„Krone“-Interview

Faithless: „Das Vermächtnis von Maxi hochhalten“

Musik
28.11.2024 09:00

Zwei Jahre nach dem Tod von Sänger Maxi Jazz und acht Jahre nach der letzten großen Tour sind die Trip-Hop-/Elektronik-Legenden Faithless in adaptierter Besetzung wieder unterwegs. Bandchefin Sister Bliss erzählte der „Krone“ im Interview vom Schmerz des Verlustes, den Zuspruch der Fans und wie das Projekt würdig in die Zukunft geführt werden kann.

(Bild: kmm)

Die Weihnachtszeit wird für Sister Bliss immer eine gewisse Form von Melancholie in sich tragen. Am 23. Dezember 2022 verlor Faithless-Sänger, -Stimme und -Gesicht Maxwell Fraser aka Maxi Jazz im Alter von nur 65 Jahren den langen Kampf gegen eine schwere Krankheit. Mit ihm verstarb nicht nur eine Ikone der elektronischen Musik, sondern auch ein wichtiges Sprachrohr für politische und gesellschaftskritische Themen. Als er mit Rollo Armstrong, Jamie Catto und Sister Bliss 1995 Faithless ins Leben rief, war er schon 37 Jahre und eine halbe Musikerkarriere alt. Doch erst in diesem Kollektiv wurde er zum Superstar. Schuld daran war der Ende November 1995 veröffentlichte Song „Insomnia“. Eine heute x-fach gecoverte, legendäre Progressive-House-Nummer, die knapp 30 Jahre später vielen noch immer als bester Elektronik-Track gilt und so manchem Jungspund unvergessliche Musik-Entjungferungserlebnisse auf diversen Tanzflächen bescherte.

Die große Kernfrage
Wiewohl Faithless in erster Linie immer mit „Insomnia“ in Verbindung gebracht werden, folgten über die Jahre unzählige Studioalben, Singles und grandiose Live-Auftritte. Das letzte Studiowerk „All Blessed“ ging in den Wirren der Corona-Pandemie unter, nach Maxis Ableben wusste seine gute Freundin und Live-Kumpanin Sister Bliss lange nicht, ob und wie man das Vermächtnis des Londoner Dance-/Trip-Hop-Projekts in die Zukunft tragen sollte. Anfang 2024 kündigte sie eine Live-Rückkehr an, im Juni starteten Faithless das erste Mal nach acht Jahren Pause wieder eine Tour. „Ich habe sehr lange überlegt und es war eine unheimlich harte Entscheidung, was ich mit Faithless machen soll“, erklärt Sister Bliss im Zoom-Gespräch mit der „Krone“, „ich muss aber sagen, dass die Fans immer gepusht haben. Sie wollten unsere Songs hören, sie wollten uns auf der Bühne sehen und haben mir in Nachrichten die Frage gestellt, wann es wieder losgehen würde.“ Die Kernfrage für Ayalah Bentovim, wie Sister Bliss mit bürgerlichem Namen heißt, war, wie soll eine Faithless-Show ohne Maxi funktionieren?

„Wir haben im Team sehr viel überlegt und sind dann zu einer guten Lösung gekommen. Maxi wird während der Live-Shows auf einer Videowall eingespielt, auf der Bühne gibt es unterschiedliche Stimmen und Personen, die ihn nicht ersetzen, aber seine Rolle einnehmen. Es ist kein gewöhnliches Konzert, sondern mehr eine Multimedia-Show mit Screens und einer fantastischen, siebenköpfigen Liveband. Es gibt Originalmitglieder und neue Mitstreiter. Im Endeffekt ist es ein wunderschöner Tribut an Maxi und seine Legende.“ Im Gegensatz zu gewöhnlichen Bands sind Faithless-Fans die personelle Vielseitigkeit gewohnt, schließlich hat die Band auf ihren Alben schon immer mit Gästen von Suli Breaks über Dido bis hin zu Damien Jurado gearbeitet. „Der musikalische Unterbau von Faithless war immer die Elektronik, von dort aus ging es stets in unterschiedlichste Richtungen. Garniert mit politischen, aber auch persönlichen Texten, die unsere Lebensrealität reflektiert haben.“

Adaptionsmöglichkeiten dank Trump
Neben der aktuellen Tour hat Sister Bliss über die Jahre auch ein neues Album zusammengeschraubt. Es soll „Champion Sound“ heißen, man wird Maxis Stimme noch darauf hören können, aber auch eine neue Ära für die Band öffnen. Pläne, das Album noch spät in diesem Jahr zu veröffentlichen, hat Bliss mittlerweile verworfen. „Es macht keinen Sinn. Alle drängen mit ihren Best-Of- und Weihnachtsalben auf den Markt und niemand hat mehr Lust auf eine Faithless-Scheibe. Wir probieren es dann aber 2025.“ Prinzipiell steht das Werk, doch die US-Präsidentschaftswahlen haben in Sister Bliss noch einmal den kreativen Tiger erweckt. „Eigentlich sind 90 Prozent fertig, aber die Wahl hat mich so schockiert, dass ich vielleicht noch einmal ins Studio gehe und ein paar neue Tracks nachschicke. Trump war früher mal im legendären „Studio 54“ unterwegs. Kannst du dir das vorstellen? Ich bin mir sicher, die Welt wäre ein besserer Ort, wenn man ihn einsperren und mit Faithless-Alben beschallen würde. Das wäre für ihn wahrscheinlich die reinste musikalische Folter.“

Einen Vorgeschmack auf die „neuen“ Faithless gibt etwa der unlängst veröffentlichte Song „I’m Not Alone (Rest Well Maxwell)“, der nicht nur als Hommage an Jazz verstanden wird, sondern auch anderen verstorbenen Musikern von Kurt Cobain bis Amy Winehouse gewidmet ist. „Die Idee war, den Song für die Fans zu machen“, so Sister Bliss, „es sollte kein Club-Track werden, sondern eine emotionale Botschaft an jene verstorbenen Größen, die unser aller Leben mit ihrer Kunst bereichert haben. Ich vermisse Maxi jeden Tag, er hat so viel Licht und Freude in das Leben der Leute gebracht. Er gab uns so viel Energie, Nachdenklichkeit und Weisheit. Wenn es ihm gutging, wollte er durch seine Texte immer, dass es anderen besser geht. Die pure Selbstlosigkeit. Mich hat auch die kollektive Trauer von Menschen auf Social Media beeindruckt. Ein Ort, der oft verrufen ist, aber in dieser Phase einfach nur unterstützend und schön für uns alle war. Was auch immer die Algorithmen sagen, Maxi und seine Musik hatten Seele und haben Gutes ins Leben der Menschen gebracht.“

Botschaft ist wichtiger, denn je
Sister Bliss ist stolz auf das Vermächtnis von Faithless und noch lange nicht damit fertig. „In Zeiten, wo Rassismus und Misogynie wieder salonfähiger werden, ist unsere Botschaft von Toleranz, Gemeinschaft und Liebe wichtiger denn je. Maxi ist nicht mehr physisch anwesend, aber bei den Konzerten immer noch ein elementarer Teil und ein Mitträger dieser Botschaften. Die Entertainment-Branche ist nur mehr ein Seitenstrang, uns geht es mehr denn je darum, für ein kollektiv schönes Erlebnis zu sorgen. Auf dieser Welt gibt es schon viel zu viel Angst, Bedrohung und Unwohlsein. All das hat bei einer Faithless-Show keinen Platz. Würde ich morgen tot umfallen, kann ich immerhin darauf zurückblicken, dass diese Band so vielen Menschen etwas bedeutet hat.“ Und neben dem Wien-Konzert darf man sich auch bald auf das Album freuen. „Das Kapitel ist noch nicht beendet.“

Live in Wien
Am 4. Dezember spielen Faithless im Wiener Gasometer. Unter www.ticketmaster.at gibt es noch Karten und alle weiteren Infos zum frühweihnachtlichen Konzerthighlight.

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