Die Flucht eines terrorverdächtigen Untersuchungshäftlings bei einer Spitalsbehandlung löste am 2. Februar in Wien einen Großalarm aus. Jenem Justizwachebeamten, der den 19-Jährigen damals zur Untersuchung begleitet hat, war der Vorfall dermaßen peinlich, dass er ihn falsch zu Protokoll brachte – weswegen er am Freitag wegen Verleumdung und Missbrauch der Amtsgewalt vor einem Schöffengericht landete.
Dass Prozessbeobachtern Angeklagte leidtun, ist selten. In diesem Fall kommt im Saal aber Mitgefühl auf. Der geknickt wirkende 47-jährige Wiener sagt schon in einem der ersten Sätze, dass es ihm seit dem Vorfall gar nicht gut gehe, er mittlerweile deshalb auch in Behandlung sei.
Aufgrund der Erkrankung keine Handschellen
Jeden Tag denke er an den 2. Februar: „Nach fast 20 Jahren im Dienst passiert mit so etwas“, seufzt er bedrückt. Seit 2005 ist der Mann Justizwachebeamter, mehrere Jahre als solcher bereits im Spital der Barmherzigen Brüder in der Leopoldstadt tätig. „Der Oberarzt hat angeordnet, den Häftling nicht geschlossen, also ohne Handschellen, in die untersuchende Abteilung zu bringen. Aufgrund seiner Erkrankung bestand bei Sturz Lebensgefahr.“
Also brachte er den Untersuchungshäftling, der mit Pyjama und Badeschlapfen bekleidet war, ungesichert in die Neurologie: „Alles war problemlos. Bis wir bei der Rückkehr in den Aufzug einstiegen. Ich habe mich kurz weggedreht, um zu drücken. In dem Moment, als die Tür zuging, ist der Insasse leider durchgeschlüpft und losgerannt.“
Der 19-Jährige, gegen den Terrorverdacht bestand, türmte und konnte nach einer Großfahndung erst am nächsten Tag wieder festgenommen werden.
Justizwachebeamter ist ein sehr anstrengender, belastender Job.
Richter Mathias Funk bringt gewisses Verständnis für den Angeklagten auf.
Schlag aus Schamgefühl erfunden
Warum der 47-jährige Justizwachebeamte sich am Freitag wegen Missbrauch der Amtsgewalt und Verleumdung verantworten muss, ist aber nicht der Flucht geschuldet, sondern seiner Meldung, die er am 26. Februar zu dem Vorfall verfasst hat. Darin gab er an, dass er von dem Häftling mit der Faust einen Schlag auf die Stirn versetzt bekommen hat und es deshalb zur Flucht kommen konnte. „Ich hab fälschlicherweise angegeben, dass mich der Insasse attackiert hat. Aus Schamgefühl“, ist der Beamte reumütig geständig.
Tatsächlich hat er sich die Verletzung am Kopf zugefügt, als er dem Flüchtenden nachgelaufen ist. „Da hab ich mich an der Aufzugstür angehaut.“
Verfahren wird eingestellt
Ein Video, das im Prozess vorgeführt wird, zeigt die gewaltlosen, aber spektakulären, Fluchtszenen. „Justizwachebeamter ist ein sehr anstrengender, belastender Job“, bringt Richter Mathias Funk gewisses Verständnis auf und schlägt dem Angeklagten eine Diversion in Form einer Geldbuße in der Höhe von 4000 Euro vor. Dafür wird das Verfahren eingestellt. Der Wiener, dem noch ein Disziplinarverfahren bevorsteht, nimmt an.
Der 19-Jährige ist in der Zwischenzeit am 9. Oktober in Wiener Neustadt rechtskräftig wegen Mitgliedschaft einer kriminellen Organisation und einer terroristischen Vereinigung verurteilt worden. Er verbringt gerade eine fünfjährige Haftstrafe.
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