Er lernt vom Original

Innovativer Rattenroboter begeistert Forscher

Digital
06.12.2024 09:18

Einen einer Ratte nachempfundenen Roboter, der Verhaltensmuster lebender „Artgenossen“ erlernt, stellt ein chinesisch-deutsches Forschungsteam im Fachmagazin „Nature Machine Intelligence“ vor. Das „SMuRo“-System kann eine halbe Stunde lang mit Ratten interagieren, stupst sie mit der Nase an und zeigt andere arttypische Verhaltensmuster.

Für den Grazer Forscher Thomas Schmickl ist die Arbeit aus verschiedenen Gründen bemerkenswert, wie er in einem Kommentar schreibt.

Die Idee, zum Beispiel mit Robotern, die sich möglichst selbstverständlich in eine Gruppe einfügen, Verhaltensforschung zu betreiben, Tiergruppen gewissermaßen zu lenken oder neue Erkenntnisse über die Interaktion zwischen Tieren, Menschen und Künstliche Intelligenz(KI)-Systemen zu gewinnen, ist für viele Forscherinnen und Forscher verlockend. Dass sich solche Systeme aber tatsächlich mehr oder weniger authentisch verhalten, gewissermaßen von ihren lebenden Vorbildern akzeptiert werden und bei ihnen Reaktionen hervorrufen, ist technisch sehr schwer umzusetzen, wie das Team um Qing Shi vom Beijing Institute of Technology (China) in seiner Arbeit schreibt. Gelingt dies, hätte man es mit einem „biokompatiblen“ oder „bioeffektiven“ Roboter zu tun, wie der Leiter des „Artificial Life Lab“ an der Universität Graz, Thomas Schmickl, in einem Perspektivenartikel zu der Publikation erklärt.

„SMuRo“-System lernt durch Beobachtung
Die chinesischen Wissenschaftler haben nun einen optisch an eine Ratte angelehnten, flexiblen Roboter gebaut, der sich auf einem Sockel mit Rollen fortbewegt. Das erlaubt SMuRo das Nachahmen von typischen Bewegungen. Die wurden dem System aber nicht einprogrammiert, sondern werden durch das Beobachten echter Ratten erlernt. Mit Hilfe von maschinellem Lernen verarbeitet SMuRo das Gesehene und Erlebte und macht sich sozusagen seinen eigenen Reim darauf. Die Wissenschaftler, zu denen u.a. auch Zhenshan Bing und Alois Knoll von der Technischen Universität (TU) München zählen, setzten hier also auf einen Ansatz, der dem sozialen- oder Nachahmungslernen bei Menschen und Tieren nachempfunden ist.

Die Münchner Gruppe arbeitet seit Jahren an der Entwicklung von Robotern, die die Bewegungen von Mäusen möglichst authentisch umsetzen können. Seine neuro-robotische Maus (NeRmo) hat das Team mit Kollegen aus China im vergangenen Jahr im Fachblatt „Science Robotics“ vorgestellt. Das nunmehrige SMuRo-System greift diese Arbeiten zum Teil auf.

Robo-Ratte in „Verhaltensdialog“ mit echten Tieren
Durch Beobachten miteinander interagierender Ratten eignete sich der Roboter sukzessive Wissen über seine „Artgenossen“ an. Er sammelte Daten über die Raumlage der Körperteile bei den Bewegungen oder über die Art, wie sich die Tiere in einem Raum verhielten. Auf Basis dessen entwickelte das neue System quasi sein inneres Bild über Ratten weiter. Das erlaube es ihm, Bewegungsabläufe aktiv und authentisch zu imitieren. Und noch mehr: Die Aktionen des Roboters beeinflussten nachweislich das Verhalten der Ratten, die mit ihm in Kontakt standen.

Dies sei das erste Mal, dass der Zyklus des sozialen Lernens bei einem Roboter, der frei mit Tieren interagiert, nachgewiesen wurde, schreibt Schmickl. SMuRo zeige noch nie da gewesene soziale Lernfähigkeit in einem lange andauernden „Verhaltensdialog“ mit echten Ratten, so der Grazer Wissenschaftler, der kürzlich in „Science Robotics“ einen Artikel über Möglichkeiten zur Teamarbeit zwischen Robotern und Tieren in freier Wildbahn verfasst hat.

Experte: „Beeindruckender Schritt nach vorne“
Im Fall von SMuRo zeigte sich, dass das robotische Tier die für Ratten typischen Verhaltensweisen des Festhaltens, des Anspringens und den sozialen Nasenkontakt erlernte und so einsetzte, dass sein Gegenüber etwa zu mehr Erkundungsverhalten motivierte und deren Neugierde förderte. Hielt der Roboter die Tiere vermehrt fest, gaben sie mehr negative Lautäußerungen von sich, während vermehrtes Anspringen und Nasenkontakt positive Rückmeldungen mit sich brachte.

Für Schmickl ist „ein autonomer Roboter, der in so langen und komplexen Interaktionsmustern“ zurechtkommt, ein „beeindruckender Schritt nach vorne“ – vor allem, wenn man bedenkt, wie gnadenlos Tiere eine schlechte Imitation ihrer selbst ablehnen: „Es wird interessant, zu sehen, wo uns die Türe noch hinführt, die SMuRo geöffnet hat.“ Derartige „biohybride Systeme“, wie es die Studienautoren ausdrücken, könnten künftig dabei helfen, „komplexe Wechselwirkungen zwischen Sinneswahrnehmung, Verhaltensentscheidungen und inneren Zuständen“ zu verstehen und Rückschlüsse auf die dahinterliegenden Gehirnfunktionen zu ziehen. Schließlich könnte man damit auch Interaktionen zwischen Menschen und KI-Systemen besser gestalten, so das Team um Qing Shi.

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