Autorin Barbi Markovic war in Dornbirn zu Gast. Im großen „Krone“-Interview spricht sie über das Gruselige im Alltag und über die Macht des Humors.
„Krone“: Frau Markovic, Ihr mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnetes Buch „Mini Horror“ bietet ganz schön viel Gruselstoff. Hat das Leben für uns wirklich so viel Angstpotenzial?
Barbi Markovic: Lustig, dass sich bei der Lektüre dieses Buchs alle so wundern, wie viel Angst im Leben steckt, denn wir sind eben sterblich und richtig verletzlich – als Individuen und als Gesellschaft. Es gibt extrem viele Gründe, sich zu fürchten. Zum Glück sind wir nicht so beschaffen, dass wir permanent alle Gefahren vor Augen haben. Aber wenn man mal anfängt, dann wird jedes Glas Wasser gefährlich.
Der Horror steckt auch im Politischen. In den USA wird nun Trump wieder Präsident, in Österreich hat bei der letzten Wahl die Freiheitliche Partei groß abgeräumt, und sogar in Vorarlberg ist der Rechtsruck spürbar. Wie viel Angst macht das?
Meine Hoffnung ist, dass auf solch eine negative, düstere Phase wieder eine hoffungsfrohe, solidarische folgt. Irgendwie muss ein Momentum erschaffen werden. Es ist erschreckend, was ich jetzt sage, aber dieses Gefühl des Zusammenhalts entsteht oft nach Kriegen, wenn es alle satthaben, dass Menschen sinnlos sterben. Vielleicht geht es auch ohne, dass zuvor alles zugrunde gehen muss.
Zurück zu „Mini Horror“. Das Buch wird immer wieder mit Arbeiten von Edgar Allan Poe verglichen, es geht um das Erschreckende, das Gruselige, aber immer auch um das Plausible.
Ich habe immer Spaß daran, im ganz Gewöhnlichen Problematisches zu finden. Ich weiß nicht warum, aber den sozialen Horror darzustellen, war tröstlich für mich. Dass wir es einmal zugeben. Dass das nicht normal ist. Dass das eigentlich ein Horror ist, was wir teils täglich mitmachen oder verursachen.
Jedem Buch, das Sie schreiben, geht ein Konzept voran. Wie bauen Sie das zusammen, wie entsteht es?
Es entsteht aus der panischen Angst, dass ich am Ende nichts haben werde. Und aus Mangel an Vertrauen in meine Genialität. Ich muss mir also etwas ausdenken. Es ist jedes Mal ein bisschen anders. Ich frage mich, worüber ich schreiben will und welche formalen Möglichkeiten sich mit diesem Thema öffnen. Bei „Die verschissene Zeit“ ging es darum, sich zu erinnern, die Vergangenheit erlebbar zu machen. Da fiel mir das Rollenspiel ein, in dem sich auch andere Personen positionieren können. In meinem neuesten Buch, dem „Piksi-Buch“, arbeite ich mit dem Fußballkommentar. Ich setzte mir immer kleine Regeln, damit das nicht komplett ausufert, denn Erzählmöglichkeiten sind ja schließlich unendlich.
Wie war das bei ihrem Buch „Ausgehen“?
Ich habe damals in einem Verlagshaus gearbeitet, Urheberrechte waren ein Thema und Musikbücher waren in. Damals wurde ein DJ geklagt von Jay Z, weil er ein Mash-Up-Album gemacht hat. Ich habe mich gefragt, wie weit ich gehen könnte, ob ich auch einen Remix schreiben könnte, etwas Halbverbotenes? So habe ich mit Thomas Bernhards „Gehen“ gearbeitet. Ich habe entdeckt, dass ich tatsächlich mit seiner Stimme meine Geschichte erzählen konnte. Eigentlich war es weniger Schreiben als eine Mathematik-Aufgabe.
Ein zentrales Element in Ihrer Arbeit ist der Humor, wie setzen Sie den ein? Als Hilfsmittel, Kraftspender, Überlebenshilfe?
Humor macht das Leben bunt und ist auch nicht immer nett, brav und tröstlich. Für mich ist es ein Mittel, um zu denken, aber Humor hat nicht nur eine Funktion, ich verwende ihn sicher in mindestens sechs unterschiedlichen Richtungen.
Manche Autoren haben einen ganz fixen Tagesablauf, da wird etwa ab 4 Uhr morgens geschrieben.
Wer eigentlich, das frage ich mich?
Humor macht das Leben bunt und ist auch nicht immer nett, brav und tröstlich. Für mich ist es ein Mittel, um zu denken.
Barbi Markovic
Haruki Murakami macht das angeblich so.
Okay, wenn ich es mir leisten könnte, würde ich das auch machen. Ich träume von einem solchen Leben, denn heute zum Beispiel habe ich im Zug geschrieben, so viel ich konnte, weil es sich anders gar nicht ausgeht. Derzeit fühlt sich mein Beruf so an, als hätte ich sieben verschiedene Jobs und keiner weiß was von den anderen.
Stress?
Schon auch, aber es gibt noch andere Arten von Stress. Ich mache es ja wirklich gerne. Es geht nicht ganz ohne Probleme, aber ich hatte schon schlimmere Jobs.
Der Literaturbetrieb gerät immer wieder in die Kritik, wie stellt sich das Getriebe für Sie dar, wie fühlen Sie sich aufgehoben?
Ich habe den Vergleich mit einem noch viel schlimmeren Buchmarkt, wo man gar kein Geld verdient, nämlich mit dem serbischen. So gesehen bin ich zufrieden, sicher ist es immer wieder prekär, aber irgendwie funktioniert diese Lotterie mit Stipendien und Ähnlichem. Hin und wieder bekommt man was geschenkt. Ich habe keine Sicherheit, wie es in drei Jahren sein wird, aber ich habe nicht das Gefühl, dass die Welt mir etwas schuldet. Wenn ich nicht mehr vom Schreiben leben kann, dann werde ich sehen, wie ich überlebe. Und wenn ich nicht mehr überleben kann, dann muss ich sterben. Ich bin jedenfalls froh, dass es in Österreich Autoren- und Verlagsförderungen gibt.
In der Bildenden Kunst ist die Situation wohl noch brutaler.
Dort ist es noch schlimmer, denn in der Literatur gibt es zumindest die Buchpreisbindung, die verhindert, dass ich mich bei Millionären einschleimen muss.
Hat der Preis der Leipziger Buchmesse etwas verändert?
Ja. Es hat sich alles verdreifacht. Ich versuche, das, was sich angesammelt hat, wegzuschaufeln. Erst danach kann ich wirklich sagen, was sich in meinem Leben verändert hat. Jetzt sind es einfach mehr Mails, mehr Aufträge, mehr Reisen.
Sie meinten vorher, Sie wissen gar nicht, was in drei Jahren sein wird.
Okay, das war ein bisschen gelogen, denn ich habe mich gerade bis 2028 verpflichtet. Danach weiß ich es aber wirklich nicht mehr.
Verpflichtet für?
Theaterstücke, Bücher, Aufträge.
Wie viel kann man so schreiben in einem Jahr?
Keine Ahnung, das wird sich dann zeigen. Seit März habe ich jedenfalls zwei Bücher geschrieben. Ja, das waren panisch geschriebene Bücher, und dünn, aber das Fußballbuch ist vielleicht mein bestes bisher. Dann kam noch die Poetik-Vorlesung. Es war Chaos, aber es ging sich aus.
Geht es im „Piksi-Buch“ tatsächlich um Fußball?
Es geht eigentlich um den Zerfall von Jugoslawien. Die zehn Jahre alte Barbi Markovic ist zufällig Hauptprotagonistin, und sie verbringt ihre Kindheit im Fußballstadion: Der Mob, das brüllende Wir – und dann kommt noch der Krieg. All das wird anhand zweier Fußballspiele gezeigt, berichtet im Ton des Fußballkommentators. War sehr unterhaltsam für mich, ich schätze diese Menschen, die aus dem Nichts stundenlang Text machen können.
Geht es da nicht auch um die große Emotion?
Auch ein bisschen, aber eigentlich mache ich mich darüber lustig. Ich wollte das Buch ja gar nicht schreiben, man hat mich dazu gezwungen, es ist die Verkörperung meiner Unfähigkeit, Nein zu sagen. Das Thema ist Sozialismus versus Kapitalismus, das alte Wir gegen das neue. Die Trauer um die Beschaffenheit der Welt.
Darum scheint es ja immer noch zu gehen.
Es ist ein riesiger Bruch und ich finde, es ist eines der wichtigsten Themen der Welt. Zugehörigkeiten, Identitäten, wer führt gegen wen Krieg, wer gehört zu welchem wir? Damit kann man sich bis zum Lebensende beschäftigen, ohne fertig zu werden.
Gibt es manchmal Angstmomente, dass Ihnen irgendwann die Ideen ausgehen könnten?
Täglich dreimal, aber ich habe auch täglich dreimal neue Ideen. Ich habe kein Riesenvertrauen. Ich frage mich auch dauernd, ob meine Sachen gut oder schlecht waren. Irgendwo tief drinnen ist eine komische treibende Kraft, die nichts mit meinem Selbstbewusstsein zu tun hat. Ich habe alle Selbstzweifel dieser Welt, aber das hindert mich trotzdem nicht daran, weiterzumachen.
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