Extremist in Stichwahl

Rumäniens Premier verliert und wirft das Handtuch

Außenpolitik
25.11.2024 17:56

In Rumänien stehen Politiker, Demoskopen sowie breite Teile der Gesellschaft nach der Präsidentenwahl unter Schock: Der kaum bekannte extremistische und antisemitische parteilose Kandidat Calin Georgescu hat die erste Runde gewonnen. Der favorisierte sozialdemokratische Regierungschef Marcel Ciolacu kam nur auf Platz 3 und tritt als Parteichef zurück.

Exit-Polls hatten den Premier am Wahlabend noch mit klarem Vorsprung an erster Stelle gesehen. Im Laufe der Auszählung fiel Ciolacu jedoch zurück und wurde zunächst von Georgescu und danach auch von der bürgerlichen Oppositionspolitikerin Elena Lasconi überholt. Als entscheidend erwiesen sich dabei die Stimmen der Auslandsrumänen, unter anderem in Österreich. In der Endabrechnung fehlten dem Premier nur gut 2000 Stimmen auf den zweiten Platz. Während Georgescu mit 22,95 Prozent klar den Sieg davontrug, kam Lasconi auf 19,17 Prozent oder 0,02 Prozentpunkte mehr als Ciolacu.

Der parteifreie Calin Georgescu ist de facto aus dem Nichts aufgetaucht und hat keine politische Partei hinter sich. Beobachter sind sich einig, dass es sich um eine Protestwahl gehandelt hat. (Bild: Associated Press)
Der parteifreie Calin Georgescu ist de facto aus dem Nichts aufgetaucht und hat keine politische Partei hinter sich. Beobachter sind sich einig, dass es sich um eine Protestwahl gehandelt hat.

Für die regierenden Sozialdemokraten (PSD) ist das Ausscheiden Ciolacus ein beispielloses Debakel und böses Omen vor der Parlamentswahl am kommenden Sonntag. Cioulacu sagte, dass er bis nach der Wahl Regierungschef bleiben werde. Er stand an der Spitze einer Großen Koalition mit den Liberalen (PNL), deren Chef Nicolae Ciuca bei der Wahl ebenfalls eine herbe Niederlage einstecken musste und nur 8,8 Prozent der Stimmen erreichte. Medienberichten zufolge soll Ciolacu schon in der Nacht seinen Rücktritt angeboten haben, doch soll er mit der Bekanntgabe des Schrittes bis zur Einigung auf einen geschäftsführenden Nachfolger warten. Die Stichwahl um das Präsidentenamt findet in zwei Wochen statt.

Soziologen sprechen von Protestwahl
Rumänische Soziologen sprachen in Live-Schaltungen und Wahlanalysen von einer Wutwahl der rumänischen Bürgerinnen und Bürger – das Wahlergebnis sei ein eindeutiger Protest der Wählerschaft gegenüber dem Parteiensystem im Allgemeinen und den beiden Regierungsparteien PSD und Liberale (PNL) im Besonderen, die die stetig hohe Inflation (fünf Prozent) und zunehmende Verarmung der Menschen zu verantworten hätten.

Elena Lasconi (Bild: AFP/Daniel MIHAILESCU)
Elena Lasconi

Georgescu führte Wahlkampf in sozialen Medien
Der parteifreie Georgescu sei de facto aus dem Nichts aufgetaucht, habe keine politische Partei hinter sich und im Wahlkampf stets „unter dem Radar“ agiert bzw. fast ausschließlich über soziale Netzwerke, allen voran TikTok, mittels Influencern, Podcasts und Videos um Stimmen geworben, so der Tenor. Rumänische Politologen rätseln, ob der plötzliche Höhenflug Georgescus auf „die Dummheit“ der Wählerschaft oder auf eine gezielte Einmischung Russlands vor allem in den sozialen Netzwerken zugunsten des erklärten Putin-Bewunderers zurückzuführen sei – und sehen das Land völlig unerwartet auf dem Scheideweg.

Am Wahlabend sagte Georgescu auf einer via Facebook übertragenen Pressekonferenz, das rumänische Volk sei „zum Bewusstsein erwacht“ und habe seinen Willen bekundet, „nicht weiter auf Knien, nicht weiter unter Invasion, nicht weiter erniedrigt“ zu bleiben. Wirtschaftliche Unsicherheit habe zu diesem Votum geführt. „Heute Abend hat das rumänische Volk ,Frieden‘ gerufen“, fügte Georgescu hinzu – wohl mit Blick auf Russlands Angriffskrieg auf die benachbarte Ukraine. Der als Viertplatzierter mit 14 Prozent der Stimmen ausgeschiedene Bewerber George Simion von der rechtsextremen Parlamentspartei AUR kündigte an, Georgescu in der Stichwahl zu unterstützen.

Georgescu ließ sich für einen Sozial-Media-Beitrag beim Wählen filmen:

Extremist, Antisemit, Putin-Bewunderer
Calin Georgescu, ein studierter Agronom, stand zunächst 2022 kurz im Rampenlicht, als die rechtsnationale AUR ihm das Amt eines Ehrenvorsitzenden der Partei anbot. Doch zerstritt sich AUR-Chef George Simion wenig später mit dem 62-Jährigen, nachdem sich Georgescus Parolen selbst für AUR-Rechtspopulisten als zu radikal erwiesen – so hatte Georgescu mit Lobliedern auf die Hauptverantwortlichen des rumänischen Holocaust, Marschall Ion Antonescu und der Führer der faschistischen „Eisernen Garde“ Corneliu Zelea-Codreanu für einen Eklat sondergleichen gesorgt. Die Generalstaatsanwaltschaft leitete anschließend auch strafrechtliche Ermittlungen gegen ihn ein.

Russische Medien bejubeln Georgescus Sieg
Georgescu setzt auf eine mystisch-religiöse Rhetorik, wobei er sich selbst nicht als „Kandidaten“, sondern als einen „Berufenen“ erachtet. „Einer für alle und alle für Gott“, sagte er in einem seiner Wahlkampf-Podcasts. Er gilt als radikal extremistisch und antisemitisch, vertritt Anti-NATO-Ansichten und gilt als großer Putin-Bewunderer

In russischen Medien wird der Sieg Georgescus bejubelt. So berichtete die staatliche russische Nachrichtenagentur Ria Novosti, dass in Rumänien ein russlandfreundlicher Kandidat den Einzug in die Stichwahl um das höchste Amt in Staat geschafft habe. Georgescu wolle die Beziehungen zwischen den beiden Ländern normalisieren. Lasconi wurde von Ria Novosti als „Unterstützerin einer russlandfeindlichen Politik“ beschrieben. Auch die Nachrichtenagentur TASS meldete, dass Georgescu eine „Normalisierung“ der Beziehungen seines Landes zu Russland anstrebe und äußerst skeptisch in puncto Rumäniens NATO-Mitgliedschaft sei.

Präsident hat bedeutende politische Befugnisse
Da Rumänien eine semipräsidentielle Republik ist, hat das Staatsoberhaupt bedeutende politische Befugnisse. Laut rumänischer Verfassung liegt die Richtlinienkompetenz in puncto Außen- sowie Verteidigungspolitik beim Staatspräsidenten, der auch oberster Befehlshaber des Heeres ist und dem Verteidigungsrat des Landes vorsteht. Der Staatspräsident vertritt Rumänien zudem sowohl auf EU-Ebene bzw. bei den Gipfeltreffen des Europäischen Rates als auch völkerrechtlich. Er gilt als Garant der Unabhängigkeit des Landes, des Rechtsstaates sowie, im Fall politischer oder sozialer Spannungen, als Mittler zwischen Behörden und Gesellschaft.

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