Vor acht Monaten wurde das Gewaltschutz-Kompetenzzentrum samt Ambulanz an der Klinik Innsbruck eröffnet. Die Leiter ziehen Bilanz und sagen: „Gewalt ist nicht nur ein Schlag!“
Laut einer aktuellen Erhebung sind mehr als 26 Prozent der Patienten in den Notfallambulanzen der Klinik Innsbruck von häuslicher Gewalt betroffen. Nicht nur Frauen, aber vor allem – und zwar 70 Prozent. Das größte Krankenhaus Tirols eröffnete daher vor rund acht Monaten ein Gewaltschutz-Kompetenzzentrum samt Ambulanz, das in dieser Form österreichweit einzigartig ist. Dort erhalten Opfer neben medizinischer Hilfe auch psychosoziale Betreuung und eine fundierte Beweissicherung für den Fall einer Anzeige – die „Tiroler Krone“ berichtete.
Das Zentrum ist erschreckend gut angelaufen.
Klaus Kapelari und Thomas Beck, Leiter des Zentrums
Nun, passend zum Auftakt der weltweiten Aktion „16 Tage gegen Gewalt an Frauen“, ziehen die beiden Leiter des Zentrums, Klaus Kapelari und Thomas Beck, im Apa-Interview eine erste Bilanz. „Das Zentrum ist erschreckend gut angelaufen. Seit März dieses Jahres wurden 194 Patientinnen und Patienten betreut, darunter befanden sich 83 Kinder und Jugendliche. In Summe wurden 510 psychologische Gespräche geführt“, gibt das Duo preis.
„Hier wird nichts gemacht, was man nicht will“
Vielfach habe sich gezeigt, dass sich im Falle betroffener Kinder der Kreis weiter ziehe und es im familiären Umfeld weitere Betroffene gebe. Kapelari und Beck verraten zusätzliche Zahlen: Konkret seien in fünf von 65 Fällen häuslicher Gewalt auch Kinder involviert gewesen. In fünf von 83 Kinderschutzfällen hätte sich dahinterliegende Partnergewalt herausgestellt.
„Unter den Erwachsenen waren 70 Prozent Frauen und 30 Prozent Männer – und zwar jeglichen Alters. Eigentlich vor der Geburt bis zum Tod, wenn man etwa an Suchtproblematik bei werdenden Eltern denkt“, erläutert der ärztliche Leiter Kapelari. Prinzipiell habe man mit der Betreuung der Familien eine „Lücke“ schließen können. Und: In insgesamt 20 Fällen sei nachträglich eine polizeiliche Anzeige erfolgt.
Laut dem psychologischen Leiter Beck wolle man Betroffenen vor allem eines vermitteln: „Im Kompetenzzentrum wird nichts gemacht, was man nicht will.“ Neben einer niederschwelligen Anlaufstelle für Gewaltopfer gehe es auch um Schulung des Personals und eine dahin gehende Sensibilisierung. Es komme immer wieder vor, dass Patientinnen und Patienten mit nicht sofort zuordenbaren Symptomen in den Ambulanzen vorstellig werden – etwa eine eigentlich gesunde 34-Jährige mit Bluthochdruck. „Hier gilt es, nach dem ,Warum’ zu fragen und wachsam zu sein“, schildert Beck.
Anteil von Betroffenen psychischer Gewalt hoch
Überrascht seien die Mediziner auch wegen des vergleichsweise hohen Anteils von Betroffenen psychischer Gewalt. Dies sei auch ein wichtiger Ansatzpunkt für nötige Schulungen sowohl im medizinischen Ausbildungsbereich als auch bei weiteren Berufsgruppen wie Pädagogen. „Gewalt ist nicht nur ein Schlag“, ruft Kapelari in Erinnerung.
Für eine weitreichendere, möglichst früh ansetzende Prävention sei etwa die Einführung entsprechender Fragen im Eltern-Kind-Pass vorteilhaft. „Denn hier könnte man Belastungssituationen rasch identifizieren und dementsprechend gewisse Risiken abfangen – Stichwort ,Schütteltrauma’“, erläutert der ärztliche Leiter.
Das etablierte Codewort „Dr. Viola“ habe auch in die Klinik Innsbruck Einzug gehalten. „Dieses wird, anders als ursprünglich intendiert, nicht vorwiegend in akuten Notsituationen in Anspruch genommen, sondern um niederschwellig auf Gewalterfahrungen hinzuweisen“, sagen Kapelari und Beck. Nach einer entsprechenden Äußerung wisse das Personal ganz genau, was zu tun sei. „Rund einmal im Monat wird an der Klinik nach ,Dr. Viola’ gefragt“.
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