Schwere Krise
Frankreich kämpft mit extremer Neuverschuldung
Nach dem Regierungssturz in Paris versucht Frankreichs Präsident Emmanuel Macron die Sorge vor einer Lähmung des Landes und einer finanziellen Krise zu zerstreuen.
Ein neuer Premier werde zügig ernannt, angesichts des abgewiesenen Sparhaushalts eine Überbrückungslösung bis Mitte Dezember festgezurrt und dann Anfang 2025 ein neuer Haushalt verabschiedet, betonte Macron. Reicht seine Ansage, um eine handfeste Krise von Frankreich mit Auswirkungen auch auf die EU abzuwenden?
Wie kritisch ist die Finanzlage Frankreichs?
Im Streit um den Haushalt 2025 geht es um die Frage, wie man die stark steigende Neuverschuldung unter Kontrolle bringen kann. Der zurückgetretene Premierminister Michel Barnier hatte davor gewarnt, dass das Haushaltsdefizit auf über sieben Prozent im kommenden Jahr steigen könnte. Dies wäre mehr als doppelt so viel, wie es der Vertrag von Maastricht vorsieht. Die Staatsschuldenquote lag Ende 2023 bei rund 110 Prozent. Dies ist der dritthöchste Wert nach Griechenland und Italien. Insgesamt liegt Frankreichs Schuldenberg bei rund 3,2 Billionen Euro und ist in absoluten Zahlen der höchste in Europa.
Wie geht es weiter?
Barnier hatte einen Mix aus geringeren Ausgaben und höheren Einnahmen in einem Volumen von 60 Milliarden Euro vorgeschlagen. Dazu wird es jetzt zunächst nicht kommen. Aber auch ein künftiger Premier wird nicht an der Haushaltskonsolidierung vorbeikommen. Es droht ein Defizitverfahren der EU-Kommission. Die Verabschiedung eines Haushalts dürfte schwierig werden. Denn die Parteien der politischen Mitte haben keine Mehrheit.
Welche Bedeutung hat die Krise in Frankreich für die EU und Deutschland?Frankreich ist die zweitgrößte Volkswirtschaft der Eurozone nach Deutschland. Mit der Regierungskrise in Frankreich stehen beide Länder ohne eine voll handlungsfähige Regierung da. Dies schränkt die Handlungsfähigkeit der EU ein. Dabei droht mit dem Amtsantritt von Donald Trump in den USA auch noch ein Handelskonflikt und eine Kehrtwende in der Ukrainepolitik.
Wie blicken die Finanzmärkte auf den Rücktritt der Regierung?
Barnier hatte vor der Abstimmung über das Misstrauensvotum vor schweren Turbulenzen gewarnt, sollten die Haushaltspläne und seine Regierung scheitern. Die Reaktionen an den Finanzmärkten waren allerdings zurückhaltend. Nach dem erfolgreichen Misstrauensvotum in der Nationalversammlung sind die Risikoaufschläge für französische Staatsanleihen sogar gefallen. Zuvor waren die Renditen für französische Staatspapiere aber gestiegen und hatten erstmals seit dem Bestehen der Eurozone zeitweise das Niveau Griechenlands erreicht.
„Die Marktteilnehmer runzeln die Stirn über Frankreich, wenden sich aber nicht ab“, kommentierte der Chefvolkswirt der Dekabank, Ulrich Kater. „Dahinter steht die Erwartung, dass die zweitgrößte Volkswirtschaft des Euroraums bei allen inneren politischen Differenzen eine Perspektive zur Konsolidierung des Haushalts vorlegen wird.“ Dies gelte insbesondere dann, wenn die Finanzmärkte deutliche Stresssignale aussenden sollten.
Die Marktteilnehmer runzeln die Stirn über Frankreich, wenden sich aber nicht ab.
Chefvolkswirt Ulrich Kater
Sind Vergleiche mit der Krise in Griechenland 2010-2012 gerechtfertigt?
Die Griechenland-Vergleiche haben sich zuletzt gehäuft. Diese hinken jedoch. So hat Frankreich eine starke Wirtschaft und funktionierende Institutionen. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) erwartet in Frankreich in diesem Jahr ein Wirtschaftswachstum von 1,1 Prozent. Für Deutschland wird lediglich eine Stagnation prognostiziert. Die Zinsen, die Frankreich an den Kapitalmärkten bezahlen muss, sind immer noch deutlich niedriger als in Griechenland zur Zeit der Eurokrise.
„Wir gehen nicht davon aus, dass der französische Schlamassel etwas Ähnliches wie die Euro-Vertrauenskrise von 2010-2012 auslösen wird“, kommentierte der Chefvolkswirt der Berenberg Bank, Holger Schmieding. Diskussionen über ein Verlassen der Eurozone erwartet er nicht. „Europa hat die Lektion des Brexits gelernt.“ Selbst Marine Le Pen wolle nicht mehr aus dem Euro oder der EU austreten.
Welche Gefahren drohen dennoch?
Die Ratingagenturen könnten die Kreditwürdigkeit Frankreichs weiter herabstufen. Dies dürfte die Schuldenaufnahme weiter verteuern. „Dieses Ereignis ist schlecht für die Kreditwürdigkeit“, teilte die Ratingagentur Moody‘s mit und bezog sich auf die Abwahl der Regierung in Paris. Zudem sind in Frankreich auch auf mittlere Sicht keine stabilen politischen Verhältnisse in Sicht. Daher könnte die politische Unsicherheit auch die Investitionen der Unternehmen belasten. Schließlich ist unklar, wie die künftige Steuergesetzgebung aussieht.
Wie könnte die EZB auf eine mögliche Verschärfung der Krise reagieren?
Die Europäische Zentralbank (EZB) verfügt im Gegensatz zur Staatsschuldenkrise der Jahre 2011 und 2012 über wirksame Instrumente. Mit dem in der Eurokrise aufgelegten Anleihekaufprogramm TPI könnte sie im Krisenfall Anleihen einzelner Euro-Staaten in unbegrenztem Umfang kaufen. „Alleine die Tatsache, dass die EZB einschreiten kann, dürfte ein Überschwappen auf andere Staaten verhindern und auch die französischen Renditeaufschläge nicht in jene Höhen treiben, die im Jahr 2011 zu vermelden waren“, kommentierte der Chefvolkswirt der VP Bank, Thomas Gitzel. „Die Nervosität dürfte vorerst hoch bleiben, aber es ist mit keiner neuerlichen Euro-Krise zu rechnen – die Schutzschilde der EZB sind hierfür zu mächtig.“
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