Lassen Sie sich vom Bandnamen nicht täuschen – oder vielleicht doch! Das Punk-Kollektiv Team Scheisse geht derzeit vor allem bei jüngeren Semestern durch die Decke und bringt den Schuss Anarchie ins Genre, der längst vergessen schien. Vor den Konzerten in Wien und Graz stellte sich die Bremer Band der „Krone“ zum Gespräch zur Verfügung.
Was ist aus dem Urgedanken des Punk eigentlich noch übriggeblieben? Wie weit lässt sich Anarchistisches in einer zunehmend kontrollierten Welt transportieren, ohne dass man über die eigene Abflachung der vermittelten Inhalte diskutieren muss? Was definiert Punk eigentlich noch? Ob das aus Musikern zwischen Erfurt und Bremen zusammengestoppelte Kollektiv Team Scheisse über solche semiphilosophischen Fragen nachdenkt, ist wahrscheinlich anzuzweifeln, aber schon der Name allein zeigt, dass man in der heutigen Empörungsgesellschaft einen – Entschuldigung - Fick darauf gibt, ob eine Social-Media-Plattform einen sperrt, weil man sich derber Kraftausdrücke bedient oder nicht. „8 Hobbies für den sozialen Abstieg“ lautete das 2020 veröffentlichte, von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommene Debütalbum. Mit dem Nachfolger „Ich habe dir Blumen von der Tanke mitgebracht (jetzt wird geküsst)“ 2021 ging es rasant in die Charts, das Drittwerk „042124192799“ zementierte den speziellen Alleinstellungsstatus der Band.
Nicht um Konventionen scheren
2023 spielten Team Scheisse das erste Mal im Wiener Flex, diesen Sommer folge ein gefeierter Auftritt beim Lido Sounds in Linz, dieser Tage füllt man sogar schon die große Halle der Wiener Arena. Auch in Österreich ist kein Ende der Popularität in Sicht, davon lässt sich die Band aber keinesfalls außer Tritt bringen. „Wir nehmen uns als Persönlichkeiten auf der Bühne alle nicht richtig ernst“, erzählen sie im Interview mit der „Krone“, „da stehen halt fünf Dullis herum, machen ein bisschen Punkrock und erzählen in lustigen Texten Quatsch. Natürlich nehmen wir manche unserer Texte ernst, aber nicht uns selbst.“ Wie wenig sich das Team Scheisse um Konventionen schert, entnimmt man auch ihren Online-Auftritten. Bewusst billige, selbst ironisierende Memes zieren die Kanäle. Die Norddeutschen besitzen eine wichtige Eigenschaft, die in dieser Gesellschaft zunehmend verlustig geht: Sie können problemlos über sich selbst lachen.
„Bei uns ist es auch egal, wenn du auf der Gitarre mal danebengreifst oder ein Lied beim Konzert in die Hose geht“, so Frontmann Timo Warkus, „das ist etwas, was Team Scheisse ausmacht. Wir haben viel Liebe zur Musik, aber wenig Ahnung. Es gibt Texte über das Tanzen im Supermarkt, über ein Panzerquartett, aber auch über die Liebe – allerdings nicht im kitschigen ,Junge trifft Mädchen‘-Stil, sondern viel pubertärer und ungezwungener.“ Die Musiker im Team Scheisse haben verschiedene Bands, Projekte und Schulen durchlaufen. Als gemeinsamer Nenner ist wichtig, dass man sich klar zur Imperfektion bekennt. „Andere machen ernstere Musik. Sie benützen Click-Tracks oder Ableton-Software und weiß der Geier, wie diese Hilfsmittel alle heißen. Wir stecken einfach das Klinkenkabel rein und los geht’s. Wir müssen nicht alles korrekt machen und das wiederum führt zu einer gewissen Entspanntheit.“
Alles für die mentale Gesundheit
Eine extrem wichtige Komponente im Kosmos von Team Scheisse ist die mentale Gesundheit. Frontmann Warkus hat schon vor geraumer Zeit ein Plenum eingeführt, in dem tagtäglich alle Sorgen, Nöte und Probleme auf den Tisch geworfen werden. „Es geht dabei nicht darum, dass jeder seine Lebensgeschichte erzählen muss, aber es geht um elementare Fragen. Wie geht es dir? Ist es gerade zu viel? Hast du Kapazitäten für mehr? Was können wir tun, dass es dir besser geht? Und können wir als Kollektiv den nächsten Schritt gehen, ohne dass eine Einzelperson auf der Strecke bleibt? Denn das darf niemals passieren.“ Was man für viel Geld in jeder Therapiestunde lernt, hat das Team Scheisse längst zum wichtigsten Prinzip erhoben: Kommunikation ist alles. „Man hört so viele Horrorgeschichten von Bands, die nach 40 Jahren in unterschiedlichen Nightlinern fahren und sich nur noch auf der Bühne begegnen. Absolut grauenhaft. So könnten wir nie weitermachen.“
Selbst im geeinten Team Scheisse gibt es immer wieder unklare Situationen, die zu Diskussionen führen. Wenn man etwa kränkelt, sich nicht gut fühlt, aber weiß, dass drei lukrative Festivalshows anstehen, wo man bei einer Absage viel Geld verlieren würde. „Das ist ein Druck, dem nicht einmal wir uns völlig entziehen können. Wir packen solche Probleme aber bei der Wurzel und diskutieren alles. So muss sich niemand allein fühlen und glauben, er müsse allein selbst entscheiden.“ Wichtig ist der Band das gesamte Drumherum. „Die Crew fährt mit uns in einem Wagen. Mir ist schon klar, dass große Bands wie Kraftklub anders touren müssen und mehrere Busse brauchen, aber ich kann mir das irgendwie schwer vorstellen. Wenn eine Show vorbei ist und wir im Bus sitzen, dann will ich mit allen ein Bier trinken und nicht räumlich getrennt sein.“ Der anhaltende Erfolg des Team Scheisse könnte dazu führen, dass man sich aus dem Kokon rausbewegen muss, in dem man sich wohlfühlt. „Wichtiger als die Frage, ob die Gage jetzt 10.000 oder eine Million Euro beträgt, ist, dass wir eine geile Zeit haben. Das steht bei uns über allem.“
Keine Lust aus Reißbrett
Über das Wachsen und Erweitern der Band macht man sich Gedanken, lässt diese Gedanken aber nicht zu sehr an sich rein. „Wir machen wohl immer dieselbe Quatschshow und das ist okay so. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir uns irgendwann für ein Konzert groß verkleiden oder die überkrasse Bühnenshow haben. Dieser Gedanke stört mich sogar. Wir machen trotzdem so weiter, wie wir es immer gemacht haben und stellen dabei unsere hässlichen Plastikpflanzen auf die Bühne. Die hat nämlich sonst niemand mit auf Tour dabei.“ Die offen zur Schau gestellte Flexibilität im realen Leben wirkt sich auch auf die Veranstalter aus. „Alle wollen immer eine Setlist von uns im Voraus haben. Woher sollen wir das wissen? Manchmal haben wir auch gar keine Zeit, uns darum zu kümmern. Wir spielen, was uns einfällt und dann ist es gut so. Wir sind Dienstleister und unsere Show gestaltet sich nicht am Reißbrett. Darauf haben wir alle keinen Bock.“
Live in Wien und Graz
Mit viel guter Laune und großen Portion Anarchismus kommt das Team Scheiße diese Woche zweimal nach Österreich. Am 28. November spielt man in der bereits seit Wochen restlos ausverkauften Arena Wien, am 29. November im Grazer ppc. Unter www.oeticket.com finden Sie die noch verfügbaren Karten und alle weiteren Informationen zu den Gigs.
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