„A Better Place“ (ab 13. Dezember auf Canal+) befasst sich mit der Frage, ob das Freilassen von 300 Gefangenen der Resozialisierung und dem Miteinander dient. Unter anderem spielen Maria Hofstätter und Richard Sammel („Inglourious Basterds“) intensive Rollen, die immer wieder neue Facetten zum Vorschein bringen. Sammel ging mit der „Krone“ näher ins Detail.
In der fiktiven deutschen Rheinstadt wagen Bürgermeister Amir Kaan (Steven Sowah) und Wissenschafterin Petra Schach (Maria Hofstätter) ein Experiment – durch das Resozialisierungsprogramm „Trust“ werden 300 Straftäter aus dem örtlichen Gefängnis entlassen und wieder in die Gesellschaft eingegliedert. Anfangs sind rund 70 Prozent der Bevölkerung dafür, doch das Volk ist zunehmend gespalten. Für die einen ist es ein Schlag ins Gesicht der Kriminalitätsopfer, für die anderen eine mutige Vision für eine bessere Zukunft. Zunehmend poppen Fragen auf: Wie geht es den Opfern, die mit ihren Tätern konfrontiert sind? Was passiert, wenn die Täter rückfällig werden? Sollte man die Polizeipräsenz erhöhen?
Kommunikation durch Mimik
Die Serie „A Better Place“ (ab 13. Dezember in der App von Canal+) wirft in acht Folgen ein detailliertes Auge auf unterschiedliche Schicksale und verwebt die Handlungsstränge zu einem großen Ganzen. Der deutsche Charakterdarsteller Richard Sammel spielt den verurteilten Mörder Klaus Bäumer mit besonderer Brillanz. „Bäumer ist ein Abfallprodukt der Gesellschaft“, erzählt er der „Krone“ im Interview, „er ist innerlich verkrustet und scheut die Emotionalität. Um aber Traumata verarbeiten zu können, muss man in diese Emotionalität gehen und davor scheut er sich.“ Sammel hat als Kind in der Gastwirtschaft seiner Eltern selbst einen Totschlag miterlebt und konnte sich somit gut in die Rolle einleben. „Ich musste nichts erfinden. Bäumer ist eine Figur, die vor allem über Energie kommuniziert und nicht verbal. Sehr viel geschieht durch Mimik und die Präsenz.“
Die Linzerin Hofstätter brilliert als idealistische Wissenschafterin, die das Freilassen der Gefangenen als einzig logische Konsequenz sieht und sich irgendwann in ihrer stringenten Linie vergaloppiert. „Bei Petra stecken so viele Jahre Energie, Zeit und Emotion drinnen, dass es für sie immer schwieriger wird, sich von Entscheidungen zu verabschieden und andere Dinge zuzulassen. Sie weiß, dass ihre Entscheidungen ein hohes Risikopotenzial haben, aber ist irgendwann sehr festgefahren.“ „A Better Place“ stellt nicht nur strafrechtliche, sondern auch kluge moralische Fragen. Das führt zur interessanten Situation, dass man als Zuseher keinen der Protagonisten wirklich sympathisch findet. „Man ist ständig in der Zwickmühle“, so Sammel, „weil sich das Opfer-Täter-Verhältnis immer wieder dreht. Alle Beteiligten haben beide Seiten an sich, was ja ganz menschlich ist.“
Ambivalente Figurenzeichnung
Hofstätter sieht in der ambivalenten Figurenzeichnung besonders viel Potenzial. „Das ist den Drehbuchautoren und Regisseuren wirklich gut gelungen. Die Welt ist in der Realität immer viel komplexer, als man selbst glaubt. Man muss nicht immer auf der Stelle eine Antwort auf alles haben. Zweifel zu haben und Fragen zu stellen, das ist eigentlich das Wichtigste.“ Für Sammel legt das „Trust“-Programm „die Wunden offen, aus denen es im System eitert. Man muss ein Gleichgewicht zwischen Bestrafung und Heilung schaffen.“ Die „Krone“ sprach detaillierter mit Richard Sammel
„Krone“: Herr Sammel, Sie sind daran gewöhnt, im Film- und Fernsehgeschäft Bösewichtrollen anzunehmen. Klaus Bäumer wird in „A Better Place“ als Bösewicht dargestellt, ist aber eigentlich gar nicht so finster, wie man glaubt. Macht so eine Herangehensweise einen großen Unterschied aus?
Richard Sammel: Nein, denn in meinem Lebenslauf habe ich mich immer ganz besonders um die Bösewichte gekümmert – vor allem in den vielen Nazi-Rollen. Wichtig ist, dass man die Psychologie dieser Figuren studiert, weil es ein Unterschied ist, ob man einen Dieb, einen Mörder oder einen Serienkiller spielt. Mir fiel auf, dass sich in der Regel kein Bösewicht selbst als solchen definiert. Selbst dann nicht, wenn er weiß, er hat etwas Falsches gemacht. Er findet dann Gründe, warum Dinge so oder so kamen. Man rechtfertigt immer das, was man tut und das ist bei Bäumer nicht anders. Er ist ein Abfallprodukt der Gesellschaft geworden und will gar nicht aus dem Gefängnis raus. Die einzige Lösung, wie er auf dieser Welt überleben kann, ist für ihn, sich mit Gewalt Respekt zu verschaffen und danach in Ruhe gelassen zu werden. Dadurch verkrustet man, hat keine Toleranz und wird extrem – aber das macht einen noch nicht zum Rechtsradikalen. Bäumer beging keinen Mord, sondern Totschlag und das bereut er. Nichtsdestotrotz hat er es getan und er denkt in Kategorien und Schablonen.
Das Denken in Kategorien und Schablonen sieht man auch anhand der gegenwärtigen politischen Strömungen.
Ganz genau. Die AfD in Deutschland, die FPÖ in Österreich, aber auch Frankreich, die USA und Italien bergen gerade diese Suche nach dem „starken Mann“. Sobald es im Leben schwierig wird, wählt man die Hauruck-Methode. Die ist nicht sensibel und wo gehobelt wird, da fallen Späne. Je radikaler man selbst vorgeht, umso radikaler und unsensibler wird eine Gesellschaft. Inwieweit ist die Gesellschaft dazu bereit, die schwächsten Mitglieder mitzutragen? Denn darin definiert sich eine Gesellschaft schlussendlich.
Die Figur des Klaus Bäumer ist ein gutes Beispiel dafür, dass eine verkrustete Person im Gefängnis nicht wirklich resozialisiert werden kann.
Genau, und es geht auch um die Stigmatisierung. Meine Eltern hatten eine Gastwirtschaft und da hatte ich es mit Mördern zu tun. Solang man es nicht weiß, sind sie aber ganz normale Menschen. Irgendwann kam dann raus, dass sie gemordet haben und dafür haben sie sich geschämt. Das sind meist keine Menschen, die eine Dauergefahr für die Gesellschaft darstellen, doch sollten sie wieder tätig werden, fällt das der Gesellschaft am Kopf. In der Serie kommt das gut heraus mit dem Pädophilen. Was macht man mit ihm draußen? Man kann ihn nicht dort wohnen lassen, wo in der Gegend Kinderspielplätze sind. Ich kenne die Lösung auch nicht, aber ich weiß, dass eine Demokratie und eine Gesellschaft nur so stark ist wie ihre schwächsten Glieder. Im Fall von Klaus Bäumer beginnt das „Trust“-Programm irgendwann zu greifen.
Bäumer ist der Meinung, er verdiene seine Strafe und will eigentlich gar nicht wirklich raus. Er scheut insgeheim auch die Konfrontation mit der Familie Gülen, deren Sohn durch ihn verstarb. Auch Täter haben Angst.
Verkrustete Menschen scheuen die Emotionalität. Wenn sie aber Traumata lösen wollen, dann müssen sie in diese Emotionalität gehen. Bäumer würde lieber noch fünf Jahre im Knast sitzen, als sich damit auseinanderzusetzen. Er versteht, dass er Mist gebaut hat und dafür bestraft wurde. Er versteht aber nicht, warum er jetzt plötzlich rauskommt. Was er getan hat, um das zu verdienen. Er ist ein gutes Beispiel für einen Menschen, der Toleranz benötigt. Man muss solchen Menschen Input geben und sie manchmal wie Kinder sehen, die nicht ganz gesellschaftsfähig sind. Stigmatisierung hilft da gar nichts. Bäumer wird ständig als rechtsradikaler Mörder dargestellt, aber es gibt keine einzige Szene, die auf diese Haltung bei ihm hindeuten. Ich habe mich in der Rolle strikt dagegen gewehrt.
Das spürt man auch. Diesen inneren Konflikt, den er mit sich austrägt.
Alles, was an diese Phase in seinem Leben erinnert, übertüncht er so gut wie möglich, weil er sich dafür schämt. Mord ist nur Mord, wenn man ihn absichtlich begeht, mit heimtückischen und egoistischen Motiven. Er wurde von einem Jugendlichen im Park angemacht und beschimpft. Dann artet die Situation aus und es ist irgendwann zu spät. Die Gesellschaft suggeriert ihm dann, wenn er einmal Mist gebaut hat, dann gilt das für immer und deshalb lehnt er die Gesellschaft auch ab. Die einzige, die ihn da rausholt, ist Petra Schacht mit dem „Trust“-Programm. Das kapiert er nicht, weil er so etwas noch nie erlebt hat. Insofern ist sein Nichtverstehen eigentlich ein Qualitätsmerkmal des Programms.
Nachdem Sie die Themen Mord in der Gastwirtschaft Ihrer Eltern erlebt haben, hat das Ihre Sichtweise auf diese Thematik grundlegend verändert oder geprägt?
Oft sind Sekunden im Leben entscheidend. Stell dir vor, du hast ein bisschen zu viel getrunken. Du willst eigentlich ein Taxi nehmen, fährst aber doch die paar Meter und dabei stirbt dann ein Kind. Oder einer haut dem anderen eine rein, der fällt unglücklich auf den Kopf und ist tot. Das sind Zufälligkeiten. Es gibt natürlich viele vorsätzliche Mörder und Psychopathen, aber ich habe andere Geschichten erlebt. Menschen, die durch Entscheidungen in eine Negativspirale kamen, aus der es kein Zurück mehr gab. Du bist an etwas schuld. Und wenn es nicht alle anderen wissen, du selbst weißt es immer.
Mit dieser Schuld muss man leben, bis man stirbt.
Und wenn dann Menschen kommen, die dir sagen, du bist ja gar kein Unmensch, da kannst du das nicht glauben. Weil du selbst mit dieser Schuld lebst. Ich habe sehr gut Zugang zur Rolle von Klaus Bäumer gefunden, weil ich mich mit diesem Selbsterlebten nähren konnte. Das ist gut, weil man nichts erfinden und beim Spielen der Rolle nicht zu sehr auf die Tube drücken muss. Mir hat gut gefallen, dass viele Dialoge weggestrichen wurden und ich sehr viel über die Energie, die Mimik und die Präsenz kommuniziere. Das ist nicht so einfach, denn mit Worten lässt sich viel leichter etwas darstellen. Wenn man keinen Satz hat, muss man genauer überlegen, wie man etwas übermittelt. Aber das gefällt mir auch sehr gut.
Wäre so etwas wie das „Trust“-Programm in der Realität eigentlich umsetzbar?
In einer abgeschwächten Form wurde so etwas in Skandinavien schon versucht. Damals wurde Gefangene in einer Stadt und nicht isoliert auf einer Insel freigelassen. Die Rückfallquote wurde nach unten gedrückt und die Regierung konnte das als Erfolg verbuchen. Es kostet den Steuerzahler auch viel weniger Geld, wenn man diese Menschen mit einer Wohnung unterstützt, als sie im Gefängnis zu lassen. Die meisten kriegen dann auch eine Arbeit und sind ein aktiver Teil der Wirtschaft und der Gesellschaft. Sie sind produktive Mitglieder. Alle wollen Straftäter bestrafen, aber nicht heilen. Ich denke schon, dass so ein Programm funktionieren kann, aber man muss ein Gleichgewicht herstellen zwischen der Wertschätzung der Opfer und der Wertschätzung der Gefängnisinsassen. Ich bin aber kein Spezialist, aber um die Gesellschaft zu ändern, muss über seinen Schatten springen und auch mal eigene Überzeugungen ändern. Die sind oft auch nur ein Produkt aus jener Struktur, aus der man kommt. Serienkiller, Kinderschänder und Psychopathen muss man nicht auf die freie Welt loslassen, dort ist die Gewaltbereitschaft wohl zu hoch, aber letztendlich wäre ein Gleichgewicht zwischen Bestrafung und Heilung sinnvoll. Etwa durch ein Resozialisierungsprogramm.
„A Better Place“ suggeriert zu keiner Sekunde, dass man die Lösung oder Antwort hätte. So wie auch in der Realität, wo sich Dinge nicht in Schwarz und Weiß oder A und B einteilen lassen.
In den acht Folgen verschieben sich die Rollen mehrmals und das ist toll. Man ist ständig in der Zwickmühle, weil wirklich keine Person immer sympathisch ist. Da kommt dann die Komplexität des Denkens dazu. Opfer und Täter wechseln mehrfach ihre Rollen. Man sucht immer nach einer idealen Lösung, aber das ist ein Trugschluss. Es gibt nicht die Lösung, sondern verschiedene Ansätze, wie man mit einem Problem umgehen kann. Ein Ansatz reicht vielleicht nicht aus.
Kann man „A Better Place“ fortsetzen? Gibt die Serie einen Raum für eine zweite Staffel?
Zurzeit ist nichts geplant, aber das würde ich sehr interessant finden. Etwa mit einem verbesserten „Trust“-Programm, wo man aus den Fehlern und Unzulänglichkeiten dieser ersten Variante gelernt hat. Das Programm der Serie ist dazu da, um die Wunden offenzulegen. Zu zeigen, was in der Gesellschaft entzündet ist und wo es eitert. Das Programm ist ein schöner Ansatz, aber es klappt nicht so ganz. Mich würde dann interessieren, wie man aus dem Gelernten eine zweite Variante umsetzen kann, das idealer ausfällt. Es wird wahrscheinlich noch immer nichts Ideales, aber sicher etwas Besseres dabei rauskommen.
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