Die Nestroy prämierte Off-Gruppe Nesterval nimmt sich im NEST (Neue Staatsoper) die „Götterdämmerung“ vor. Wagnerianer sollten sich warm anziehen. Warum, erklärt Regisseur, Nesterval-Mitgründer und -Mastermind Martin Finnland im „Krone“-Gespräch.
„Krone“: Wieviel Wagner steckt in der Nesterval-„Götterdämmerung“? Gibt es einen Warnhinweis für Hardcore-Wagnerianer?
Martin Finnland: Wir sollten ernsthaft darüber nachdenken. Aber im Ernst, wir haben sehr, sehr viel Wagner in dieses Stück inkludiert. Man kann natürlich das Libretto nicht eins zu eins runterplaudern. Aber es gibt zum Beispiel eine wahnsinnig schöne Szene, wenn Waltraude und Brünhild aufeinandertreffen. Da haben wir tatsächlich fünf Minuten lang das Original-Libretto genommen. Das passt so perfekt, dass wir keinen einzigen Strich drinnen haben.
Das Gleiche machen wir mit der Musik. Wir haben uns Elemente herausgenommen, die wir mit einem der besten Orchester spielen dürfen.
Wie kam die Theatergruppe Nesterval zur Oper?
Ich habe lange immer wieder damit geliebäugelt, Oper als immersives Theaterstück aufzuführen. Doch habe ich es nie für umsetzbar gehalten. Bis der Anruf von der Staatsoper kam. Ich war am Anfang eher skeptisch. Wir sind doch eine wilde Truppe aus der Off-Szene, die keine Grenzen kennt.
Doch dann hat Bogdan Roščić vom NEST erzählt und was sie dort vorhaben. Dabei ist mir klar geworden, also wenn wir einmal Oper machen, dann muss das jetzt sein. Und dann muss das im NEST sein. Weil das der perfekte Ort dafür ist.
Warum gerade Wagners „Götterdämmerung“?
Am Beginn waren tatsächlich Opern wie „Peter Grimes“, „Die Zauberflöte“, oder eben Wagner in Diskussion. Aber in der österreichischen Kulturlandschaft darf man die Staatsoper zu Recht als Olymp bezeichnen. Wenn man Nesterval einlädt, kann die Antwort darauf daher nur die „Götterdämmerung“ sein.
Außerdem bieten die „Götterdämmerung“ und Wagner eine Vielzahl an spannenden Charakteren an, während man bei anderen Opern meistens auf drei, vier Hauptfiguren reduziert ist. Auch lässt dieses Stück so wahnsinnig viele Fragen in mir offen. Das Libretto mit seinen Handlungssträngen war natürlich eine wunderbare Spielwiese. Zu überlegen, was macht denn Sigfrid, wenn er gerade nicht auf der Bühne steht? Wie geht es Alberich wirklich? Das eröffnet natürlich einen Komplex an Charakteren.
Wie weit spielt der Rest der Tetralogie in Eure Produktion mit hinein?
Wir machen im Grunde den ganzen Ring. Es wird aus allen Teilen zitiert. Das war auch im Probenprozess, wo ich sehr eng mit dem Ensemble zusammengearbeitet habe, immer wieder ein riesiges Thema. Ergibt jeder Charakter für sich eine logische Geschichte? Verstehe ich die Geschichte, auch wenn ich jetzt kein Wagner-Kenner bin. Wie kann man das Ganze verstehen? Wagner hat sich ja wild bedient an der nordischen Mythologie und dem Nibelungenlied. Wir gehen konsequent noch einmal einen Schritt weiter.
Es gibt auch neue Figuren. Wer ist denn etwa LoKI?
LoKI basiert natürlich auf Loge. Aus Loge ist eine Lo-KI geworden. Unser Stück spielt in der Zukunft, daher tritt künstliche Intelligenz in einer Halbgöttin bei uns auch in Erscheinung. Wenn man sich Wagners Loge anschaut, diesen undurchschaubaren Charakter. Wo man nie weiß, will er uns jetzt was Gutes, will der uns was Schlechtes tun? Dass das auf eine künstliche Intelligenz zutrifft, ist ganz nah an der Wahrheit.
Welche Rolle spielen die Götter überhaupt noch? Oder sind es wir Menschen, die diesmal ihrem Ende entgegendämmern?
Es gibt sehr wohl Göttinnen bei uns. Aber diese, vor allem Erdgöttin Erda, befinden, die Menschen hätten sich in den letzten Jahren aufgeführt wie Götter. Sie gehen mit unserem Planeten um, als wären alle Ressourcen unendlich. Erda sagt, ihr habt euch diese Suppe eingebrockt, ihr dürft sie jetzt auch selber wieder auslöffeln und wir mischen uns nicht mehr ein. Aber wie es im echten Leben so ist, funktioniert das natürlich nicht, dass sich Göttinnen und Götter nicht einmischen.
Das Macht verleihende Rheingold, um das gekämpft wird, ist diesmal das Wasser?
Bei uns ist es das Donaugold, weil wir sind in Wien. Dass das Wasser, das neue Gold ist, sehen wir in der Welt, wenn man an die Dürreperioden, nicht nur in Afrika, sondern jetzt auch bereits in Spanien denkt. Wie schnell sich bei solcher Ressourcen-Knappheit eine Gesellschaft ändern kann, ist für mich ein ganz prägendes Thema bei der Stückentwicklung gewesen.
Wird überhaupt gesungen?
Wir haben tatsächlich eine Sängerin, Anne Wieben, die seit über zehn Jahren bei uns im Ensemble spielt. Wenn wir jetzt in die Staatsoper gehen, dann muss Anne singen.
Aber unsere Stärke ist nicht der Operngesang, sondern das Spiel mit Charakteren und dieses persönliche Berühren des Publikums. Und da liegt natürlich der Fokus voll und ganz darauf. Aber in jeder Szene kommt man irgendwo mit Musik in Berührung.
Wie löst ihr etwa das Duett zwischen Siegfried und Brünnhilde am Ende des Vorspiels mit seinem vielen „Heil! Heil! Heil! Heil!“-Gesinge? Bringt ihr das?
Das ist tatsächlich bei uns umgemünzt. Denn, wie immer bei Nesterval, hinterfragen wir Geschlechteridentitäten. Wotan ist bei uns eine Göttin, die ihre Walküren-Söhne hat. Was natürlich zur Folge hat, dass wir gleich mit einer wahnsinnig schönen Liebesszene zwischen zwei Männern, nämlich Sigfrid und unserem Brünhild, beginnen. In der Höhle, wo sie sich voneinander trennen.
Wie versteht ihr Euer immersives Theater? Wo liegt der Unterscheid zu einem Stationentheater wie etwa „Alma“ von Paulus Manker?
Immersiv heißt für mich tatsächlich eintauchen. Ich möchte, dass das Publikum in unsere Welt eintaucht und etwas spürt und angesprochen wird. Sei es, nur durch ein Augenzwinkern. Aber dieses aktive Wahrnehmen von den Gästen ist das Um und Auf. Da trennen uns natürlich Welten von einer „Alma“, wo du einfach immer der Zuseher, die Zuseherin bleiben wirst.
Der Besucher wird also aktiver Teil. Deshalb sagt ihr auch Gäste und nicht Zuschauer, Zuschauerin zu Eurem Publikum?
Ja, unsere Gäste sollten vielleicht nicht mitsingen, aber irgendwann dürfen sie mitschreien. Denn Göttin Donner fordert die Leute auf, ihren Ärger herauszuschreien.
Euer immersives Theater verlangt nach verschiedensten Räumen. Wo wird überall gespielt?
Wir bespielen tatsächlich das gesamte Haus, also vom Dachboden über die WCs bis zur untersten Garderobe. Auf der anderen Seite haben wir auch eine Kooperation mit der Künstlerhausvereinigung. Der Stiegenaufgang dort ist ein perfektes Walhall-Bühnenbild, ohne dass man nur einen einzigen Finger rühren muss. Wir haben auch ein extra Bühnenbild in einen LKW-Anhänger einbauen lassen, der dann neben dem NEST parkt und für einige Gäste Spielort sein wird. Das Publikum und die Touristen reißen sich jetzt schon drum. Alle wollen in den LKW rein.
Habt ihr Blut geleckt? Wird es weitere Opernprojekte geben?
Jedes Nesterval-Stück ist für sich ein eigenständiges Projekt. Wir werden jetzt nicht durchgehend ins Opernfach wechseln. Aber unser nächstes Projekt befindet sich schon in Vorbereitung. Im Rahmen des Johann Strauss Jahr 2025 werden wir die Operette „Fürst*in Ninetta“ im Dianabad inszenieren.
Kommt ein Folgeprojekt?
Doch auch wenn es sehr nahe Genres sind, haben sich die beiden Produktionen in komplett verschiedene Richtungen entwickelt. Und natürlich lernen wir ständig noch dazu, wie geht man mit so einem Libretto um, das sehr vieles vorgibt. Auf der anderen Seite freue ich mich auch schon wieder auf ganz andere Themen und Themenblöcke. Doch ich bin auch mit Bogdan Roščić so verblieben, dass wir neben der Wiederaufnahme, vielleicht auch ein Folgeprojekt in ein paar Jahren angehen wollen. Das würde mich schon reizen.
Wie fühlt sich das an, wenn man als freie Gruppe plötzlich institutionalisiert wird. Siehe Staatsoper, siehe Strauss-Jahr?
Egal, ob man mit einer Institution zusammenarbeitet oder auch mit einem Koproduktionspartner, wie brut Wien aber auch Kampnagel in Hamburg, es gilt immer zu hinterfragen: Wollen wir das, ist das gut für uns, und können wir trotzdem kompromisslos arbeiten?
Vom Straßenmusikanten zum Staatsopern-Künstler
In dem Fall fühlt es sich einfach gut an, weil es auch eine absolute Wertschätzung ist für jahrelange Arbeit, vor allem auch des Ensembles. Es gibt noch keine Ausbildung zum professionellen, immersiven Theaterschauspieler oder zur -schauspielerin. Wir haben da tatsächlich Leute, die sich dieses Handwerk über Jahre hart erarbeitet haben.
Dass das jetzt nach 13 Jahren gesehen wird und einem größeren Publikum nahegebracht wird, finde ich fantastisch. Wir haben 2011 gestartet. Noch ganz klein, im öffentlichen Raum. Weil wir uns noch keine Räume leisten konnten. Also gefühlt bedeutet die „Götterdämmerung“ für uns jetzt der Aufstieg vom Straßenmusikanten zum Staatsopern-Künstler.
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