Lehrer an öffentlichen Wiener Schulen haben immer wieder über prekäre Zustände in den Klassenzimmern berichtet. Immer mehr Schüler werden aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse abgehängt. Neue Zahlen von Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr (NEOS) untermauern, wie gravierend das Problem mittlerweile ist.
Fast die Hälfte der Wiener Taferlklässler kann nicht ausreichend Deutsch, um dem Unterricht zu folgen. Das zeigt eine Anfrage des „Standard“ an das Büro von Wiederkehr. Von 18.722 Schülern, die mit Stichtag 1. Oktober die erste Klasse einer öffentlichen Volksschule besuchten, hatten 8342 einen „außerordentlichen Status“.
Das Problem hat tiefe Wurzeln
Das entspricht 44,6 Prozent der Erstklässler an Wiens öffentlichen Schulen. Eine bemerkenswerte Zahl. Besonders erschreckend: Die Mehrheit davon wurde in Österreich geboren (5084). Diese jungen Menschen wachsen offenbar in einem Umfeld auf, in dem sie die Sprache nicht ausreichend erlernen können.
Noch zu Beginn des Schuljahres 22/23 lag die Quote der „außerordentlichen“ Schüler – jene Personen, die dem Unterricht aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse nicht folgen können – bei rund 36 Prozent.
Fluchtkrise nur Teilaspekt der Krise
Dieser Anstieg spiegle zwar zum Teil die internationalen Krisen wieder, argumentierte Wiederkehr. Viele der Kinder, die im Zuge der Kriege in Syrien und der Ukraine als Flüchtlinge nach Wien kamen, seien als außerordentliche Schüler ins System eingetreten. Da rund 61 Prozent der Erstklässler mit „außerordentlichem Status“ in Österreich geboren wurden, erklären Fluchtbewegungen aber nur einen Teil des Phänomens.
Von den hier Geborenen besitzen 1959 die österreichische Staatsbürgerschaft, wie eine Anfrage der Wiener ÖVP an Wiederkehr zeigte. 265 wurden in der Ukraine geboren. Im Durchschnitt besuchten die 8342 außerordentlichen Schüler 2,14 Jahre den Kindergarten.
Wiener Opposition spart nicht mit Kritik
Kritik erntete Wiederkehr von der Wiener FPÖ und ÖVP. „Wiederkehr ist seit vier Jahren im Amt und hat es geschafft, das Wiener Bildungssystem endgültig in den Abgrund zu führen“, wird der Wiener FPÖ-Chef Dominik Nepp in einer Aussendung zitiert. Er forderte von Beate Meinl-Reisinger eine „Garantieerklärung“, dass „der gescheiterte NEOS-Stadtrat nicht Bildungsminister wird“.
Nepp bekräftigte weiters seine Forderungen nach einem verpflichtenden Sprachscreening für alle Kinder im vierten Lebensjahr sowie nach Sanktionen für Eltern.
ÖVP: „Hochgradig explosiv“
Für ÖVP-Bildungssprecher Harald Zierfuß sind diese Zahlen „unfassbar und hochgradig explosiv“. In sieben Bezirken liege der Wert der Erstklässler, die nicht ausreichend Deutsch können, bereits über 50 Prozent. Am höchsten gar in Wien-Margareten mit 73,8 Prozent. Dass die Mehrheit der Kinder mit schlechten Deutschkenntnissen in Österreich geboren sei, sei Beweis für das „komplette Versagen von SPÖ und NEOS im Kindergartenbereich. Die Deutschförderung in Wiens Kindergärten versagt komplett.“
Die ÖVP fordert deshalb den verpflichtenden Kindergartenbesuch für Kinder mit Deutschförderbedarf ab drei Jahren, eine Sprachstandsfeststellung aller Dreijährigen in Wien, Kindergartenförderung an Qualität der Deutschförderung im Kindergarten zu koppeln, eine Erhöhung des „Fachkraft-Kind-Schlüssel“ auf eins zu acht oder eins zu zehn, die Aufstockung der Anzahl von begleitenden Sprachförderkräften und C1-Niveau beim gesamten Kindergartenpersonal. Pädagogen sollen zudem eine Sprachförderausbildung haben müssen.
Grüne fordern Durchmischung an Schulen
Ein „Systemversagen“ orteten die Wiener Grünen. „Vizebürgermeister Wiederkehr kann sich angesichts der gravierenden Probleme nicht länger mit Mini-Maßnahmen wie Sommerdeutschkursen wegducken“, werden Bildungssprecher Felix Stadler und Bildungssprecherin Julia Malle in einer Aussendung zitiert. Sie fordern fixe Sprachförderkräfte für jeden Kindergartenstandort, der Bedarf hat. Zudem brauche es mehr Durchmischung an den Wiener Schulen.
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