Trotz Zylinder-Verlust
Continental GT Speed: Fabelhafter Bentley, Boys!
Bentleys Zwölfzylinder war eine Macht. Schade drum. Doch bevor VWs Nobeltochter 2035 vollends zur Elektromarke wird, haben die Briten die neue Generation des Continental GT Speed immerhin zum stärksten Straßen-Bentley ever und zudem zum Kandidaten als World Performance Car gemacht. Mit vier Zylindern weniger. Und zwei Augen.
Im Rahmen der Testfahrten zum World Car Award in Pasadena, einem Vorort von Los Angeles, hatten wir die Gelegenheit, ihm in die zwei verbliebenen Augen zu blicken. Der Continental GT ist der erste Serien-Bentley seit den 1950er-Jahren mit Einzelscheinwerfern. Matrix, versteht sich, mit 120 LEDs.
Damit wirkt er schon im Stand schneller als bisher, weil eine LED-Leiste aus dem Leuchtelement wischt, wie wenn in einem Comicheft ein Auto ums Eck zischt. Auch sonst wirkt dieses herrliche Coupé straffer und dynamischer als bisher. Die hinteren Kotflügel sind so muskelbepackt wie zuvor, aber die ganze Heckpartie wirkt nun stimmiger, unaufdringlicher, eleganter. Ein ausfahrbarer Spoiler ist wegen des aerodynamisch geformten Kofferraumdeckels nicht notwendig.
Eleganz trifft auch auf den neuen Antrieb zu. Muskeln auch. Fast geräuschlos gleitet der Bentley elektrisch dahin, wenn nur der 190 PS starke (in der Presseinformation wird auf die kW-Angabe verzichtet!) Elektromotor arbeitet. 81 WLTP-Kilometer stecken im brutto 25,9 kWh großen Akku, bis zu 140 km/h sind möglich, solange man das Gaspedal nicht weiter als zu 75 Prozent durchdrückt. Greift der alleine 600 PS starke Vierliter-Biturbo-V8 ein, geschieht das nahtlos und bei Bedarf absolut brachial. Bis zu 782 PS fliegen einem um die Ohren, dazu ein sattes Drehmoment von 1000 Nm.
Die Kraftentfaltung ist gleichermaßen nachdrücklich wie entspannt. Vielleicht sogar noch eine Spur entspannter, sonorer und grollender als beim Zwölfender. Wie eine Raubkatze macht der GT in 3,2 Sekunden einen Satz von null auf 100 km/h, das sind zwei Zehntel weniger als früher, obwohl das Gewicht auf 2459 kg zugelegt hat. Aber es stehen ja auch 123 PS und 100 Nm mehr bereit. Die Achtgangautomatik: je nach Wunsch geschmeidig bis bissig.
Die Lenkung ist ein Traum
Die 335 km/h Höchstgeschwindigkeit konnten wir nicht ausreizen, dazu ist der Angeles Crest Highway oberhalb von Los Angeles zu kurvenreich (auch wenn sich hier selten die Polizei sehen lässt). Aber umso mehr konnte der Bentley mit seinem feinen Fahrverhalten glänzen. Vor allem mit seiner unaufgeregten sowie gefühllosen Lenkung. Die zuckt nicht nervös herum, sondern lässt die Front stoisch der Linie folgen. Ein bisschen so, wie man das von früheren Lenkungen kennt. Da werden die fast zweieinhalb Tonnen zur Nebensache (auch wenn sie nicht ganz verschwinden).
Verantwortlich für die Geschmeidigkeit auf der Straße ist das neue Zweikammer-Luftfahrwerk mit neuen Zweiventil-Stoßdämpfern, der aktiven 48-Volt-Wankstabilisierung (Bentley Dynamic Ride) und Allradlenkung.
Die Kraft geht an alle vier Räder, verteilt über ein elektronisch gesteuertes Sperrdifferenzial und Torque Vectoring (links/rechts, vorn/hinten). Außerdem war der Continental GT noch nie so gut ausbalanciert: Weil die Batterie hinter der Hinterachse sitzt, ist die Gewichtsverteilung 49:51 zugunsten der Hinterachse.
Im Sportmodus räubert der Continental GT Speed brutal ums Eck, der Allradantrieb lässt Schlupf an der Hinterachse, aber kein wirkliches Risiko zu. Comfort ist schon sehr komfortabel. Die Gentleman-Empfehlung für fabelhaftes Fahren ist der Bentley-Modus für satte Kurven Contenance. Das Leben ist hart genug und so wird’s auch auf gröberen Unebenheiten nicht ruppig.
Für gewichts- und performanceadäquate Verzögerung sorgen serienmäßig Zehnkolben-Festsättel an 420-mm-Scheiben vorne, vier Kolben an 380 mm hinten. Optional gibt’s Carbon-Keramik-Scheiben der Größe 440 bzw. 410 mm.
Einzigartiges Armaturenbrett
Bentley schafft etwas, was nicht viele Hersteller von Nobelautos zusammenbringen: einen Innenraum zu gestalten, der alles Wesentliche an Digitalitäten bietet, aber dennoch das Klassische bietet, das Autofans anspricht, nicht nur iPad-Fans. Diese kommen mit dem 12,3-Display zwar auch auf ihre Kosten, aber das „Rotating Display“ dreht auf Knopfdruck wahlweise drei Analoginstrumente oder eine leere Verlängerung des Armaturenbretts. Wie die Wechselkennzeichen an James Bonds Aston Martin.
Der Tacho ist zwar digital, zeigt aber Rundinstrumente an, es gibt überall echte Tasten statt irgendwelcher Toucheinheiten und die Orgelzügen nachempfundenen Regler für die Belüftungsdüsen sind ein Genuss für sich. Die 20-fach verstellbaren Sitze auch.
Noch ein Wort zum Laden: Das 400-Volt-System lädt mit bis zu 11 kW Wechselstrom in 2 Stunden und 45 Minuten und in den Kofferraum passen 260 Liter.
Fahrzit:
Im Vergleich zur dritten Generation sind 68 Prozent dieser vierten Generation neu. Dazu gehört der V8-Plug-in-Hybrid. So sehr der Verlust des Zwölfzylinders schmerzen mag, der neue Bentley Continental GT Speed hat einen hervorragenden Nachfolger unter der Haube. Der passt in die Zeit und trotzdem ist das ganze Auto herrlich klassisch. Und er wird von fabelhaften Bentley-Boys und -Girls in Crewe in Handarbeit gebaut. Wie auch die Cabrio-Version.
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