Jener Terror-Teenie, der Anfang November zum zweiten Mal wegen IS-Propaganda festgenommen wurde, konnte sich wegen nachlässiger Behörden und miserabler Zusammenarbeit erneut radikalisieren. Grund hierfür sei das Fehlen von Ressourcen. Die Organisation DERAD offenbart die Lücken Österreichs in ihrem Deradikalisierungskonzept.
Personen, die wegen terroristischer Aktivitäten inhaftiert sind, bleiben meist nicht dauerhaft in Haft. Große Hoffnungen werden in Deradikalisierungsmaßnahmen gesetzt, die teilweise schon während der Haft getroffen werden, um jene Betroffene wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Im Fall um den „Terror-Teenie“ – krone.at berichtete – schildert die Organisation DERAD von massiven Problemen bei ihrer Arbeit: Geld fehle an allen Ecken, die Beziehung zu Justiz und Verfassungsschutz sei schwierig, gemeldete Anzeichen einer erneuten Radikalisierung würden gänzlich ignoriert werden.
Keine Konsequenzen nach Fund von IS-Symbolen
Die Geschehnisse um den 18-jährigen Ali K. zeigen die Chronologie der Versäumnisse deutlich auf. Er sitzt wegen des Verdachts auf Verbreitung von IS-Propaganda seit drei Wochen in U-Haft – zum zweiten Mal. Geplant hatte er auch einen Anschlag im vorigen Jahr beim Wiener Hauptbahnhof, bei welchem ihn letzten Endes doch der Mut verließ.
Schon während seiner vorherigen Haft gab es Anzeichen für eine erneute Radikalisierung, wie vom Justizministerium (BMJ) gegenüber krone.at bestätigte Funde von IS-Symbolen in seiner Zelle bei seiner Inhaftierung. Das BMJ erstattete sogar eine standardmäßige Anzeige an die Staatsanwaltschaft sowie eine Meldung an die Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst. Konsequenzen? Gab es für den 18-jährigen Ali K. keine.
Seine Radikalität und Treffen mit weiteren extremistischen Personen haben wir dokumentiert und gemeldet. Wir haben nicht verstanden, weswegen er wieder auf freiem Fuß ist.
DERAD, Organisation für Extremiusmusprävention
Schon Mitte November erklärt DERAD auf Anfrage von krone.at, dass sie „nicht verstehen würden, weshalb Ali K. wieder auf freiem Fuß war“. Sieben Treffen fanden mit dem damals noch Jugendlichen von Anfang Juli bis Ende September statt. Auch eine gerichtliche Fallkonferenz habe es zur Entlassung Ali K.s in die WG für Resozialisierung gegeben. Trotz der Vermeldung über Ali K.s erneute Radikalisierung wurde er in die Wohngemeinschaft WOBES für Resozialisierung entlassen.
DERAD beklagt unsichere finanzielle Lage
Und nicht nur die Beziehung zu Justiz und Verfassungsschutz sei schwierig, auch sei die finanzielle Lage sehr unsicher, wie ein Vorstandsmitglied von DERAD erklärt. Einen langfristigen Vertrag gebe es trotz entsprechender Ankündigungen nicht, damit rechnet er auch nicht mehr: „Ich glaube, das wird sich verschleppen und immer schlechter werden“.
Denn alle Leistungen, die DERAD erbringt, werden auf Honorarbasis abgerechnet. Dazu zählen neben der Betreuung von Personen, die etwa wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung in (U-)Haft sitzen – wie der 18-jährige Ali K. – auch jene auf freiwilliger Basis, etwa wenn Pädagogen oder Eltern sich an den Verein wenden. Eine Grundfinanzierung Sei ebenfalls nicht vorhanden. In Wien wird vom Justizministerium ein Zwei-Zimmer-Büro bezahlt, in den Bundesländern sei man auf die Hilfe von anderen, nahestehenden Organisationen angewiesen, um Kliententreffen nicht im Kaffeehaus abhalten zu müssen.
Aus dem Justizministerium heißt es, dass rund 80 Prozent der Leistungen von DERAD in Haft erbracht werden, 20 Prozent betreffen Leistungen und Gespräche während der Probezeit nach bedingter Entlassung. Und weiter: „Betreffend den allgemeinen Zukauf externer Deradikalisierungsleistungen, soweit diese über das Leistungsportfolio der vollzugsinternen Fachdienste erforderlich sind, befindet sich eine Ausschreibung der Leistungen über die Bundesbeschaffung GmbH in Vorbereitung, um langfristig die Finanzierung sowie die Qualitätsstandards sicherzustellen.“ Heißt übersetzt: DERAD kann vermutlich lange auf eine langfristige finanzielle Unterstützung hoffen.
Ich glaube, das wird sich verschleppen und immer schlechter werden.
DERAD-Vorstandsmitglied bezüglich eines langfristigen Vertrags mit den Behörden
Was tatsächlich bezahlt werde, hänge von der jeweiligen Justizanstalt bzw. dem Richter ab, so DERAD. In einigen Justizanstalten werde nur die Zeit des Gesprächs mit dem Klienten zur Arbeitszeit gerechnet, Fahrtweg oder Vorbereitung nicht. Auch würde die „Nachbetreuung“ durch DERAD von einigen Richtern nicht übernommen. Denn dann würden die Mitarbeiter Einheiten ehrenamtlich ableisten.
Keine Zusammenarbeit mit DSN
Auch die Beziehung zum Verfassungsschutz könnte aus Sicht des Deradikalisierer-Vereins besser sein. Während früher Beamte des Bundesamts für Verfassungsschutz regelmäßig an DERAD-Seminaren teilnahmen, gibt es mit der neuen DSN keine solche Zusammenarbeit mehr. Das Innenministerium bestätigt, dass „DERAD nur im BNED (Bundesweites Netzwerk Extremismusprävention und Deradikalisierung) vertreten ist und sonst nur bei Anfrage der Justizbehörden einbezogen wird“. Was gut funktioniere, sei hingegen die Zusammenarbeit mit dem Landesamt Staatsschutz und Extremismusbekämpfung in Wien.
Dass DERAD überhaupt Kenntnis über sein erneutes radikales Gedankengut erhielt, sei nur der Fall gewesen, weil „der Klient inzwischen zu DERAD ein größeres Vertrauen zu haben scheint“, hält der Verein in einem Bericht fest. Das zeige sich etwa dadurch, dass er seinem Betreuer von „nebensächlichen“ Dingen und den Verfehlungen von Personen aus seinem Freundeskreis berichtet habe.
Handeln die Behörden fahrlässig?
Die finanzielle Situation von DERAD bleibt prekär. Trotz der Kritik an der mangelnden Finanzierung, die bereits nach dem Attentat im November 2020 laut wurde, scheint sich die Lage nicht verbessert zu haben. Bis zur Veröffentlichung dieses Artikels reagierte die Medienstelle des Landesgerichts für Strafsachen Wien nicht auf die Anfrage von krone.at bezüglich einer Stellungnahme.
Ob die Behörden hier fahrlässig agieren oder gar die Risiken unterschätzen, bleibt im Hinblick auf die Nachhaltigkeit von Deradikalisierungsarbeit fraglich. Denn was nützt die Zusammenarbeit zahlreicher Behörden, wenn am Ende doch nicht alle an einem Strang ziehen? Das schafft den Nährboden für weitere Attentate.
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