Ornithologe Peter Berthold erklärt, wie man Vögel wirklich füttern sollte, wie es um den Vogelbestand steht – und was gegen das Artensterben getan werden kann.
Die Zahl der heimischen Singvögel nimmt rasant ab. Der renommierte Ornithologe Peter Berthold kennt die Gründe für diese besorgniserregende Entwicklung.
„Krone“: Herr Professor Berthold, wie sieht die Situation der Singvögel in unseren Breitengraden aus?
Peter Berthold: Es steht ausgesprochen schlecht um die Vögel. Seit dem 18. Jahrhundert haben wir 80 Prozent der einstmals vorhandenen Vogelindividuen verloren. Auch die jetzige Population ist keinesfalls stabil. Mittlerweile werden sogar Allerweltsarten wie Spatzen oder Kohlmeisen in Siedlungen immer weniger. Auch Gimpel und Girlitze werden immer seltener, ihnen kommt im rasanten Tempo der Lebensraum abhanden, und auch die Nahrungssuche gestaltet sich immer schwieriger.
Was sind die Hauptgründe hierfür?
Das exzessive Verhalten der Menschen. Grünflächen werden verbaut, Felder mit Unmengen Herbiziden und Pestiziden bespritzt – damit verschwindet auch eine große Anzahl an Insekten – wir sprechen hier von einem Bestandsrückgang von fast 80 Prozent in nur 25 Jahren. Auffallend ist, dass es in Österreich nahezu zu einem Zusammenbruch der Amselpopulation gekommen ist. Schuld daran war das Usutu-Virus. Die Bestände erholen sich nur langsam. Dann kam noch das große Grünlingsterben. Auslöser dafür war der Erreger Trichomonas gallinae. Auch dem sind viele Tiere zum Opfer gefallen. Hinzu kommen noch die Auswirkungen des Klimawandels. Wenn das so weiter geht, haben wir bis zum Ende des Jahrhunderts wohl die Hälfte unserer Vogelarten verloren.
Peter Berthold (Jahrgang 1939) ist emeritierter Professor der Uni Konstanz. Bekannt wurde er durch seine wegweisenden Forschungen zum Vogelzug und zur Ökologie der Vögel. Berthold war langjähriger Leiter der Vogelwarte Radolfzell am Max-Planck-Institut für Verhaltensphysiologie. Neben wissenschaftlichen Publikationen widmet er sich der populärwissenschaftlichen Vermittlung und ist engagierter Naturschützer. Er setzt sich für die Förderung naturnaher Lebensräume und für nachhaltige Vogelschutzprojekte ein.
Autor von „Vögel füttern – aber richtig“ und „Hilfeschrei der Natur – Was wir noch tun können“
Welche Vogelarten kommen denn überhaupt noch zum Futterhäuschen?
Diejenigen, deren natürliches Verhalten es zulässt. Zu diesen zählen zum Beispiel der Haussperling sowie der Feldsperling, die vor allem noch in Dorfgemeinschaften mit Viehhaltung anzutreffen sind. Auch Meisenarten sind vertreten, davon hauptsächlich jene, die auch Gartenbrüter sind. Das sind allen voran Kohl- und Blaumeisen. Und dann gibt es natürlich noch Amseln, Rotkelchen, Zaunkönige, Grünlinge, Bergfinken, Kleiber oder Buntspechte. Elstern oder Krähen tauchen mitunter auch im Garten auf. Oder Sperber, die Jagd auf die anderen Vögel machen. Manchmal lassen sich sogar eher seltene Arten wie die Weidenmeise durch das Futter locken. Auch Eichelhäher verlassen schon mal den Wald, um sich am Futterhäuschen zu bedienen.
Wann ist der beste Zeitpunkt, um mit der Fütterung zu beginnen?
Heutzutage ist die Sommerfütterung eigentlich wichtiger als die Winterfütterung. In der kalten Jahreszeit haben die Vögel nicht viel zu tun, außer aufgeplustert im Geäst zu sitzen. Ab dem Frühjahr wird ihr Leben anstrengend. Dann gilt es früh aufzustehen, das Revier zu verteidigen, Nester zu bauen und die Jungen aufzuziehen. Dafür brauchen sie Energie. Oft finden sie jedoch nicht mehr genug Nahrung in den vom Menschen gestalteten Landschaften. Eigentlich sollten wir daher 365 Tage im Jahr Futter anbieten, um die noch bestehende Vogelpopulation zu erhalten.
Verlassen sich die Tiere dann nicht zu sehr auf das Nahrungsangebot im Futterhäuschen?
Die Gefahr besteht eigentlich nicht. Auch sehr gutes Vogelfutter reicht nicht an das heran, was die Natur normalerweise zu bieten hat. Sobald genug Nahrung in der freien Wildbahn verfügbar ist, wenden sich die Vögel von den Futterstellen in den Gärten ab.
Müssen in Zeiten der Vogelgrippe besondere Vorsichtsmaßnahmen bei der Vogelfütterung im Garten beachtet werden?
Die Vogelgrippe ist eine Geflügelkrankheit, die neben Hühnern und Puten auch Enten, Gänse, Schwäne und andere Wasservögel gefährden kann. Eine Übertragung auf Singvögel ist weltweit bisher kaum vorgekommen. Für die Tiere am Futterhaus besteht deshalb kein erhöhtes Risiko.
Der Mensch raubt den Tieren zunehmend den Lebensraum. Was können Gartenbesitzer eigentlich tun, um ihre Grünfläche in ein Biotop zu verwandeln?
Darauf gehe ich ausführlich in meinem Buch „Unsere Natur braucht Hilfe“ ein. Wer einen Garten hat, der sollte möglichst darauf achten, dass alle Pflanzenschichten, die auch in der Natur vorkommen, vertreten sind. Also am besten wären ein paar Bäume, wenn der Platz reicht, sowie beerentragende Sträucher und Stauden, die man dann auch abblühen lässt, damit die Vögel auch an die Samen kommen. Es braucht auch dringend wieder mehr von den sogenannten Unkräutern, diese enthalten Feinsämereien und sind ebenfalls eine wichtige Nahrungsquelle. Die kann man einfach neben dem Gemüsebeet wachsen lassen. Leider ist das aber immer seltener der Fall. Der Mensch schafft leergeräumte Landschaften, die kaum noch Lebensraum bieten.
Lässt sich dieser Negativtrend noch umkehren?
In der Theorie könnte man gegen diese Entwicklung noch gegenlenken, aber ob das in der Praxis möglich ist, ist genauso ungewiss wie die Frage, ob wir noch etwas gegen die rasante Klimaveränderung unternehmen können. Vor allem, wenn man bedenkt, wie unbefriedigend und ergebnislos die jüngste Weltklimakonferenz zu Ende gegangen ist.
Dann sieht es also eher düster aus für die heimische Vogelpopulation ...
Es gibt ja durchaus auch gute Ansätze. Gemeinsam mit Heinz Sielmann habe ich beispielsweise die Arbeitsgruppe „Biotopverbund Bodensee“ gegründet. Durch gezielte Maßnahmen sind in diesem Rahmen schließlich 130 Biotope geschaffen worden, und die Artenvielfalt hat sich nachweislich verdoppelt. Auch wenn das so gesehen ein Erfolg war, müssten solche Bewegungen bundesweit beziehungsweise über Länder hinweg greifen, um eine Kehrtwende zu bewirken. Bislang reichen die guten Ansätze leider nicht aus.
Darf man trotzdem noch hoffen?
Es herrschen unsichere Zeiten, die gab es natürlich immer, wenn man beispielsweise an die Pestepidemien im Mittelalter denkt oder den 30-jährigen Krieg. Sollte die Klimakatastrophe aber mit voller Wucht zuschlagen, weil wir nicht genug dagegen unternommen haben, dann wird uns alles um die Ohren fliegen, einen Vorgeschmack darauf haben wir ja bereits erhalten. Dann werden wir auch die Hälfte aller Arten verlieren. Aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
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