf. Der Film spielt im ältesten Patriarchat der Welt, in dem sich die Männer bemühen, an den tradierten Strukturen festzuhalten, die ihnen die Macht garantieren. Isabella steht als Sinnbild für alles Feminine in dieser Welt. Am Ende gräbt es sich wie ein Riss in das Fundament dieser Institution. Durch diesen Riss scheint Licht und dieses Licht bringt Hoffnung auf Veränderung mit sich.
Ist diese Rolle eine Metapher dafür, dass es an der Zeit wäre, die Machtstrukturen auch in der globalen Realität verstärkt Frauen zuzusprechen?
Da bin ich sicherlich nicht der Erste, der das so sieht. Doch leider sieht unsere Realität ganz anders aus. Viele Länder dieser Welt hinken deutlich dem Stand hinterher, wo wir sie eigentlich schon lange wähnten. Vorne weg Amerika – dieses Land erträgt einfach keine Frau an der Spitze. Wir dürfen aber bitte nicht aufgeben, sondern müssen täglich an Fortschritt und Veränderung arbeiten. Im Gremium sind wir häufig besser und so etwas erfassen Frauen meist schneller als Männer, die gern auf ihrem Recht beharren.
Bei einem Cast, der u.a. aus Fiennes, Rossellini, Stanley Tucci und John Lithgow besteht, muss man als Regisseur wahrscheinlich nicht mehr groß eingreifen …
Ich glaube sehr ans Casting. Sidney Lumet hat einmal gesagt, dass 90 Prozent des Regieführens im Casting entschieden wird. Man muss ganz einfach die richtigen Leute finden. Es ist ein häufiges Missverständnis, dass Regisseure den Schauspielern erklären, wie sie ihre Rolle zu spielen haben. Wenn man die richtigen Schauspieler wählt, dann wissen sie über ihre Figur immer deutlich mehr als wir. Es geht vielmehr darum zu wissen, was ich erzählen möchte und alle auf das gleiche Ziel, den gleichen Ton einzuordnen. Das ist häufig schwieriger als es sich anhört. Es gibt unzählige Filme, in denen sich ein Darsteller in einer Komödie befindet, der andere in einem Thriller. Dann passt gar nichts mehr zusammen.
Ralph Fiennes etwa ist ein Schauspieler, der nonverbal schon so viel vermitteln kann. In „Konklave“ ist das ganz besonders stark der Fall.
Das war ein wichtiger Grund, warum ich ihn ausgewählt habe. Er spielt die stillste Figur im Raum. Er hört lieber zu, während jene, die ambitioniert um die Macht buhlen, immer das Wort ergreifen und im Rampenlicht stehen wollen. Kardinal Lawrence zieht sich lieber zurück und ringt im Stillen mit seinen Bedenken. Wir brauchten jemanden, der mit seinen Augen ausdrücken kann, was er fühlt. Der uns in seine Seele einlädt und hinter seine Augen blicken lässt. Darin ist Ralph ein Meister.
Was waren für Sie die wichtigsten Ansätze im Film? Dass alles nicht zu stark wie eine Dan-Brown-Verfilmung aussieht? Dass in der Fiktion eines Films so viel Realität wie möglich stattfindet?
Der Film ist, ganz simpel gesagt, eine Detektivgeschichte. Ralph Fiennes ermittelt im Vatikan. Für mich stand aber vor allem sein Innenleben, die Reise des Zweifels im Vordergrund. Diese Zweifel treiben ihn an und die stärksten Momente sind die, in denen er nichts sagt. Die Kamera ist dicht an Ralphs Gesicht, schaut ihm in die Augen und vermittelt uns das Gefühl, was dahinter vor sich geht. Diesen Film durch seine Augen und Ohren zu erleben, war für mich das Wichtigste.
Es gibt ein paar sehr eindrucksvolle Bilder, wo man etwa bewusst die Einsamkeit eines gefallenen Kardinals einfängt, indem man langsam wegzoomt und die Schwere der kirchlichen, prunkvollen Situation verfolgt.
Da ich Angst vor Wiederholung hatte, habe ich für jeden Wahlgang des Konklaves ein Storyboard erstellt. Jede Szene sollte eine ganz eigene Atmosphäre vermitteln. In einer von ihnen sind die Kardinäle zum Beispiel ganz allein im Saal. Jeder fühlt sich isoliert und allein, sie sind ganz auf sich gestellt.
Stanley Tucci ist in der Rolle des Kardinal Bellini eigentlich integer, verrennt sich dann aber auch in den Machtstrukturen, bis er seinen Fehler einsieht. War es bewusst so geplant, dass keine Person im Film ohne Fehler und Macken ist?
Deshalb habe ich so viele moderne Elemente wie Zigaretten, Smartphones oder den Plastiksack, in den der verstorbene Papst verhüllt wird, in den Film integriert. Es soll auch das Gefühl vermittelt werden, dass wir ganz normale Menschen bei ihrem Alltag und ihrer Arbeit beobachten. Ralph Fiennes hat eine Aktentasche in der Hand und macht ganz einfach seinen Job. Sie sind wie wir, wie Sie und ich. Wir alle haben Fehler, Sünden, Ängste und Zweifel. Wir haben alle schon einmal gelogen und plagen uns mit Reue herum. Ich denke, da sind Kardinäle nicht anders als wir.
Das Konklave ist in einer Welt, die so offen und frei einsehbar ist wie nie zuvor, wie ein letzter kleiner Strang des Geheimen und Mystischen. Niemand von außen weiß, was dort wirklich passiert. Ist es – auch abgekoppelt von der Religion an sich – wichtig, dass es noch solche Zufluchtsorte gibt?
Ich würde mir wünschen, es gäbe eine Welt, in der man seltener aufs Telefon schaut. Ich werde selbst schon verrückt. Ständig fühlt man sich gedrängt, sofort alles zu beantworten, aber am Ende verlangsamt es uns nur. Alles wird zwischendurch und halb erledigt, wir konzentrieren uns nie auf die Essenz. In der katholischen Kirche gibt es mit Sicherheit etliche Dinge, die reformiert werden sollten, aber es ist auch schön, wenn gewisse Rituale bewahrt werden. Dasselbe gilt für Traditionen, die man an die nächste Generation weitergeben kann. Wenn wir das nicht haben, verlieren wir irgendwann den Bezug zu unserer Geschichte. Ein Ritual wie das Konklave finde ich sehr interessant.
„Konklave“ spart Themenbereiche wie Xenophobie, Frauenfeindlichkeit, den Nationalsozialismus oder radikalen Islamismus nicht aus. War es Ihnen wichtig, all diese beständigen und aktuellen Themen in die Geschichte einzuflechten?
Wir versuchen alle, unseren Film nicht in einer Blase zu machen, sondern auch das Geschehen in der Welt widerzuspiegeln. Das, was ich täglich in der Zeitung lese, wollte ich auch im Film wiederfinden. Deshalb haben wir unser Drehbuch immer wieder aktualisiert. Insbesondere die politischen Strömungen und Themen, die die katholische Kirche bewegen, wollten wir thematisieren. Manches wird nur peripher angedeutet, aber wir konnten und wollten die Skandale auch nicht ignorieren.
Es gibt eine markante Szene, wo die Kardinäle im Vatikan sich im Stiegenabgang treffen und über das Konklave diskutieren. Es fällt auch der Satz „Man will ja nicht das geringste Übel wählen“. Für viele Menschen fühlt es sich auch bei innenpolitischen Wahlen gerade genauso an …
In den USA war es interessant, dass genau dieser Satz im Kino ein großes Gelächter ausgelöst hat. Die ZuschauerInnen konnten sich mit diesem Satz identifizieren, da sie vor der Präsidentenwahl mit zwei nicht gerade idealen KandidatInnen konfrontiert waren. Das spiegelt auch sicher die derzeitige Situation in Deutschland und Österreich wider.
Der Film lebt auch sehr stark von der Musik. Die kammerspielartigen Streicher erschaffen eine sehr beklemmende Atmosphäre. War diese musikalische Umsetzung ihr ausdrücklicher Wunsch?
Ich arbeite mit meinem Komponisten schon seit fünf Filmen zusammen und ich bin sehr stark in die Musik involviert. Wir besprechen jeweils die Richtung und dann schickt er mir Ideen und Vorschläge. Uns beiden ist es wichtig, dass die Bilder mit der Musik in einen Dialog treten. Dass es zwischen ihnen eine Reibungsfläche gibt, die etwas Unerwartetes entstehen lässt. Die Musik soll gegen den Strich gebürstet sein. Sie soll wachrütteln und anecken.
Gab es bei der Umsetzung des Films einen besonders herausfordernden Moment?
Im Buch gab es fünf lange Wahlgänge und diese wollte ich auch sehen. Es hat mich interessiert, wie die Ergebnisse gesteuert werden und wie sie sich allmählich verändern, wie die Realität Auswirkungen auf die Wahl hat. Die Wahlgänge wiederholen sich. Es wird in diesen Szenen nicht geredet und obwohl ich lange Passagen der Stille liebe, hatte ich große Bedenken, dass dieses Prozedere irgendwann langweilig wird. Nun wird die Spannung in den Szenen von den Blicken unter den Konkurrenten bestimmt, und ich empfinde das als eine der gelungensten Sequenzen. Meine Angst vor diesen Szenen hat mich dazu getrieben, sie genau zu planen, um sie unterschiedlich wirken zu lassen.
Konnten Sie sich nach dem Erfolg von „Im Wesen nichts Neues“ budgetär bei „Konklave“ austoben und so richtig aus dem Vollen schöpfen?
Ich habe den Film schon vor den Oscars gedreht. Am Sonntag, bevor ich nach Los Angeles flog, war ich damit fertig. Eigentlich hat man auch immer zu wenig Geld, egal wie hoch das Budget ist. Für die Finanziers eines Films hat dieser einen bestimmten kommerziellen Wert, da darf er auch nicht teurer werden als geplant. Es ist mir aber auch wichtig, dass ich das Geld nicht mit beiden Händen zum Fenster hinauswerfe, sondern genau weiß, was ich brauche, um die Geschichte auf der Leinwand zu erzählen.
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