Aus einer Spendenlieferung wurde jetzt Akuthilfe für Tausende Geflüchtete der Islamisten in Syrien. Ein Österreicher erlebte rund um die Aktion den Sturz des Assad-Regimes hautnah mit – in einer einstigen IS-Hochburg.
Seit Jahren engagiert sich die Initiative „Karawane der Menschlichkeit“ in Krisengebieten. Diesmal ging es für das Team rund um Projektleiter Rainer B. in das von Kurden kontrollierte Gebiet in Syrien. Doch während der Mission überschlugen sich dort die Ereignisse. Auf einmal wurde das vierköpfige Team Zeuge des Endes der 50-jährigen Schreckensherrschaft des Assad-Clans. Der „Krone“ schildert Rainer B. seine Eindrücke, die aktuelle Situation und die Flucht in den „sicheren“ Irak.
Von Schüssen geweckt
„Wir sind im kurdischen Gebiet gestartet, dann nach Raqqa gefahren. Die Stadt war früher eine IS-Basis“, berichtet Rainer B. Raqqa, die einstige Hochburg des sogenannten Islamischen Staates, steht heute unter der Kontrolle der nordostsyrischen Autonomieverwaltung.
„Krone“ erreicht Helfer im Irak
Die Situation ist angespannt: „Die Bevölkerung ist durchmischt, doch die islamistische Ideologie ist noch präsent.“ Am Samstagmorgen fielen dann auf einmal Schüsse. „Assad ist gestürzt“, meldete das Handy. „Da war mir klar, das sind Freudenschüsse. Mehrere Stunden dauerte das an. Die Menschen jubelten“, erinnert sich B., als wir ihn per WhatsApp in einem sicheren Haus im Irak erreichen.
„IS-Ideologie ist immer noch tief verwurzelt“
Doch die Stimmung kippte schnell. Ein Mob begann, durch die Straßen zu ziehen, randalierte und zerstörte, was sich ihm in den Weg stellte. „Es war pure Aggression, begleitet von Rufen und Parolen“, beschreibt er. Seine einheimischen Begleiter warnten ihn eindringlich: „Ihr seid hier nicht sicher. Wenn sie merken, dass ihr Ausländer seid, seid ihr verloren.“
Zogen sich Kapuzen über
Eine Frau aus dem Team zog sich hastig eine Kapuze über, um ihr unverschleiertes Haar zu verbergen. „Bleibt im Auto, schaut niemandem in die Augen“, rieten sie, während die Angriffe immer näher rückten. B. und sein Team mussten zusehen, wie die Lage außer Kontrolle geriet. „Die islamistische Ideologie war immer noch tief verwurzelt, das wurde hier klar“, fügt er hinzu.
Schnell war klar: „Wir müssen Raqqa sofort verlassen.“ Gemeinsam mit seinen Begleitern plante das Team die Flucht. „Fahrt Richtung Osten, dort ist es sicherer“, riet ihnen ein lokaler Kontaktmann, ein hochrangiger Vertreter der Autonomieverwaltung. Richtung Osten, in Gebieten mit stärkerer kurdischer Bevölkerung, fanden sie schließlich Zuflucht. „Im Kurdengebiet werden alle Minderheiten respektiert“, erklärt B. Es sei einer der wenigen Orte in Syrien, an dem Menschen unterschiedlichster Ethnien und Religionen in Sicherheit leben könnten. Doch die Region ist von Armut gezeichnet. „Die Menschen dort sind bettelarm, aber niemand wird ausgegrenzt.“
„Vor unseren Augen entstand Flüchtlingslager“
Auf ihrer Reise begegnete das Team einem nie endenden Flüchtlingsstrom. „Zwischen 150.000 und 200.000 Menschen fliehen vor den islamistischen Milizen aus dem Aleppo-Gebiet“, so B. Die Flüchtlinge träfen in Orten wie Tabqa ein, wo sein Team Hilfsgüter verteilte: „Decken, Schlafsäcke, Zelte, Hygieneartikel – alles, was man für das Überleben braucht.“ Die Nächte sind kalt, die Temperatur fällt auf fünf Grad. „Die Menschen campieren überall: an Straßenrändern, auf offenen Feldern. Feuer brennen dicht an dicht. Vor unseren Augen entstand ein neues Flüchtlingslager“, so B. zur aktuellen Lage. Die Hilfslieferungen seines Konvois sind ein Tropfen auf den heißen Stein angesichts der überwältigenden Not.
Komplizierte Wege der Hilfe über den Irak
Der Transport der Hilfsgüter durch den Nahen Osten ist zudem eine logistische Herausforderung. „Über den Irak verläuft der einzige Weg nach Syrien. Es braucht monatelange Verhandlungen mit Behörden in verschiedenen Ländern“, erklärt B. Doch in der nordostsyrischen Autonomieverwaltung fänden sie stets offene Arme. „Dort bekommen wir jegliche Unterstützung.“ Dennoch: Politische Spannungen, selbst zwischen kurdischen Gebieten, erschweren die Arbeit. „Der Nordirak kooperiert mit der Türkei, während die Kurden in Syrien mit der Türkei im Krieg sind“, beschreibt B. das komplexe Geflecht. Viele befürchten, dass diese letzte Bastion nun zwischen den Lagern aufgerieben werden könnte.
Die „Karawane der Menschlichkeit“ will nun rasch wieder Spenden sammeln, um den Menschen vor Ort zu helfen.
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