„Dramatische Zahlen“

Nur mehr jeder zweite Erstklässler kann Deutsch

Wien
26.11.2024 19:00

Jetzt herrscht endlich Klarheit über die Anzahl der außerordentlichen Schüler in Wien. Waren es im Juni „nur“ knapp 10.500 Kinder, sind es mittlerweile 15.613 außerordentliche Schüler in öffentlichen Wiener Volksschulen. Bei Erstklässlern sind es mittlerweile durchschnittlich 60 Prozent – von Lernen kann da keine Rede sein.

Wiens Volksschulen stehen am Rande des Kollapses. Jeder fünfte Schüler – exakt 15.613 Kinder – wird im laufenden Schuljahr als „außerordentlich“ geführt. Die Zahl dieser Kinder, die dem regulären Unterricht nicht folgen können, weil sie kaum oder gar kein Deutsch sprechen, ist seit 2020 um fast 50 Prozent explodiert.

Jedes zweite Kind kann kaum Deutsch
Das Problem ist offensichtlich: Das System ist überlastet, die Integration weitgehend gescheitert, und die Verantwortlichen schieben einander die Schuld zu. Auch Bildungsstadtrat, Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr (Neos) findet es „dramatisch“, dass bereits 45 Prozent der Wiener Taferlklassler dem Unterricht wegen Sprachdefiziten nicht folgen können.

Wiederkehr nimmt Bund in die Pflicht
Für die „unglaublich hohen Zahlen“ nimmt Wiederkehr den Bund in die Pflicht. Tatsächlich zahlt das Bildungsministerium trotz steigenden Bedarfs inzwischen nur noch halb so viel für Sprachförderung wie noch vor sechs Jahren. Auch in Tirol beispielsweise haben sich die Zahlen der außerordentlichen Schüler seither verdreifacht. Mehr als die Hälfte der Planstellen für Sprachförderung in Wien wären verwaist, wenn nicht Wien dafür zahlen oder dafür anderswo Personal abziehen würde.

Für Wiederkehr sind „in Wien zusätzliche Anstrengungen nötig, und die wird es auch geben. Aber ohne den Bund ist das nicht möglich.“ (Bild: Zwefo)
Für Wiederkehr sind „in Wien zusätzliche Anstrengungen nötig, und die wird es auch geben. Aber ohne den Bund ist das nicht möglich.“

Forderung an Verhandler
In den Verhandlungen für eine neue Bundesregierung fordert Wiederkehr dementsprechend: mehr Geld für Bildung, aber auch ein verpflichtendes zweites Kindergartenjahr sowie die Möglichkeit, Kinder mit Sprachdefiziten im Sommer zu zweiwöchigen Kursen verpflichten zu können. Wien selbst werde zum Beginn des nächsten Schuljahrs weitere 100 Sprachförderkräfte ins Feld schicken, verspricht Wiederkehr außerdem.

Schuld auch bei den Eltern
Als Grund für die explodierenden Zahlen sieht er nur zum Teil die Zuwanderung. Ebenso verantwortlich sind für ihn Spätfolgen der Pandemie – Kinder, die damals nicht im Kindergarten waren, sind nun in den Volksschulen – , aber auch viele Eltern: „Einem Kind ein Handy in den Kinderwagen zu geben, ist nicht förderlich.“

Opposition geht mit Wiederkehr hart ins Gericht
Die Opposition wiederum wirft Wiederkehr Versagen auf ganzer Linie vor – nämlich in seiner Funktion als Bindungs- und als Integrationsstadtrat. ÖVP-Bildungssprecher Harald Ziefuß: „Es herrscht Gefahr im Verzug. Es braucht Sofortmaßnahmen im vorschulischen Bereich.“ Tatsächlich stammen nämlich mehr als 50 Prozent dieser Kinder aus Österreich, viele davon besuchen Wiener Kindergärten – und können trotzdem nicht ausreichend Deutsch. Die Folgen dieses Desasters sind dramatisch: Überfüllte Klassen, überforderte Lehrer und eine fehlende Sprachbasis, die das Lernen für alle erschwert. Auch für die Schüler ohne Förderbedarf.

ÖVP-Bildungssprecher Harald Zierfuß ortet ein „Komplettversagen im Kindergartenbereich“. (Bild: ÖVP Wien)
ÖVP-Bildungssprecher Harald Zierfuß ortet ein „Komplettversagen im Kindergartenbereich“.

Manche Bezirke bereits bei über 60 Prozent
Aufgrund einer ÖVP-Anfrage weiß man auch, in welchen Bezirken besonders viele außerordentliche Erstklässler die Schulbank drücken. In sieben Bezirken liegt dieser Wert bereits über 50 Prozent! In Margareten etwa bereits bei 73,8 Prozent (siehe Grafik).

Migration und ein System in akuter Schieflage
Alarmierend: Der Anteil der Kinder, die Deutsch nicht als Erstsprache sprechen, liegt bereits in den Kindergärten bei rund 60 Prozent. Hier setzt die Krise also bereits ein. Die Wurzel des Problems liegt auch in der fehlgeschlagenen Integration. Wien hat den höchsten Anteil an Zuwanderern Österreichs: Fast 50 Prozent der Bevölkerung haben Migrationshintergrund, zwei Drittel der Zuwanderer stammen aus Drittstaaten. Die sozialen Bedingungen dieser Familien sind häufig katastrophal: Viele Eltern haben lediglich eine Pflichtschulausbildung, verdienen schlecht und leben auf engstem Raum. Ihre Kinder starten unter denkbar schlechten Voraussetzungen ins Leben. Das geht aus dem aktuellen Bericht zur Kinder- und Jugendgesundheit der Stadt selbst hervor.

Klubobmann Maximilian Krauss befürchtet, dass es sich immer mehr Menschen in der sozialen Hängematte gemütlich machen. (Bild: Martin Jöchl)
Klubobmann Maximilian Krauss befürchtet, dass es sich immer mehr Menschen in der sozialen Hängematte gemütlich machen.

Sind die jungen Erwachsenen bereits verloren?
Das setzt eine fatale Spirale in Gang: Sprachdefizite verhindern Bildungserfolg, schlechte Bildung führt zu geringen Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Schon jetzt ist die Rate der sogenannten NEETs (Jugendliche ohne Ausbildung oder Beschäftigung) bei Migranten aus Drittstaaten mit 28 Prozent alarmierend hoch. Zum Vergleich: Der relative Anteil der NEETs an allen Jugendlichen und jungen Erwachsenen zwischen 15 und 24 Jahren lag im Zeitraum 2019 bis 2022 bei 10,9 Prozent. Bei der FPÖ lässt das die Alarmglocken schrillen. Klubobmann Maximilian Krauss: „Die von der Stadt veröffentlichten Zahlen belegen, wovor wir seit Jahren warnen: 28 Prozent von jungen Menschen aus Drittstaaten stehen weder in einem Ausbildungs- noch Arbeitsverhältnis, haben gerade einmal die Pflichtschule abgeschlossen und leben allein von den Leistungen der Steuerzahler.“

Wie lange funktioniert das System noch?
Ein Lichtblick laut Bericht: Günstig auf die zukünftige Bildungs- beziehungsweise Beschäftigungslaufbahn wirkt sich bei jungen, ehemals Drittstaatsangehörigen jedoch aus, wenn sie in Österreich die Schule besuchen beziehungsweise besucht haben. Angesichts der permanent steigenden Zahl an außerordentlichen Schülern, ist die Frage, wie lange diese Aussage noch Gültigkeit hat. Das Bildungssystem steht laut Experten auf der Kippe. Ohne drastische Maßnahmen drohe eine verlorene Generation, die weder die Sprache noch die Chancen für ein selbstbestimmtes Leben hat.

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