10.12.2024 18:55

Machtwechsel in Syrien

„Erdogan betreibt neoosmanische Politik“

Der plötzliche Sturz des Assad-Regimes hat Syrien in einen historischen Umbruch gestürzt. Kurt Seinitz, Außenpolitikexperte der „Kronen Zeitung“, analysiert im krone.tv-Gespräch mit Jürgen Winterleitner die Ursachen des Umsturzes und die Aussichten für das Land. Dabei spielen auch internationale Akteure wie Israel oder der türkische Präsidente Recep Tayyip Erdoğan eine Rolle: „Er wird der Oberlord von Syrien, so stellt er sich das zumindest vor. Erdogan betreibt eine neoosmanische Politik“, so Seinitz.

Nach über 50 Jahren Diktatur steht Syrien an einem Wendepunkt. Der Sturz von Diktator Baschar al-Assad markiert das Ende eines der „grausamsten Regime, die man sich überhaupt vorstellen kann“, so Kurt Seinitz. Überraschend sei jedoch, wie schnell sich der Machtwechsel vollzogen habe: „Dass die Regierungssoldaten die Waffen wegwerfen und keiner mehr kämpfen will, das war doch überraschend.“

Erdoğanals treibende Kraft
Eine Schlüsselrolle im Umsturz spielt laut Seinitz der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan. „Die Türkei hat ihre schützende Hand über die Anti-Assad-Allianzen gehalten. Dann kam plötzlich der Entschluss von Erdogan: ‘Ich lasse die von der Leine. Auf nach Damaskus!‘“ Erdoğan sehe sich in einer historischen Kontinuität: „Für ihn ist das die Rückkehr zu einem historischen Boden.“

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Dass die Regierungssoldaten die Waffen wegwerfen und keiner mehr kämpfen will, das war doch überraschend.

Außenpolitik-Redakteur Seinitz

Israels militärische Angriffe
Neben der Türkei hat auch Israel die Entwicklungen in Syrien maßgeblich beeinflusst. Seinitz verweist auf die jüngsten militärischen Aktionen: „Israel führt seit Tagen schwerste Luftangriffe auf das Territorium Syriens vor. Es hat die Restbestände der Luftwaffe von Assad zerstört, die Flotte und die Giftgaslabore.“ Damit sei Syrien praktisch wehrlos: „Das erinnert an die Lage nach dem Sturz von Gaddafi in Libyen.“

Unklare Zukunftsperspektiven
Doch wie sieht die Zukunft Syriens aus? Seinitz bleibt skeptisch: „Zurzeit herrscht totale Freiheit, das kann man auch als Anarchie bezeichnen. Es fragt sich, wer sich in dieser Gruppe von Anti-Assad-Allianzen letztlich durchsetzt.“ Hoffnung könne es dennoch geben, sagt Seinitz mit Blick auf den Rebellen-Führer al-Golani: „Vielleicht geschieht ein Wunder, und der Herr al-Golani hat sich tatsächlich gemäßigt.“

Neue Debatte um Syrer in Österreich: Rückkehrpflicht oder Integration?
Auch die Auswirkungen auf Europa und die syrischen Flüchtlinge sind ein Thema. Mit dem Sturz des Assad-Regimes kommt Bewegung in die Diskussion über syrische Flüchtlinge in Österreich. Während Bundeskanzler Karl Nehammer und Innenminister Gerhard Karner (beide ÖVP) konkrete Pläne für Rückführungen vorantreiben wollen, bezeichnet die EU-Kommission Syrien weiterhin als „nicht sicheres Land“.

Doch der neue Machtführer al-Golani ruft bereits alle Syrer auf, in ihre Heimat zurückzukehren: „Euer Führer ruft euch!“, sagt Seinitz. Die Frage ist: Wird Österreich künftig syrische Staatsbürger aktiv zur Rückkehr drängen? Und was bedeutet das für die Integration jener, die bereits hier heimisch geworden sind? „Syrer sollten nicht versäumen, beim Aufbau ihrer geliebten Heimat mitzuwirken“, so Seinitz.

Neue Unruhen möglich
Abschließend warnt Seinitz vor möglichen neuen Fluchtbewegungen: „Wenn dort ein neuer Bürgerkrieg ausbricht, muss man damit rechnen.“ Die Lage bleibe jedoch unübersichtlich, und es werde sich erst in den kommenden Monaten zeigen, ob Syrien Stabilität erreichen könne.

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