Einstürzende Neubauten, Nick Cave And The Bad Seeds oder jetzt mit Teho Teardo – Blixa Bargeld ist das, was man eine lebende Legende nennt. Im Zuge seines Auftritts unlängst im Wiener WUK sprach er mit der „Krone“ über zeitloses Songwriting, seine Song-Contest-Bestrebungen und warum er an Showtagen nicht so gerne Bergwandern geht.
„Krone“: Blixa, das Konzert mit Teho Teardo im Wiener WUK hätte ursprünglich schon voriges Jahr stattfinden sollen und wurde jetzt endlich nachgeholt. Dazwischen habt ihr das neue gemeinsame Album „Christian & Mauro“ veröffentlicht, auf das ihr nun den Fokus gelegt habt.
Blixa Bargeld: Angefangen haben wir damit schon 2018, nach der Pandemie haben wir es fertiggestellt. Warum es acht Jahre zwischen „Nerissimo“ und dem neuen Album gedauert hat, muss ich wohl nicht sagen. Als wir damit anfingen, dachte ich noch, der Brexit wäre die größte Katastrophe. Wie klein sieht das jetzt aus? Dann kam die Pandemie, der Ukraine-Krieg, der Überfall der Hamas. Das ganze Ausmaß der Katastrophen war 2018 noch gar nicht abzusehen und hat natürlich seinen Weg in die Musik gefunden. Die Bilder wurden kriegerischer, man kann es in den Metaphern lesen. Wenn man ich das Cover-Artwork ansieht, weiß man schon, wohin die Reise geht.
In einem Interview im Zuge des aktuellen Albums der Einstürzenden Neubauten wurdest du folgendermaßen zitiert: „Songschreiben ist für mich ein ständiges Heraufbeschwören von Problemen“. Das fand ich interessant, denn die meisten Songwriter schreiben Lieder, um sich die Probleme von der Seele zu schreiben.
Wie die meisten Songwriter bin ich jemand, der die Texte auf die Musik schreibt und nicht umgekehrt. Ich suche in der Musik immer eine textliche Antwort, insofern ist das erste Problem schon einmal die mir vorliegende Komposition. Es ist dann irgendetwas da, mit dem ich mich auseinandersetzen muss. Was höre ich darin? Welches Potenzial eröffnet sich mir? Was kann ich eventuell gestalten? „Starkregen“ war die erste Single, die wir für das Album aufgenommen haben und dann „Dear Carlo“, die Hommage an Carlo Rovelli. Beide hatten ähnliche Texte und ich musste lange herumforschen, bis ich zu einer Lösung kam und sich eine ganz neue Tür auftat.
Das bedeutet, es gibt niemals die eine Lösung, sondern mehrere?
Ich muss immer was von mir abschütteln und das loswerden, was da war und an dem ich bereits gesägt habe. Eines der Lieblingsstücke von Teho und mir ist „I Shall Sleep Again“. Wir spielten das Stück im Studio in einer Schlaufe und ich habe dann in meinem Computer nach einem Text gesucht. Ich habe da meine ganz eigene Methode und gucke einfach mal nach, was habe ich am heutigen Tag vor 25 Jahren geschrieben? Ich fand nur diesen einen Satz und habe ihn sofort in mein Mikrofon gesprochen. Da wusste ich dann – das ist es. Es macht unglaublich viel Spaß, diesen Teil wieder und wieder zu singen. Die Strophen entstanden darauf, als ich wusste, wo es langgehen sollte. Es sind diese Gehirnschlaufen, auf die ich zurückgreifen kann. Wenn man die gefunden hat, wird alles einfacher. Ich weiß nicht, ob es anderen Liederschreibern auch so geht, aber ein Song besteht meist aus zwei Dingen, die vorher nicht miteinander verbunden waren und mir eine Türe öffnen.
Würdest du auch sagen, dass die angesprochenen Katastrophen und Probleme der Welt direkt oder indirekt zum Songwriting führen?
Immer indirekt. Als ich meine alte Freundin Amanda Ooms, die schwedische Schauspielerin, gefragt habe, ob sie das Cover machen kann, habe ich ihr zu jedem Song geschrieben, wo für mich die Metaphern liegen. Sie wusste dann, wo sie mit ihrer Collage hingehen sollte. Ich schreibe nie über irgendwas, das ist nicht in meinem Sinn. Ein Song ist vielleicht dazu da, um einen Erkenntnisgewinn zu erzielen, aber der stellt sich auch nur im Zusammenhang mit der Musik und der persönlichen Relevanz beim Hörer ein. Es ist nicht meine Intention jemanden dazu zu verleiten, dass er etwas gut oder schlecht findet. Das ist aber auch das, was zeitloser von vorübergehender Musik unterscheidet. Wenn man jetzt etwa darüber schreibt, dass die AFD verboten werden muss, ist das berechtigt und gut, aber es wird nicht ewig leben.
Hast du nicht parallel zu diesem Album am neuen Album der Einstürzenden Neubauten, „Rampen“, gearbeitet?
Nicht nur das. Auch an einem Album mit meiner Schweizer Band KiKu. Damit wollte ich ja ursprünglich für die Schweiz zum Song Contest – und nicht für Deutschland mit Stefan Raab. Als ich die Band das erste Mal fragte, wussten die nicht mal, was das ist – insofern wäre es wohl eh nicht zustande gekommen. Ich bin jetzt nicht beim ESC vertreten, hätte es aber gemacht.
Solange Stefan Raab beim Song Contest für Deutschland mitmischt, würdest du für Deutschland nicht antreten?
Nein, aber ich hatte vorher auch gar keine Aspirationen. Das Stück mit KiKu war aber meiner Ansicht nach zu gut, als dass man es nicht für den ESC machen sollte. Wir haben einen autistischen Komponisten, einen schwulen Schlagzeuger, einen schwarzen Transmann und ich als Glam-Rock-Goth aus dem Paralleluniversum. Das passt für den Bewerb doch wie die Faust aufs Auge!
2024 geht sogar als das Jahr in die Geschichte ein, in dem der ach so friedliche Song Contest seine Unschuld verlor und durch die Israel-/Palästina-Thematik gespalten wurde.
In der Schweiz haben sie sogar protestiert – umso mehr hätte es mich gefreut, das zu machen.
Diese Bestrebung entstand quasi auch aus dem Produkt und dem Zufall. Verfolgst du diesen Plan also nicht weiter?
Nein, weil es ja nie geplant war. Ich hatte den Song geschrieben und fand die Idee toll. Irgendwas müssen wir damit machen, die Platte ist auch noch gar nicht veröffentlicht. Vielleicht nimmt das alles mal ein Eigenleben an. Ganz anders als gedacht und geplant.
Die Song-Contest-Idee ist aber nicht für immer vergraben?
Nein, aber die Idee hing sehr stark von diesem Stück ab.
Kommen wir zurück zu eurem Album „Christian & Mauro“ sind eure echten Vornamen. Dieser Albumtitel deutet also auf eine ganz spezielle, persönliche Note hin.
Die Idee dazu ist schon sehr alt, die kam uns, als wir irgendwann in Italien in einem Parkhaus in einen Parkplatz einfuhren. Wir hatten sie schon vor „Nerissimo“, aber da hat sie noch nicht gepasst. Dieses Mal eigentlich auch nicht, aber Teho wollte den Titel so gerne. Ich könnte das niemals unterschreiben, dass das unsere wahren Namen sind. Mein wahrer Name ist Blixa Bargeld, aber ich fand die Konfliktsituation, die sich in diesen beiden Namen verbirgt, interessant. Christian ist christlich und Mauro kommt aus dem Nordafrikanischen. Teho hasst diesen Namen und ich drehe mich auf der Straße nicht um, wenn jemand nach Christian ruft. Uns beiden sind diese Namen fremd, aber diese Pole fand ich auch interessant. Wir haben auch bewusst mit „&“ das Et-Zeichen, auf Englisch „Ampersan“, verwendet. Bei uns lernt man noch linguistische Anekdoten.
Wenn wir diesen Gedanken weiterspinnen – gibt es irgendwo Parallelen zwischen Blixa Bargeld und Christian Emmerich, dem Prä-Blixa-Bargeld?
Parallelen kann es nicht geben, weil das zeitlich hintereinander passiert. Ich war bis 1977 Christian Emmerich, danach nicht mehr. Das habe ich in dem Moment angefangen zu zementieren, als ich es öffentlich gemacht und in meinen Ausweis eingetragen habe. Dazu gibt es eine lustige Geschichte, die mir ein Journalist in einem Interview in Berlin erzählte. Er sagte, sein Sohn sei im „Vivantes“-Krankenhaus im Berlin zur Welt gekommen und die haben ein eigenes Standesamt. Er hat seinen Sohn dort als Blixa angemeldet – und Blixa ist nicht geschlechtsdefinierend. Der Standesbeamte sagte zu ihm: „Ah, da haben wir einen ähnlichen Musikgeschmack“ und hat den Namen anstandslos eingetragen, was in Deutschland alles andere als normal ist. Normal musst du aus einem Katalog mit Vorgaben auswählen, aber in dem Moment, in dem so ein Name eingetragen ist, ist er in Deutschland offiziell. Ich habe es also zu Lebzeiten geschafft, Blixa ins deutsche Vornamensregister einzuführen. Meine Frau hat ihren Namen als Amerikanerin problemlos in Bargeld geändert, meine Tochter heißt mit Nachnamen auch Bargeld. Ich habe es also auch geschafft, dass Bargeld als Nachname erstmals existiert. Das sind meine außermusikalischen Erfolge im Namensrecht.
Darauf kann man schon stolz sein. Traditionen eines Landes räumt man normal nicht so leicht weg.
Nein, über Umwege ist da gelungen. Wenn ich meine Frau noch einmal standesamtlich in Deutschland heiraten würde, dann könnte ich auch ihren Namen annehmen und Bargeld würde in der ersten Zeile stehen und nicht nur dort, wo Künstlername steht.
Da dringt eindeutig deine Lust am Brechen von Grenzen durch. Das ist dir auch heute noch ein besonderes Anliegen?
Das geht ja nicht weg. Es fängt irgendwann in der Jugend an und bleibt dann.
Bei vielen Menschen geht so etwa im fortschreitenden Alter flöten. Da ist der Wille zur Revolution enden wollend.
Vielleicht ist das nur verschüttet.
Gibt es ein Geheimnis, wie man sich diesen Rebellionsgeist erhält?
Entschuldige, aber Menschen, die mit einem Tourbus durch die Gegend fahren, altern wesentlich langsamer. Die sitzen da drin und spielen Xbox. Also ich tue das selbst nicht, aber Rockstars altern wesentlich langsamer.
Das ist korrekt. Zum Thema Altern: Die Endlichkeit ist auf eurem neuen Album ein überbordendes Thema.
Ja, aber meine Frau hat mir verboten, mich damit weiterzubeschäftigen, also kann ich da keine weiteren Auskünfte geben. Das Thema zieht sich aber durch und „Christian & Mauro“ ist nicht das erste Album, wo es darum geht. Das war von Anfang an so und da ist auch nichts falsch daran.
Warum lässt dich deine Frau nicht darüber reden?
Vielleicht geht ihr das Thema einfach auf die Nerven.
Ist das Suchen nach neuen Inspirationen, Ideen und Texten schwieriger, wenn man über so viele Jahrzehnte schon so viel geschrieben hat?
Nein. Ich verlasse mich auf die Tatsache, dass ich jeden Tag etwas schreibe. Manchmal sind das nur ein paar Zeilen, manchmal nur eine, aber ich kann auf Zehntausende Dokumente zurückgreifen. In der Hochzeit der Pandemie verkroch ich mich mit meiner Familie in Portugal und bin mein gesamtes Archiv durchgegangen, um es zu analysieren. Ich habe alles verbunden und kann jetzt nicht nur nach Worten, sondern auch nach Themen suchen. Ich glaube, es wird auch deshalb nicht schwieriger, weil ich schon immer geschrieben habe. Das macht es für mich einfacher. Wenn ich, wie bei „I Shall Sleep“, eine Zeile gefunden habe, dann weiß ich, in welche Richtung sich der Baum ausbreiten muss. Dann allen die Zeilen dazwischen manchmal wie Puzzleteile und sitzen goldrichtig.
Es gibt den bekannten Spruch: „Das Archiv ist die Rache des Journalisten“. Ist das Archiv in deinem Fall die Muse und Inspirationsquelle des Musikers?
Den Spruch kann ich nachvollziehen, denn ich werde oft damit konfrontiert, dass sich Journalisten keine Mühe machen und das Archiv bemühen, von wo sie den ganzen Quatsch abschreiben, den Kollegen vor ihnen geschrieben haben. Da ist bei den Neubauten immer von Presslufthämmern die Rede. Wir hatten nie einen Presslufthammer, es war ein Elektrohammer – meine Güte! Für mich ist das Archiv mehr ein Vorrat. Darin finden sich Dinge, von denen ich erst mal nicht weiß, was ich damit tun soll und wo sie hin sollen, aber dann finden sie oft plötzlich einen völlig ungeahnten Weg. Meist sind es Kleinigkeiten, aber das kann sehr sinnvoll sein.
Sind diese Recherchen dann auch eine Konfrontation und ein Wiedersehen mit dem eigenen Selbst, weil man sich wieder erinnert, in welchen Gemütszuständen und mit welchen Hintergründen die Lieder geschrieben wurden?
Ja, aber meist lässt sich das davon entkoppeln. Ich bin von nichts mehr abhold, als persönliche Befindlichkeiten zu beschreiben. Das ist schrecklich und darum geht es mir überhaupt nicht. Ich muss immer etwas finden, dass auch ohne meine Person Sinn ergibt. Ich weiß jetzt nicht, ob das 100 Prozent Sinn ergibt, aber ich versuche es mal.
Geht diese Haltung nicht Hand in Hand mit dem Wunsch, zeitlose Musik zu schreiben? Dass man auch von Zeit entkoppelt sucht und zusammensetzt?
Das Zeitbehaftete riecht nach einer Weile immer etwas streng, deshalb ist mir das Zeitlose lieber.
Hat sich dein Musikverständnis über die Jahre verändert?
Würde ich nach mehr als 45 Jahren noch so tun, als wäre ich ein Amateur oder Dilettant, dann wäre ich ein schwerer Lügner. Ich kann nicht so tun, als würde ich seit 45 Jahren musizieren und hätte dabei nichts gelernt. Ich verstehe heute wesentlich mehr von Musik als 1980. Ich arbeite auch hart dafür, Teho ist ein Studierter, der das nicht nur mit Musik, sondern auch mit Film gemacht hat. Daraus entsteht dann unsere Kombination. Vor ein paar Tagen hatte ich eine kurze Konversation mit unserem Busfahrer. Er sagte, er hätte sich viel von mir auf YouTube angesehen und mich gefragt, wie man diese Musik nennt. Da musste ich selbst überlegen. Durch Teho sind wir stark in der Filmwelt verhaftet und wir verständigen uns viel über Filme. Es gibt auch so viele Filmzitate und Film spielt eine wichtige Rolle. Ein italienischer Journalist sagte mir mal, unsere Musik wäre „Film Noir“. Damit kann ich gut leben. Filme sind auf jeden Fall eine Grundlage für unsere Kommunikation.
Das Cinematische verbindet euch und führt euch zur Musik?
Wir haben da eine ähnliche Bildung und einen ähnlichen Background, darüber lässt es sich mit einem gemeinsamen Wortschatz gut verständigen. Ich bin natürlich kein akademischer Musiker, aber nicht mehr so blöd, wie ich mal war. Teho war früher sehr gut mit Ennio Morricone befreundet. Sie waren öfter zusammen essen und gemeinsam im Studio. Er war auch derjenige, der ihm sagte, er solle eine Passacaglia komponieren – ein Stück Straßenmusik. Mein Vorschlag war dann, diese Passacaglia aufzunehmen. Das war auch in Portugal, wo ich mich vor Corona versteckt habe.
Das Album ist auch sehr international ausgefallen. Es gibt viele Referenzen und Hommagen.
Im Original gibt es an die 30 Strophen und wir haben vom Original die Besten gelassen und den Rest habe ich durch deutsche Strophen ersetzt. „Bisognia Morire“ heißt „Wir werden alle sterben“. Das Stück ist aber nicht traurig, sondern gleichmacherisch. Wir werden alle gehen und der Tod macht alle gleich. Das Lied habe ich dann vollgepackt mit modernen Berufen wie Uber-Fahrer oder famous YouTuber. Schwierig war nur, dass sich am Ende alles auf „Morire“ reimen musste. Das Spiel, das Lied auch auf Deutsch weiterzuführen, hat einen Heidenspaß gemacht. Ein paar Strophen auf Italienisch, dann ein paar auf Deutsch.
Ist die große Gleichmacherei am Ende des Lebens der einzig faire Moment in unserer Existenz?
Das weiß ich nicht, aber das Bild ist auf jeden Fall alt. Wir spielen eine Passacaglia aus dem 17. Jahrhundert. Eines meiner Lieblingsbücher war diese Holzschnittsammlung von Wolfgang Hohlbein. Er war Vorbild auf dem letzten Albumcover von uns. Jedenfalls gibt es auf dieser Sammlung auch den Totentanz. Das Skelett ist der Tod und dann gibt es den Tod und den Papst, den Tod und den König, den Tod und den Advokaten, den Tod und das Kind usw. Manchmal spielt er Xylophon oder Zither und führt sie ins Grab, manchmal klammern sie sich an Geldstücke und werden weggerissen. Diese alte Idee habe ich mit neuen Berufsbezeichnungen, wie etwa den Uber-Fahrer, vermischt.
Auch da Ungleichgewicht in der Gesellschaft ist ein sehr altes Phänomen, das aber immer stärker zu auseinanderklaffen scheint.
Ich weiß nicht, ob das so ist. Zumindest ist es nicht meine Aufgabe, das zu wissen.
Macht es einen Unterschied, ob du in Deutsch, Englisch oder Italienisch singst?
Diese Poly-Lingualität ist ja fast schon mein Markenzeichen geworden. Ich ziehe das seit Beginn der 90er-Jahre durch. Es entstand damals mit der kleinen kanadischen Tanzfirma „La La La Human Steps“, die Musik von uns, also den Neubauten, wollte. Die Frage war, ob sie das nicht auf Deutsch machen könnten und so begann ich, in mehreren Sprachen zu schreiben. Da ging immer so weiter. Des Italienischen bin ich nicht so mächtig, aber es ist nicht schwer auszusprechen. Das ist nicht so wie mit Polnisch oder Finnisch. Bei einer Performance in Polen habe ich es nicht geschafft, mehr als ein oder zwei Sätze auf Polnisch zu sagen – es ist einfach zu schwierig.
Eine Blixa-Komposition, von dir im Wiener Dialekt vorgetragen, fände ich aber auch sehr interessant.
Hm, 2022 im Zuge der Neubauten-Tour haben wir in der Arena gespielt und da habe ich für die Wiener extra besonders Berlinerisch gesungen. Und wir haben das dann auch tatsächlich auf Platte gebracht.
Unterscheidet sich dein Publikum eigentlich nach Orten?
Es fällt mir immer schwer, über das Publikum zu reden, weil es aus lauter einzelnen Menschen und Individuen besteht. Da wäre eine Pauschalisierung ungerecht. Auf der Tour mit Teho wird uns viel Enthusiasmus entgegengebracht. Nach 15 Jahren sind viele Stücke in den Köpfen der Menschen angekommen und spielen eine Rolle in ihrem Leben. Sie kennen die Texte und singen mit. Sie sind glücklich, die Stücke zu hören. Das ist ein wunderschönes Feedback. Bei den letzten drei Konzerten hatten wir ein Paar, das immer in der ersten Reihe war und scheinbar bei jedem Auftritt mitsingt.
Etwas Besseres kann man sich von gesungener Musik nicht erwarten. Ich bin ja mit dem Kanon der Rockmusik aufgewachsen. Ich habe die Beatles noch als die Beatles erlebt und nicht, als sie schon aufgelöst waren. Es gibt Stücke, die können wichtig für dein Leben sein und dir unheimlich viel Kraft vermitteln. Ich glaube nicht an Musik, die dazu da ist, das Denken oder die Meinungen und Überzeugungen von Menschen zu ändern. Ich glaube an Musik, die in der Lage ist, den Menschen zu bestätigen in dem, was er ist. So ging es mir und es ist schön, dass ich es auch tun kann.
Du willst dir als hörender Mensch von Musik auch nichts einreden und aufoktroyieren lassen. Spürst du das, wenn das bei jemandem so ist?
Das spürt man meistens. Ich gebe unumwunden zu, dass ich immer ein großer Fan von Ton Steine Scherben war. Sie wurden zwar oft in die Polit-Ecke gestellt, aber für mich waren sie in erster Linie eine Rockband und in zweiter Linie eine Rockband, die Deutsch sang. Das war sehr wichtig für mich.
Ich würde Ton Steine Scherben auch eher als Band bezeichnen, die ihr eigenes Soziotop beschrieb. Wo das Politische mitschwang, aber nie der Grundsatz war. Es ging um das Leben, das Umfeld und die Erfahrungen von Rio Reiser.
Später waren Rio und ich befreundet. Die restlichen Scherben und ich sind das immer noch. Es ist fein, wenn man aus so einem Oszillationsfeld rauskommt. Ich bin Jahrgang 1959, ich habe nicht nur die Beatles, sondern auch die Rolling Stones, Velvet Underground, Kraftwerk, Can, Neu! und Ton Steine Scherben leibhaftig miterlebt. Das waren wichtige Grundbausteine, um selbst irgendwohin zu gelangen. Ich schäme mich auch keinen Deut dafür und würde all das immer zu 100 Prozent unterschreiben.
Zum Thema Krautrock-Bands. Hast du eigentlich Kontakt mit Hans-Joachim Roedelius von Cluster und Harmonia, der seit geraumer Zeit in Baden bei Wien lebt?
Ich bin in loser Verbindung. Er hat sich einmal bei mir am selben Tag gemeldet, an dem wir in Wien ein Konzert spielten und wollte eine Wanderung unternehmen. Dafür bin ich irgendwie nicht ganz so zu haben, denn, tut mir leid, jetzt ist Soundcheck und dann Konzert – da gehe ich nicht unbedingt Bergwandern.
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