In seiner neuen Serie „Das Land des Ehrenamts“ holt Autor Robert Schneider Menschen vor den Vorhang, die sich für andere engagieren – diesmal erzählt ihm Franz Kuttelwascher von seinem Engagement für den Verein CONSOLNOW.
Bei der Begrüßung reichen wir uns nicht die Hände. Stattdessen faltet er sie vor seiner Brust und verbeugt sich, wobei er „Namaste“ flüstert, jene indische Grußformel, deren Bedeutung aus dem Sanskrit stammt und so viel wie „Verbeugung Dir“ bedeutet. Ich frage natürlich gleich neugierig, weshalb er auf diese Weise grüßt. Franz Kuttelwascher, der Obmann des Vereins CONSOLNOW, was auf Deutsch für die Abkürzung von „Konsumentensolidarität – Jetzt“ steht, antwortet nüchtern und pragmatisch. „Seit ich so grüße, bin ich nicht mehr erkältet. Ganz einfach.“
Der Verein, dem er vorsteht, wurde im Jahr 2012 von Hubert Feuerstein und sechs weiteren Mitstreitern gegründet. Ziel war und ist es, der Förderung einer gerechten, sozialen und ökologischen Wirtschaft durch bewusstes Konsumverhalten das Wort zu reden. Es geht um das Bewusstsein einer neuen Konsumkultur, die durch Solidarität unter den Konsumenten und Konsumentinnen schrittweise umgesetzt werden soll. Es geht um eine regionale und globale Förderung von Gerechtigkeit, von Frieden und der Bewahrung natürlicher Lebensgrundlagen, wie es in den Statuten des Vereins heißt.
Arbeiten gehen satt auf die Universität
Franz bietet mir gleich das Du-Wort an. Aufgewachsen ist er in Braunau. Er lächelt gequält, wenn er diesen Ort beim Namen nennt, und man ahnt, dass er sich schon viel darüber hat anhören müssen. Auch sein Familienname ist nicht alltäglich, aber stammt nicht etwa von dem Wort Kutte, sondern vom Vormagen der Kuh: Kutteln. In Braunau ist Franz zur Schule gegangen, hat die HAK absolviert und Matura gemacht, wollte studieren gehen, aber da starb sein Vater. Die Mutter stand mit vier Kindern und einem geringen Einkommen allein da. Also hieß es für ihn arbeiten gehen.
Er hat sich bei einer kleinen Werbeagentur in München beworben. „Dort war ich zuerst einmal der Depp für alles, von Botendiensten bis Kaffeekochen.“ Dann wechselte er nach Stuttgart über, wo er sich in einer anderen Werbeagentur bis zum Creative Director hochgearbeitet hat. 1994 machte er sich selbstständig und 1997, nachdem er seine Frau kennengelernt hatte, zog er nach Vorarlberg. Er ist noch immer in der Werbebranche tätig, weiß um die oft gnadenlosen Marktpraktiken genauestens Bescheid. „Heute nehme ich mir die Arroganz heraus, nur mit Kunden zusammenzuarbeiten, hinter deren Produkten ich auch wirklich stehe. Da gibt es einen Ökohändler, einen Werkzeugbauer, der sich auf langfristige, nachhaltige Produkte spezialisiert hat, ein Bio-Hotel im Kleinen Walsertal usw. Das passt zu meiner inneren Idee, die auch mit dem Verein etwas zu tun hat. Ich muss mich da nicht mehr verbiegen. Außerdem: Wenn man sich nach dreißig Jahren Selbstständigkeit die Dinge noch immer nicht aussuchen kann, hat man sowieso etwas falsch gemacht.“
Den Anstoß, über den eigenen Tellerrand zu schauen, habe ihm der Einsturz der Rana-Plaza-Textilfabrik in Bangladesch im Jahr 2013 gegeben, als über eintausend Näherinnen ums Leben kamen. Obwohl noch am Vortag bedrohliche Risse in dem achtstöckigen Gebäude festgestellt worden waren, zwangen die Fabriksbetreiber die Angestellten, ihre Arbeit aufzunehmen. Der Großbetrieb hatte in der Hauptsache Kleidung für den Export produziert. Darunter waren Marken wie Primark, Benetton oder C&A.
„Als ich die Bilder von diesem Unglück im Internet sah, empfand ich wirklich Beklemmung. Mir wurde plötzlich klar, dass wir uns viel zu wenig Gedanken darüber machen, was unser Konsumverhalten eigentlich auslöst“, erzählt Franz und wird dabei leidenschaftlich. „Wir in unserem reichen, fetten Europa konsumieren oft nur noch aus Ersatzbefriedigung. Nach dem Motto: Ich mache mich glücklich durch Konsum. Was das aber auslöst, ökologisch, die Transportwege betreffend, die unfairen Arbeitsbedingungen, darüber denken wir gar nicht nach.“
Franz Kuttelwascher fügt aber gleich hinzu: „Nicht, dass du mich falsch verstehst. Ich fühle mich nicht wie Jesus, der hier auf Erden wandelt und missionieren will. Es gibt so viele Dinge in meinem täglichen Leben, wo ich denke, das müsste nicht sein. Aber ich fahre nun gern mal Motorrad im Sommer, bin manchmal zu faul, noch einen Laden mehr in Vorarlberg zu durchstöbern, kaufe stattdessen im Internet ein. Ich bin kein Heiliger. Das sage ich bei jedem Vortrag. Auch ich bin auf dem Weg. Es sind jedoch die kleinen Schritte, die mich weiterbringen, und genau diese alternativen Schritte versuchen wir durch Vorträge und Themenschwerpunkte, die wir im Verein anbieten, den Menschen näherzubringen. Vor vierzig Jahren gab es keinen Supermarkt, der Biolebensmittel anbot. Aber irgendwann begann der eine oder die andere danach zu fragen. Und es wurden immer mehr. Heute kann es sich kein Supermarkt mehr leisten, keine Biolebensmittel anzubieten. Wer noch vor dreißig Jahren oder mehr nur mit Zug oder Bus gefahren ist, wurde fast bemitleidet. Der Arme kann sich kein Auto leisten. Das meine ich mit kleinen Schritten. Entscheiden muss immer jeder für sich selbst. Wir Konsumenten halten ja die größte Macht gegen alle Konzerne dieser Welt in unseren Händen, indem wir einfach sagen würden: Nein. Kaufe ich nicht. Brauche ich nicht. Um die Schaffung eines solchen Bewusstseins geht es in CONSOLNOW.“
Die Erde kann nicht weiter wachsen. Sie wird eben nicht größer. Und wir haben sonst nichts weit und breit.
Franz Kuttelwascher
Ich höre ihm gern zu, dem Franz, weil er so ganz untypisch, nämlich ohne erhobenen Zeigefinger von sich und seiner Arbeit erzählt. Er stellt sich als Person selbst in den Widerspruch von tatsächlicher und künstlich erzeugter Nachfrage. Mittlerweile hat der Verein über 250 Mitglieder, davon rund 40 Firmen. Franz ist in seiner zweiten Amtsperiode und hofft, dass er das noch lange machen darf und Leute motivieren kann. Und er wirkt sehr zuversichtlich: „Es ist alles mit dem Universum verknüpft. Wenn ich oben von der ISS auf die Erde blicken könnte, würde ich nur sehen, was ich eh schon weiß. Die Erde kann nicht weiter wachsen. Sie wird eben nicht größer. Und wir haben sonst nichts weit und breit.“
Beim Abschied reiche ich ihm die Hand. Ach ja, fällt mir ein, er gibt einem die Hand nicht. Aber seine kurze Verbeugung mit den vor der Brust gefalteten Händen und das geflüsterte „Namaste“ wirken auf mich genauso authentisch.
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